Pharmazeutische Zeitung online

Hilfe, mein Pen funktioniert nicht!

02.02.2004  00:00 Uhr

Pharmazeutische Betreuung

Hilfe, mein Pen funktioniert nicht!

von Anneli Schmitt, Castrop-Rauxel, und Kathrin Ossig, Kamen

Viele ältere Patienten geben sich sicher im Umgang mit ihren vertrauten Arzneimitteln. Doch wenn der Apotheker Arzneimittelanwendung und Compliance der Patienten kritisch unter die Lupe nimmt, zeigen sich deutliche Lücken im scheinbaren Informiertsein. Häufig tauchen viele Fragen auf.

Warum soll ich dieses Arzneimittel nehmen? Wie soll ich die Insulinpatrone wechseln? Kann ich jetzt nicht mal mehr ein Gläschen Wein trinken? Solche Fragen kennen jeder Apotheker und jede Apothekerin, die ein offenes Ohr für die Patienten im Offizinalltag haben. Damit sprechen Patienten offensichtliche Probleme im Umgang mit der Arzneimitteltherapie an. Häufig wird aber erst im intensiven Gespräch deutlich, dass eine ausführlichere Analyse der Medikation nötig ist, um arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen, zu bearbeiten und zu lösen.

In jedem Einzelfall ist abzuklären, wie groß der Beratungsbedarf ist und in welchem Maß der Einzelne bereit ist, die Pharmazeutische Betreuung auch anzunehmen. Diese kann sich auf wenige Termine beschränken und/oder über einen längeren Zeitraum stattfinden. Immer muss berücksichtigt werden, dass eine individuelle Betreuung in den Apothekenalltag integriert werden muss und Aufwand und Nutzen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Dass sich der Einsatz für Apotheker, Patient und Pflegedienst lohnen kann, wird exemplarisch an drei realen Fällen gezeigt.

Mit Hilfsmitteln arbeiten

Die Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung, die inzwischen für fünf Indikationen vorliegen, sind im Alltag eine große Hilfe für einen praxisgerechten, kompetenten Einsatz dieser Dienstleistung. Aber auch Kundenkarten und EDV-gestützte Programme sind bei der Bearbeitung unabdingbar. Mit Unterstützung der ABDA-Datenbank und anderen Datensammlungen können Therapieprobleme aus Sicht des Patienten und des Apothekers systematisch erkannt werden (Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Prüfungen, die eine systematische, praxisorientierte Beratung erleichtern

Prüfung (Check) der/auf Fragen aus Patientensicht Fragen aus Apothekersicht Arzneimittel Indikation unbekannt, Beipackzettel unverständlich, Unsicherheit im Umgang möglich Indikation richtig, Doppelverordnung vorhanden, Anwendung sachgerecht, Missbrauch zu erkennen Dosierung Angaben unverständlich, Dosierung unpraktikabel Dosierung richtig, verordnete Dosierung eingehalten Nebenwirkungen Unverträglichkeit erlebt, unerwünschte Wirkungen beobachtet Verträglichkeit erkennbar, Nebenwirkungen aufgetreten Compliance Bereitschaft für Compliance vorhanden, Compliancehilfen möglich Bewusstsein für Compliance gegeben, Positive Grundeinstellung erkennbar, Compliancehilfen nötig Interaktionen Gleichzeitige Einnahme von Arznei-, Nahrungs- und Genussmitteln möglich, Bewusstsein für Interaktionen vorhanden Interaktion zwischen Arznei-, Nahrungs- und Genussmitteln vorhanden, Interaktionen bewertet Allergie Allergien vorhanden, allergische Reaktionen aufgetreten Allergisches Potenzial der Arzneimittel vorhanden, Allergiepass berücksichtigt Alter Arzneimittel im Alter verträglich, Darreichungsform dem Alter angemessen Arzneimittel verträglich, Pharmakokinetik verändert, Kontraindikationen gegeben, Dosierung angepasst, Darreichungsform angemessen

 

Um sich mit der Situation eines Patienten vertraut zu machen, haben sich in der Praxis folgende Fragen bewährt:

  • Wie sieht die Medikation aus?
  • Welche Erkrankungen hat der Patient?
  • Welche Probleme stehen für ihn im Vordergrund?
  • Welche möglichen Probleme sieht der Apotheker bezüglich der Medikation?

In den folgenden Fallbeispielen werden die wichtigsten Arzneimittelprobleme herausgearbeitet und mögliche Lösungsansätze vorgestellt. Jede Kasuistik wurde mit Medikationsbögen und -profilen aufgearbeitet und mit Hilfe der Checks zur Identifizierung arzneimittelbezogener Probleme beleuchtet. Die Falldiskussionen sollen die praktische Problembearbeitung in der Offizin erleichtern, beinhalten aber keine vollständige Darstellung der gesamten Krankheitsbilder. In jedem Fall gaben konkrete Anlässe und Fragen von Patienten den Anstoß zu einer ausführlichen Pharmazeutischen Betreuung in der Apotheke.

Diabetikerin mit vielen Fragen

Die 72-jährige Patientin M. B. kam im Sommer 2003 mit mehreren Rezepten in die Apotheke. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon drei Monate auf Insulin eingestellt. An diesem Tag bat sie um Hilfe beim Wechseln der Insulinpatrone. Irgendetwas stimme nicht mit ihrem Pen, äußerte sie. Außerdem wolle der Arzt ihr nicht noch mehr Teststreifen in diesem Quartal verordnen. Sie solle sparsamer mit den Tests umgehen, und obendrein sei es wichtig für sie, „Diät“ zu leben. Der Arzt hatte Frau B. auch ein Muster eines Nitrosprays mitgegeben. In der Apotheke fragte sie verunsichert, für welche Notfälle dieses Spray gedacht sei.

Da die Patientin ihren vermeintlich funktionsuntüchtigen Pen erst wieder am Abend benötigte, wurde sie gebeten, ihn zur Überprüfung bis zum Nachmittag in der Apotheke zu lassen. Bei der Abholung sollte sie ihr Blutzuckermessgerät und etwas Zeit mitbringen, um ihre Fragen in Ruhe beantworten zu können. Die Apothekerin überprüfte die Funktionsfähigkeit des Pens und die aktuelle Verordnung (Tabelle 2) und rief die Medikationshistorie ab. Da die Patientin eine Kundenkarte besitzt, ließ sich problemlos ein Medikationsbogen erstellen.

 

Tabelle 2: Aktuelle Medikation einer 72-jährigen Diabetikerin (Fallbeispiel)

Arzneimittel Applikation Insulin Actraphane® 30/70 16 I. E. morgens, 8 I. E. abends Euglucon® 3,5 mg morgens 2 Concor® 5 mg 1 x 1 ASS Hexal® 100 mg 1 x 1 Zyloric® 300 mg 1 x 1 Nitrolingual® Spray bei Bedarf 1 bis 2 Hub

Problemanalyse

Die Überprüfung des Pens ergab, dass die Nadel verstopft war. Da die Patientin schlecht sieht und altersbedingte motorische Probleme hat, fiel ihr zudem das Benetzen der Blutzucker-Teststreifen schwer. Aus Unsicherheit wiederholte sie Messungen. Sie erzählte, dass sie häufig sehr niedrige Blutzuckerwerte habe (unter 80 mg/dl), die an eine Hypoglykämie denken lassen. Die Kundin ist bei einer Größe von 1,65 m und 85 kg Körpergewicht (BMI von 31) deutlich übergewichtig und hat die typischen Symptome eines metabolischen Syndroms.

Das Medikationsprofil zeigte in den letzten drei Monaten eine größere Einnahmelücke bei den Allopurinol-Tabletten. Frau B. wusste nicht, warum sie dieses Medikament einnehmen muss.

Betreuung

Die Analyse förderte mehrere Schwierigkeiten zutage, die sich durch eine einfühlsame, intensive Betreuung lösen oder zumindest bessern lassen. Da das Penproblem für die Patientin im Vordergrund stand, erklärte ihr die Apothekerin zunächst, dass sie die Pennadeln regelmäßig wechseln müsse. Die Patrone wurde am Nachmittag gemeinsam getauscht.

Um die Kundin im Umgang mit der Erkrankung sicherer zu machen, vereinbarte die Apotheke neue Termine zur Schulung. Bei dieser Gelegenheit konnte Frau B. verschiedene Blutzuckermessgeräte kennen lernen, deren Bedienung einfach ist. Gut geeignet sind Geräte mit einem großen Display und einfach zu handhabenden Teststreifen. Auch ein Fertigpen, der weniger Kraftaufwand erfordert (Beispiel: Innolet®), wäre für sie geeignet.

Mit der Abgabe einer Diät-Broschüre war es bei dieser Patientin nicht getan. Eine umfassende Ernährungsberatung war unbedingt notwendig. Dabei folgte die Apothekerin den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Wichtig zu wissen für Typ-2-Diabetiker mit metabolischem Syndrom: Welche Lebensmittel machen dick? Welche Lebensmittel erhöhen den Blutzucker? Wie kann die Zufuhr an Purinen reduziert werden? Zur praktischen Übung eignen sich verschiedene Spiele mit Lebensmittelkarten und auch Softwareprogramme zum Thema Ernährung und Diabetes.

Die verordnete Kombination eines Mischinsulins mit einem Sulfonylharnstoff birgt stets die Gefahr einer Unterzuckerung, die zusätzlich durch den ß-Rezeptorenblocker (hier Bisoprolol) verschleiert werden kann. Bei dieser Medikation muss der Patient unbedingt ein fixes Mahlzeitenschema einhalten. Sollte dennoch weiterhin eine Unterzuckerung auftreten, so ist in jedem Fall Rücksprache mit dem Arzt zu nehmen. Auch stand zur Diskussion, ob die Kombination des Mischinsulins mit Glibenclamid für die Patientin sinnvoll ist.

Frau B. wurde über die Symptomatik der Hypoglykämie mit Schwitzen, Zittern, Heißhunger, später Konzentrations-, Seh- und Sprachstörungen aufgeklärt. Sie erfuhr, dass sie gerade nach körperlicher Betätigung den Blutzucker durch eine Messung kontrollieren soll. Da die Frühsymptome durch den b-Rezeptorenblocker verschleiert werden oder nach längerer Diabetesdauer sogar wegfallen können, wurde die Patientin gebeten, eventuell Angehörige zu einem Gespräch mitzubringen, um auch ihnen die Anzeichen und Maßnahmen bei einer möglichen Unterzuckerung zu erläutern. Ratsam für Diabetiker: für Notfälle in kleinen Mengen abgepackten Traubenzucker mitführen (zum Beispiel Carrero®-Beutel oder Jubin®-Lösung).

Frau B. erhielt die nächsten Termine der ortsansässigen Selbsthilfegruppe von Diabetikern, wo sie Gleichgesinnte finden und ihre Sorgen und Erfahrungen austauschen kann. Nach Aufklärung über die Zusammenhänge der Erkrankungen beim metabolischen Syndrom erfuhr sie vom Angebot der Apotheke, regelmäßig auch ihr Gewicht, ihren Blutdruck und ihre Cholesterolwerte zu bestimmen.

Auch das vom Arzt mitgegebene Nitrospray war erklärungsbedürftig. Um der Patientin Angst und Misstrauen vor dem neuen „Notfallspray“ zu nehmen, zeigte die Apothekerin ihr die Anwendung und Handhabung. Am besten solle sie sich vor dem Sprühen hinsetzen, damit ihr nicht schwindelig wird, und das Spray dann unter die Zunge sprühen. Leicht spürbare Zeichen für den Wirkungseintritt sind eine Rötung und Wärme im Gesicht.

Damit Frau B. ihre Allopurinol-Tabletten in Zukunft regelmäßig einnimmt, wurde ihr der Sinn der Einnahme erklärt, denn nur eine dauerhafte Senkung der Harnsäurewerte kann einem schmerzhaften Gichtanfall vorbeugen. Vor allem muss Frau B. darauf achten, ausreichend zu trinken.

Resümee aus Sicht der Patientin

Nachdem die Patientin über die Zusammenhänge ihrer Erkrankung und die richtige Ernährung aufgeklärt wurde, fühlte sie sich sicherer und motivierter im Umgang mit ihrem Diabetes. Gern nahm die Tochter das Angebot an, sich ebenfalls über Notfallmaßnahmen zu informieren.

Frau B. kaufte sich ein anderes Blutzuckermessgerät, mit dem sie besser umgehen konnte und weniger Teststreifen verbrauchte. Einen Fertigpen wollte sie nach der Schulung nicht mehr, nahm aber eine Aufstecklupe für ihren alten Pen mit, um die Dosierungen besser ablesen zu können. Sie wollte auf das Angebot der Cholesterolmessung zurückkommen, da ihr diese Werte bisher nicht bekannt sind. Ihr war klar geworden, dass sie besonders auf ihr Gewicht achten muss.

Resümee aus Sicht der Apotheke

Die wichtigsten Probleme der Patientin konnten geklärt werden. Dies führte zu hoher Kundenzufriedenheit. Schön war zu hören, dass die Patientin die Apotheke beim Treffen der Selbsthilfegruppe weiterempfohlen hat.

 

Tücken der Antikoagulation

Die Patientin E. W., 66 Jahre, ist Stammkundin der Apotheke. Aus Gesprächen ist bekannt, dass sie künstliche Herzklappen hat und daher Phenprocoumon (Marcumar®) nehmen muss. Sie leidet ferner unter Bluthochdruck, der derzeit stabil eingestellt ist.

Im Herbst 2003 kam die Patientin mit einem Multivitaminpräparat aus der Drogerie in die Apotheke und fragte, ob das für sie geeignet sei und ob es sich mit ihren Arzneimitteln vertrage. Außerdem wollte sie sich informieren, ob sie sich gelegentlich ein Gläschen Sekt erlauben könne.

Unsere erste Empfehlung war zunächst, auf die Einnahme des Multivitaminpräparates zu verzichten, da Vitamin K enthalten ist, das die Blutgerinnungshemmung möglicherweise beeinflussen kann. Gleichzeitig wurde ein weiterer Termin vereinbart, zu dem die Kundin alle Präparate mitbringen sollte, die sie einnimmt. Auch das Angebot, sie besser über den Umgang mit blutgerinnungshemmenden Medikamenten zu informieren, nahm sie dankend an. Bis zu diesem Termin wurde die Medikation der Patientin geprüft, um weitere Fragen beantworten zu können (Tabelle 3).

 

Tabelle 3: Multimedikation bei einer Patientin mit künstlichen Herzklappen und Hypertonie (Fallbeispiel)

Arzneimittel Einnahmevorschrift Verapamil retard ratiopharm® 240 mg 1 x morgens, ½ abends Lorzaar plus® 1 x 1 Marcumar® 1 x 1 Kliogest® 1 x 1 Midro®-Tee bei Bedarf

 

Problemanalyse

Bei der Überprüfung des Medikationsprofils der Patientin sah man, dass sie die verordneten Hormone wahrscheinlich nicht regelmäßig eingenommen hatte. Hier war sowohl die Non-Compliance als auch die Notwendigkeit einer weiteren Therapie zu klären.

Eine Interaktion zwischen Estrogenen und Phenprocoumon könnte vor allem dann relevant sein, wenn die Hormone eigenmächtig abgesetzt und dann wieder eingenommen werden. Estrogene können die Clearance des Gerinnungshemmers erhöhen und somit zu einem Wirkungsverlust beitragen. Zum anderen haben die Estrogene möglicherweise selbst proaggregatorische Effekte.

Laut ABDA-Datenbank gibt es bei dieser Medikation zwei Interaktionen mit Alkohol. Zum einen kann eine unregelmäßige Aufnahme von Alkohol die Wirkung von Phenprocoumon verstärken, zum anderen kann Verapamil den Abbau von Alkohol hemmen.

Die Ursache für den regelmäßigen Kauf des Abführtees konnte eine durch Verapamil ausgelöste Obstipation sein.

Betreuung

Dreh- und Angelpunkt der meisten Therapieprobleme der Patientin war die dauerhafte Antikoagulation. Daher erklärte ihr die Apothekerin in einem intensiven Gespräch, wie der Gerinnungshemmer wirkt und welche Rolle Vitamin K spielt.

Hohe Vitamin-K-Dosen, die unregelmäßig mit Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln zugeführt werden, können die stabile Einstellung von Quick-/INR-Werten (INR: International Normalised Ratio) gefährden. Wichtig ist der Hinweis, dass die Patienten keine „Zwangsdiät“ einhalten müssen, sondern eine gleich bleibende Ernährungsweise beibehalten sollen. Dazu gehören auch die grünen Gemüsesorten, die einen hohen Vitamin-K-Gehalt aufweisen, in normalen, nicht übermäßigen Portionen (Listen zum Vitamin-K-Gehalt von Lebensmitteln unter www.uni-mainz.de/~goldinge/index.htm).

Die Patientin wusste bereits, dass es durch das Medikament häufiger zu Blutungen wie Zahnfleischbluten, Nasenbluten oder auch Blut im Stuhl kommen kann. Nun verstand sie auch, dass die vom Arzt zu Beginn der Therapie verordneten Vitamin-K-Tropfen bei Verletzungen nicht sofort helfen können, sondern erst innerhalb von 24 Stunden den Gerinnungswert beeinflussen. Als Sofortmaßnahmen eignen sich Druckverbände und Kältekompressen. Bei größeren Verletzungen oder Blut im Stuhl ist auf jeden Fall der Arzt aufzusuchen.

Der Therapieerfolg von Phenprocoumon sowie das Auftreten von Nebenwirkungen hängen ganz entscheidend davon ab, dass die zur Verfügung stehende, blutgerinnungshemmende Dosis stets gleich bleibt. Gut zu wissen für Frau W.: eigenmächtig weder Medikamente zusätzlich einnehmen noch absetzen. Ob und wann der Gerinnungshemmer abzusetzen ist, muss sie mit ihrem Arzt besprechen.

Im Gespräch wurde deutlich, dass die Patientin Zweifel an der Fortführung ihrer Hormontherapie hatte und bewusst Einnahmelücken entstehen ließ. Sie erhielt den Hinweis, ihren Gynäkologen aufzusuchen, um mit ihm die Notwendigkeit einer Substitution unter neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen abzuklären.

Die Apothekerin wies auch darauf hin, dass Alkohol grundsätzlich, vor allem aber in höheren Mengen, zu meiden ist. Bei mäßigem Genuss (ein Glas Sekt) ist die Wirkung auf den Gerinnungswert wahrscheinlich gering. Doch nicht nur die Interaktionen spielen hier eine Rolle, sondern auch eine Erhöhung des Blutdrucks durch Alkohol. Damit die Patientin selbst verschiedene mögliche Einflussfaktoren auf ihren Blutdruck überprüfen kann, wurden ihr mehrere Geräte zur Selbstmessung vorgestellt.

Bei einem weiteren Termin zur Ernährungsberatung ging die Apothekerin auch auf das Tabuthema Obstipation ein und stellte ballaststoffreiche Lebensmittel und andere Alternativen zum Anthrachinon-haltigen Tee vor.

Acht Wochen später kam die Patientin in die Apotheke, weil sie sich für eine Urlaubsfahrt nach Spanien Kompressionsstrümpfe kaufen wollte. Sie beklagte sich, dass sie gern länger wegbleiben würde, aber dies mit den regelmäßigen Quick-Messungen beim Arzt leider nicht zu vereinbaren sei. Wir rieten Frau W., sich in ihrem Hotel in Spanien oder über die Reisegesellschaft zu erkundigen, ob nicht auch ein Arzt am Urlaubsort ihren Blutgerinnungswert messen kann. Sowohl Frau W. als auch ihr Hausarzt wurden darauf hingewiesen, dass „Quickwertmessungen“ nicht ausreichen und nur die Angabe des INR-Wertes eine Vergleichbarkeit der Laborwerte im Urlaub oder auch in anderen Arztpraxen gewährleistet. Für die Reise bekam die Kundin den Hinweis, sich während der Fahrt im Bus so häufig wie möglich zu bewegen, Bein- und Fußgymnastik zu machen und viel Mineralwasser zu trinken.

Da sich die Patientin in ihrer Lebensqualität durch die häufigen Messungen beim Arzt eingeschränkt fühlte, informierte sie die Apothekerin auch über die Möglichkeit der Selbstmessung der Blutgerinnung und bot ihr an, mit ihrer Krankenkasse Kontakt wegen einer Kostenübernahme aufzunehmen. Neben Schulungsadressen für die Selbstmessung der Gerinnungswerte erhielt Frau W. Adressen von Selbsthilfegruppen für Herzklappenpatienten (nähere Informationen unter www.coagucheck.de).

Resümee aus Sicht der Patientin

Frau W. setzte sich nach unserer Betreuung aktiver mit ihrer Erkrankung auseinander. Dank der gestärkten Eigenverantwortung gewann sie mehr Unabhängigkeit und Lebensqualität. Zudem dachte sie über eine Schulung zur Selbstmessung der Blutgerinnung nach, die ihr Arzt befürwortet hatte.

Resümee aus Sicht der Apotheke

Der aktiven 66-jährigen Patientin fiel es leicht, schwierige Zusammenhänge zu verstehen. Für die Motivation des Apothekenteams war es wichtig, dass Frau W. ihren persönlichen Nutzen der Betreuung deutlich erkannte.

Dieses Fallbeispiel zeigt auch, wie wichtig die Aufklärung der Bevölkerung ist, nicht unkritisch Nahrungsergänzungsmittel im Supermarkt zu erwerben oder aus dem Versandhandel oder via Internet zu beziehen.

 

Niereninsuffizienz beachten

Herr A. Z., 81 Jahre, wird seit zwei Jahren von einem Pflegedienst betreut. Er ist durch eine schwere Hüftgelenksarthrose teilweise an den Rollstuhl gebunden. Aus Gesprächen mit dem Pflegedienst ist bekannt, dass Herr Z. in der letzten Zeit einen Dekubitus entwickelt hat.

Anlass für die Überprüfung der Krankengeschichte war die Einlösung einer Aciclovir-Verordnung. Die Ehefrau berichtete, dass der Pflegedienst einmal täglich die Bereitstellung der Arzneimittel für die Eheleute übernehme. Frau Z. verließ die Apotheke mit dem Hinweis, dass der betreuende Apotheker Rücksprache mit dem Pflegedienst halten werde, ihr Mann aber unbedingt mit der Einnahme des Virustatikums beginnen solle.

Bei dem Telefonat mit dem Pflegedienst über den Einnahmemodus von Aciclovir sprach dieser weitere Probleme mit der Medikation an. Der Apotheker bot einen Besprechungstermin für den Nachmittag an und nahm die Medikation unter die Lupe (Tabelle 4).

 

Tabelle 4: Multimedikation eines älteren, teilweise immobilen Patienten (Fallbeispiel)

Arzneimittel Einnahmevorschrift Furosemid 40 Heumann® 1 x 1 Esidrix® 1 x 1 Diclofenac 50 Stada® 3 x 1 Omeprazol von ct 20 mg® 1 x 1 ACE-Hemmer ratiopharm® 12,5 2 x 1 Novalgin®-Tropfen bei Bedarf 20 Tropfen Fucidine®-Gaze  

 

Problemanalyse

Der Interaktionscheck mittels ABDA-Datenbank zeigte eine Wechselwirkung zwischen NSAR, Diuretika und ACE-Hemmern. Sowohl die Blutdruck senkenden als auch die diuretischen Effekte können durch Diclofenac abgeschwächt werden.

Ältere Patienten haben häufig eine eingeschränkte Nierenfunktion, möglicherweise auch einen Volumenmangel. Da nicht bekannt war, wie ausgeprägt eine möglicherweise vorhandene Niereninsuffizienz bei Herrn Z. war, musste der Einsatz von Hydrochlorothiazid, Aciclovir und Diclofenac in der verordneten Dosierung überdacht werden. Eine Alternative zu Aciclovir bot das Virustatikum Brivudin (Zostex®), das einmal täglich gegeben wird und bei dem keine Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion nötig ist. Hier war eine Rücksprache mit dem Arzt nötig, bei der auch die deutlich höheren Kosten der Brivudin-Verordnung eine Rolle spielten.

Im Gespräch mit dem Pflegedienst stellte sich heraus, dass Herr Z. die großen Aciclovir-Tabletten wegen ausgeprägter Mundtrockenheit nur mit großer Mühe fünfmal täglich schlucken konnte. Seit längerem bereitete auch die Verabreichung von Novalgin®-Tropfen Probleme. Sowohl der kindersichere Verschluss als auch der Zentraltropfer und das Tropfenzählen machten der 83-jährigen Ehefrau Schwierigkeiten. Auf Nachfrage erfuhr der Apotheker ferner, dass Omeprazol mit den anderen Tabletten zum Frühstück gegeben wurde. Bezüglich des Allgemeinzustands beklagte der Pflegedienst den schlecht heilenden Dekubitus des Patienten.

Betreuung

Der Patient und seine Frau kämpften offensichtlich mit der Handhabung der Medikation. Für das aktuelle Problem der Aciclovir-Einnahme wusste der Apotheker eine einfache Lösung: Die Tabletten können in 50 ml Wasser aufgelöst und dann eingenommen werden. Nach ärztlicher Rücksprache wurden die Novalgin-Tropfen gegen Tabletten ausgetauscht.

Für die gesamte Medikation von Herrn Z. bot der Apotheker dem Pflegedienst einen zeitlich abgestimmten Einnahmeplan an, bei dem auch die Nüchterneinnahme von Omeprazol berücksichtigt wurde. Frau Z. erhielt mit der Einnahmezeit beschriftete Aufkleber, die auf die entsprechenden Tablettenboxen geklebt werden .

Gegen die Mundtrockenheit empfahl der Apotheker verschiedene Speichelersatzpräparate. Auch Bonbons, Kaugummis und Obstkerne regen den Speichelfluss an.

Im Zusammenhang mit dem Dekubitus war die langfristige Behandlung der Wunde mit einem Lokalantibiotikum, das zu Irritationen und Wundheilungsstörungen führen kann, kritisch zu betrachten. Da es zu einer lokalen Antibiotikatherapie immer sinnvolle Alternativen gibt, sollte der Pflegedienst Rücksprache mit einer Facharztpraxis nehmen. Hilfsmittel zur Dekubitusbehandlung und -prophylaxe konnten dem Patienten das Leben erleichtern. Auf eine ausreichende und hochwertige Eiweiß- (cave Nierenfunktionsstörung) und Zinkversorgung war zu achten.

Auf Grund der möglichen Wechselwirkungen und der unklaren Einschränkung der Nierenfunktion war ein Gespräch mit dem Arzt dringlich geboten. Eine sorgfältige Überwachung der Nierenfunktion sowie des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts erschien nötig.

Resümee aus Sicht des Pflegedienstes

Der Pflegedienst fühlte sich durch das Gespräch sicherer im Umgang mit dem Patienten. Er war dankbar für die Unterstützung und schätzte die Zusammenarbeit mit der Apotheke.

Resümee aus Sicht der Apotheke

Die positive Reaktion des Pflegedienstes festigte die Kundenbindung an die Apotheke und war eine wichtige Grundlage für eine weitere, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Rücksprache mit dem Arzt gestaltete sich eher schwierig. Dennoch erfuhr der Apotheker auf Nachfrage, dass die Diclofenac-Dosis auf eine zweimal tägliche Gabe reduziert und die Metamizol-Dosis erhöht wurde.

Mehr Nutzen für alle

Im Mittelpunkt der Pharmazeutischen Betreuung steht die sichere, zielorientierte Arzneimittelanwendung durch den Patienten. Um diese effektiv zu gewährleisten, müssen die Bedürfnisse und Probleme der Patienten erkannt und nach Möglichkeit berücksichtigt und gelöst werden (Abbildung 7). Wie die Beispiele aus der Praxis eindrucksvoll zeigen, erkennt der Patient zunächst nicht immer, dass eine optimierte Arzneianwendung seine Lebensqualität nachhaltig verbessern kann. Umso dankbarer ist er, wenn dies gelingt.

Durch eine kompetente Betreuung kann der Apotheker arzneimittelbezogene Probleme patientenorientiert aufdecken und sich als Problemlöser profilieren. Dies ist angesichts des Arzneimittelangebots außerhalb der Apotheke von großer Bedeutung. Das Engagement verbessert die Kundenbindung und stärkt die berufliche Zufriedenheit. Eine große Chance, die Pharmazeutische Betreuung in den Offizinalltag einzugliedern, bietet jetzt das Hausapotheken-Modell. Hiervon profitieren die Apotheke, der Arzt, die Krankenkasse und nicht zuletzt am meisten der Patient.

 

Literatur

  • Schäfer, M., Schulz, M., Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung. Bd. 1: Grundlagen der Pharmazeutischen Betreuung. Govi-Verlag Eschborn 2000.
  • Diers, K., Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung. Bd. 3: Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2. Govi-Verlag Eschborn 2. Aufl. 2002.
  • Goldinger, A., Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung. Bd. 4: Antikoagulanzien. Govi-Verlag Eschborn 2001.
  • Brandt, H., Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung. Bd. 5: Wundversorgung. Govi-Verlag Eschborn 2003.
  • Diers, K., et al., Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung. Bd. 6: Hypertonie. Govi-Verlag Eschborn 2003.
  • Platt, D., Mutschler, E., Pharmakotherapie im Alter. Wiss. Verlagsges. mbH Stuttgart 1999.
  • Kircher, W., Arzneiformen richtig anwenden. Dtsch. Apoth. Verlag Stuttgart 2000.
  • Holtmeier, H. J., Ernährung des alternden Menschen. Wiss. Verlagsges. mbH Stuttgart 1999.
  • Biesalski, H. K., et al., Ernährungsmedizin. Georg-Thieme-Verlag Stuttgart 1999.
  • ABDA-Datenbank

 

Die Autorinnen

Anneli Schmitt studierte Pharmazie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und erhielt 1995 die Approbation als Apothekerin. Seitdem ist sie als Mitarbeiterin in der Ickerner Markt-Apotheke in Castrop-Rauxel tätig.

Kathrin Ossig studierte ebenfalls Pharmazie in Münster und wurde 1994 approbiert. Seitdem arbeitet sie als angestellte Apothekerin in der Kaiserau-Apotheke in Kamen.

Beide Kolleginnen, Fachapothekerinnen für Offizinpharmazie und Ernährungsberatung, nahmen 1997 und 1998 an der OMA-Studie der Apothekerkammer Westfalen-Lippe zur Betreuung multimorbider geriatrischer Patienten teil. Anneli Schmitt beteiligte sich zudem an der DUP-Studie (Drug used profiles). Seit 1999 arbeiten die Kolleginnen als Referenten und Seminarleiter in der Apotheker- und PTA-Fortbildung und engagieren sich seit 2000 im Prüfungsausschuss der Weiterbildung Offizinpharmazie der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.

 

Anschrift der Verfasserinnen:
Anneli Schmitt
c/o Ickerner Markt-Apotheke
Ickerner Straße 54
44581 Castrop-Rauxel
ickernermarktapotheke@t-online.de

Kathrin Ossig
c/o Kaiserau-Apotheke
Einsteinstraße 1
59174 Kamen
kaiserau-apotheke@t-online.de

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