Steht das Alter in den Genen? |
20.01.2003 00:00 Uhr |
von Britta Urmoneit, Düsseldorf
Im August 1997 starb die Französin Jeanne Calment mit 122 Jahren - die maximale Lebenszeit für einen Menschen, die bislang beobachtet wurde. Im Gegensatz dazu starb Branda Smith aus den USA mit nur 19 Jahren. Ihr Körper und Aussehen glichen einer 90-Jährigen, sie hatte seit Jahren Rheuma und Arteriosklerose. Branda litt am Hutchinson-Gilford-Syndrom.
Als Jeanne Calment 1997 mit 122 Jahren starb, hatte sie ihre Tochter um 63 Jahre überlebt und war seit fünfzig Jahren Witwe. Die meisten Menschen halten das hauptsächlich für Glück; Wissenschaftler meinen jedoch, es liege an den Genen, wie alt ein Individuum wird. Einige Forscher sehen in den menschlichen Genen sogar ein Potenzial, die Lebenszeit auf über 300 Jahre zu erhöhen.
Die heute 40-Jährigen werden im Durchschnitt 100 Jahre alt, behauptet James Vaupel vom Max- Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock (1). So hätte die Lebenserwartung der Menschen in den Industrienationen in den vergangenen 160 Jahren um additive 40 Jahre zugenommen; umgerechnet kommen jedes Jahr drei Monate hinzu. Weltweit sind derzeit 41 Personen im Alter zwischen 110 und 115 Jahren registriert. Der Älteste ist der Japaner Kamato Hongo, der 1867 das Licht der Welt erblickte.
Die Menschen werden heute nicht grundsätzlich viel älter als früher; es haben nur mehr Menschen die Chance, tatsächlich achtzig, neunzig oder mehr Jahre alt zu werden.
Auch Tiere können ein biblisches Alter erreichen. Am bekanntesten ist die Elefantenschildkröte mit 150 Jahren. Bei den Vögeln nimmt die Krähe mit 118 Jahren beobachteter Lebensdauer den ersten Platz ein. Bei den Säugetieren liegen Wal und Esel mit je 100 Jahren weit vorne. Spitzenreiter ist der Mensch. Legendär ist Methusalem, der der Bibel zufolge 969 Jahre alt wurde.
Im Pflanzenreich zählen die Borstenkiefer mit 4600 und der Mammutbaum (Sequoia sempervirens) mit 4000 Jahren zu den Langlebigsten. Sie sind die ältesten Organismen auf der Erde (2).
Warum Lebewesen altern
Wäre der Tod zufallsbedingt, würde die theoretische Überlebenskurve einer exponentiell fallenden Kurve mit konstanter Absterberate gleichen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit des Todes unabhängig vom Lebensalter. Vergleichbar ist dies zum Beispiel mit der Alterung von Glasgeräten im Labor. Bei Lebewesen verhält es sich anders. Je älter das Individuum wird, desto wahrscheinlicher ist der Tod. Die Überlebenskurve entspricht einer negativen Funktion der Zeit, das heißt, die Mortalitätsrate nimmt mit dem individuellen Alter zu.
Unsterblichkeit kommt in der belebten Natur selten vor. Nur Einzeller wie Bakterien (Prokaryonten) und eukaryontische Protozoen (Urtierchen) oder Algen leben mit jeder Zellteilung immer weiter und können in diesem Sinn als unsterblich betrachtet werden. Bei höheren tierischen Lebewesen ist dies unmöglich; immerhin können sich Pflanzen vegetativ vermehren und ihr Erbgut damit lange erhalten.
Warum Altern bei höheren Lebewesen biologisch erforderlich ist, versucht die Evolutionstheorie zu erklären. Danach legen die meisten Tierarten ihre ganze Energie in die Fortpflanzung und Arterhaltung in jungen Jahren. Es ist nur ökonomisch, in die Spanne jugendlicher Kraft zu investieren, da ein Lebewesen in freier Wildbahn meistens nicht an Altersschwäche stirbt, sondern Umweltgefahren und natürlichen Feinden erliegt. Tiere mit kurzer Lebensspanne bringen daher viele Nachkommen auf einmal zur Welt. Andere - wie der Mensch - leben länger und haben eine geringe Reproduktionsrate. Ginge es nur um die Arterhaltung, gäbe es keinen Grund, weshalb der Mensch älter als vierzig Jahre werden sollte.
Nach der Evolutionstheorie haben Alter und Sterben den Sinn, dass es zu einer Konkurrenzentschärfung zwischen den Generationen kommen kann. Doch wie altern Organismen? Theorien dazu gibt es genug (siehe Titelbeitrag in PZ 44/02).
Telomere, Zündschnur des Lebens
Eine dieser Theorien ist die Telomerverlust-Theorie. Sie ist heute eine anerkannte Alterungstheorie, die von Alexy Olovnikov 1973 geäußert (3) und 1991 von Carl Harley wissenschaftlich untermauert wurde (4). An den Enden der Chromosomen befinden sich spezifische DNA-Endstrukturen, die als Telomere (vom Griechischen telos = Ende, meros = Teil) bezeichnet werden.
Die Telomere sind für die Gerontologen interessant, da zwischen ihrer Länge und dem Alterungsprozess direkte Zusammenhänge gefunden wurden. Experimente in Zellkulturen ergaben, dass ihre Länge mit jeder Zellteilung abnimmt. Verkürzte Telomere sind für Seneszenzerscheinungen charakteristisch. So kann man von der Länge der Fibroblasten-Telomere direkt auf das Alter des Menschen schließen (5).
Diese Theorie von Harley wurde als »molekulare Uhren-Theorie« bekannt. Er erkannte bald, dass eine Regulation über die Zellteilung (Mitose) erfolgt und stützte sich auf frühere Beobachtungen von Leonard Hayflick (6). Dieser stellte in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in In-vitro-Versuchen erstmals fest, dass sich Bindegewebszellen nur rund 50-mal teilen können, bevor sie sterben. Zu Ehren des Forschers spricht man von der Hayflick-Zahl.
Probleme bei der DNA-Replikation
Die Grundlage für die mitotische Zellteilung ist die DNA-Replikation, die Verdopplung des Erbmaterials. Liegt die Erbinformation - wie bei den meisten Eukaryonten - stabförmig auf Chromosomen und Chromatiden vor, treten bei der Replikation an den Chromosomen-Enden Probleme auf.
Die Basenfolge der Einzelstränge im DNA-Doppelstrang ist zu einander komplementär. Zur Orientierung benutzt der Molekularbiologie die Bezeichnung 5´ und 3´. Das heißt, einmal befindet sich am fünften C-Atom ein Phosphat und am dritten C-Atom des entsprechenden Nukleotids eine Hydroxylgruppe des Zuckers. Besonders problematisch ist der 5'-3'-Strang, der eine Ablesung in 3'-5'- Richtung auf der DNA erfordert. Das Enzym Polymerase III kann neue Basen jedoch nur an das 3'-Ende knüpfen, da es an einer freien OH-Gruppe ansetzen muss. Dies löst die Natur für den komplementären Strang durch die so genannten Okazakifragmente.
Zum anderen braucht die Polymerase als Startpunkt einen Primer (Starter), da sie - ähnlich wie ein Reißverschluss - nicht de novo starten kann. Diese kleinen Startmoleküle bestehen aus 20 bis 30 RNA-Nukleotiden. Da die Primer aus RNA und nicht aus DNA bestehen, werden sie am Ende der Replikation von einem anderen Enzym, der Polymerase I, gegen DNA ausgetauscht. Dabei bleibt allerdings am 5´-Strangende ein Stück, das nicht ausgewechselt werden kann, da das Enzym keinen Anknüpfungspunkt findet. Dadurch verkürzt sich das Chromosom mit jeder Replikation um die Länge eines Primers.
Bei Eukaryonten sorgen Telomere dafür, dass die bei jeder Zellteilung eintretende Verkürzung des Chromosoms nicht in informationstragende Bereiche (Gene) fällt. Telomere sind sich wiederholende kurze DNA-Sequenzen ohne genetische Information. Bei fast allen Lebewesen besteht ein Telomer aus sechs Basen beziehungsweise Nukleotiden. Bei allen untersuchten Wirbeltieren wurde die Sequenz TTAGGG gefunden.
An den äußersten Enden menschlicher Chromosomen wiederholt sich diese Sequenzen durchschnittlich 2000-mal, das heißt, die Zelle kann sich theoretisch circa 2000-mal teilen, bevor die Schutzkappe verbraucht ist. Bei jeder Zellteilung werden ein bis zwei Telomer-Sätze verbraucht. Wenn eine Zelle alle »Kopierabschnitte« aufgebraucht hat, kommt es zum programmierten Zelltod (Apoptose), bevor jede weitere Zellteilung in informationstragende Bereiche fallen würde.
Superenzym Telomerase
Ein langes Leben verspricht Michael Fossel in seinem Buch »Das Unsterblichkeits-Enzym« (7). Er meint, mit der Entdeckung des Schalters Telomer ein Mittel in der Hand zu haben, das die biologische Uhr zurückzudrehen oder gar anzuhalten vermag.
Krebszellen besitzen zum Beispiel einen speziellen Schutzmechanismus gegen die tickende Zeitbombe. Ein spezifisches Enzym, das die Chromosomen-Enden, also die Telomere, immer wieder mit Nukleotiden verlängert, macht sie »unsterblich«. Wieder war es Carl Harley, Forscher der heutigen amerikanischen Firma Gereon Corporation, der das Enzym entdeckte (8).
Das Enzym Telomerase enthält einen Abschnitt, der Basenpaarungen mit der Telomer-Sequenz eingehen kann. Überstehende DNA-Sequenzen dienen als Matrize für die neue DNA-Herstellung. Bei den meisten menschlichen Zellen ist die Telomerase nur während der frühen Embryonalentwicklung aktiv und wird nach Synthese ausreichend langer Telomerwiederholungen abgeschaltet. In Keimbahnzellen und einigen Zellen des Immunsystems bleibt sie jedoch länger aktiv, um die Telomere auf konstanter Länge zu halten.
Harley brachte das klonierte menschliche Telomerase-Gen mit Hilfe gentechnischer Methoden in Bindegewebszellen ein (9). Dadurch konnte er deren Zellteilungsfähigkeit verzehnfachen und die Hayflick-Zahl durchbrechen. Fossel geht in seinem Buch noch weiter: Man könne an den Zellen Kappen anbringen, die den Abbau der Telomere verhindern, Telomerasen zuführen oder die für das Protein kodierenden Gene in die Zellen einschleusen, so dass die abgebauten Telomere immer wieder ergänzt werden.
Kampf gegen Krebszellen
Krebszellen vermehren sich unkontrolliert und bedrohen so die Integrität des Körpers (10). In fast allen Diagnostiklaboren gilt die Telomerase-Aktivität heute als Indikator für Krebs (11). Außerdem konnten Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen der Aggressivität eines Tumors und der Telomerase-Aktivität direkt nachweisen. Bis auf wenige Krebszelllinien besitzen alle das Enzym.
Recht früh hatten die Forscher die Idee, das Enzym in seiner Aktivität zu hemmen, um so den wuchernden Zellen Einhalt zu gebieten. Wissenschaftler der Universität Texas konnten dies im Experiment zeigen: Kulturen von Brustkrebs- und Prostatakrebszellen starben ab, nachdem ihre Telomerase gezielt gehemmt wurde (12, 13). Dazu blockierten sie die DNA-Kopiervorlage der Telomerase mit passenden Gegenstücken aus synthetischen kurzen DNA-Abschnitten; diese komplementären Einzelstränge sind bereits in geringer Konzentration als starke Telomerase-Inhibitoren wirksam.
Die Forscher hoffen, damit ein neues Zielenzym für die Behandlung von Krebs gefunden zu haben. Die ersten Tierversuche sollen folgen.
Ist es wirklich so einfach? Einige Forscher glauben, dass die Zusammenhänge weitaus komplexer sind. Gegen die Telomerase-Theorie sprechen jüngste Untersuchungen an Pflanzen, deren Lebensfähigkeit trotz Schäden an den Telomeren kaum eingeschränkt ist. Dies zeigten kürzlich US-Wissenschaftler bei der Hauspflanze der Gentechniker, dem Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana). Das Forscherteam um Dorothy Shippen von der Texas A & M University stellten gentechnisch Arabidopsis-Mutanten her, die die Telomerase nicht mehr bildeten (14). Die Telomere in den Mutanten gingen nach und nach verloren. Trotzdem blieben die Pflanzen beinahe uneingeschränkt weiter lebensfähig. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu den bisherigen Erkenntnissen an tierischen Zellen, für die die Telomere als molekulare Uhren erachtet werden.
Altern im Zeitraffer
Ein seltenes Leiden namens Progerie (aus dem Lateinischen »pro« und dem Griechischen »geraios«, vorzeitiges Altern) erregt seit seiner Entdeckung die Aufmerksamkeit der Gerontologen. Progerie ist eine grausame Krankheit. Sie lässt Kinder und junge Menschen im Zeitraffer altern. Progerie-Kranke werden als Kleinkinder oder 20-Jährige gebrechlich, bekommen Herzinfarkte, leiden an Alzheimer und sterben mit 19 bis 40 Jahren an den Folgen von Altersschwäche oder den damit verbundenen Krankheiten.
Weltweit gibt es nur wenige Betroffene; das Syndrom kommt etwa einmal auf vier Millionen Geburten vor. Dennoch ist die Gerontologie an dieser Krankheit sehr interessiert (15). Denn die Erkrankung beweise, dass das Alter in den Genen festgeschrieben ist, meinen die Wissenschaftler.
Progeria infantum oder das Hutchinson-Gilford-Syndrom ist ein greisenhafter Zwergwuchs, der wahrscheinlich nicht vererbt wird. Bei dieser Form kommt es noch vor dem dritten Lebensjahr zum Wachstumsstillstand und zu einer rapiden Vergreisung, verbunden mit Minderwuchs und multiplen Fehlbildungen. Außerdem kennzeichnen eine runzelig-pergamentartige Haut, ergrautes Kopfhaar mit Glatzenbildung, Nageldystrophien, eine Permanenz des Milchgebisses, Muskel- und Genitalhypoplasie, aber auch Osteoporose, Arthrosen und verstärkte Kopfvenenzeichnung die Krankheit (16).
Bei einer anderen Form, dem Werner-Syndrom oder Progeria adultorum, beginnt die Alterungsbeschleunigung erst ab dem zwanzigsten Lebensjahr. Das seltene Syndrom tritt besonders in Japan auf und wird autosomal-rezessiv vererbt. Die Hauptsymptome sind Sklerodermie-artige Hautveränderungen mit Verkalkungen, mageres Greisengesicht, allgemeine Gefäßsklerose, Katarakt, Diabetes mellitus, vorzeitige Impotenz und Menopause (17).
Das Hutchinson-Gilford-Syndrom entsteht wahrscheinlich durch spontane Mutationen im Erbgut. Beim Werner-Syndrom konnte bereits gezeigt werden, dass eine Replikationsstörung zugrunde liegt (18). Dabei ist die Aktivität der Helicase stark eingeschränkt. Dieses Enzym ist dafür zuständig, die spiralig gedrehte DNA für die Replikation sorgsam zu entflechten. Bei Menschen mit der Werner-Krankheit ist das Helicase-Gen mutiert, sodass das gebildete Enzym nicht mehr richtig arbeitet und die DNA nicht entspiralisiert werden kann. Durch diese Dysfunktion kann die DNA-Replikation nicht vollständig erfolgen.
Da sich der Verdacht verstärkt, dass die Lebenszeit im Erbgut festgelegt ist, suchen Forscher nach weiteren »molekularen Uhren« beim Menschen. Gene, die dafür in Betracht kommen, hat man zumindest bei Versuchstieren längst ausfindig gemacht (19).
So haben amerikanische Wissenschaftler ein Gen bei Nagern nachgewiesen, das die Lebenserwartung stark beeinflusst. Mäuse, denen dieses Gen fehlt, starben bedeutend früher. Ihre Zellen waren nicht mehr ausreichend gegen schädigende hochreaktive Sauerstoffverbindungen (freie Radikale) und oxidativen Stress geschützt. Das beschleunigte den Alterungsprozess. Das wichtige Gen kodiert für das Enzym Methionin-Sulfoxid-Reduktase, kurz MsrA. Dieses kann als Reparaturenzym einige der entstandenen oxidativen Schäden im Erbgut beheben.
Genverlust macht Zellen alt
Wissenschaftler um Earl Stadtman vom National Institute of Health (NIH) in Bethesda, USA, untersuchten Mäuse, denen das MsrA-Gen fehlt (20). Die genmanipulierten Tiere waren weitaus anfälliger gegen oxidativen Stress als Vergleichstiere. Der Genverlust verkürzte die maximale Lebensspanne um 40 Prozent. Die Forscher konnten erstmals nachweisen, dass der Verlust eines einzelnen Gens die Lebenserwartung so drastisch verringert - wenn auch auf indirektem Weg. Gleichzeitig entstand die Idee, den im Alter nachlassenden Schutz vor freien Radikalen durch Ankurbeln der MsrA-Aktivität zu stabilisieren. Entsprechende Wirkstoffe könnten altersbedingte Erkrankungen verhindern und damit den Alterungsprozess vielleicht insgesamt verlangsamen.
Dass vielleicht nur ein Gen die Teilung und Alterung von Zellen reguliert, beweisen noch weitere Experimente. Das fragliche Gen soll viele Gene, die an der Alterung und typischen Erkrankungen wie Arthritis, Alzheimer oder Herzerkrankungen beteiligt sind, kontrollieren, meinen Wissenschaftler von der Universität Illinois in Chicago. Haben sie den Schlüssel zur Alterung gefunden?
Das Gen p21 war Forschern bereits als Kontrolleur des Zellzyklusses vielfach bekannt. Das entsprechende Protein dient als Wächter und stoppt weitere Zellteilungen, wenn sich in der Erbsubstanz zu viele Fehler befinden. Zudem leitet es den biologischen Alterungsprozess ein. In vitro konnten die Forscher beobachteten, was passiert, wenn das p21-Gen aktiv wird. Es legte rund vierzig Gene lahm und aktivierte gleichzeitig etwa fünfzig andere Gene. Davon kodieren zwanzig Gene für Proteine, die die Zellen nach außen schleusen (21). Manche stimulieren das Wachstum und somit die Teilung benachbarter Zellen. P21 steht damit im Verdacht, das Wachsen von Tumoren fördern zu können.
Jetzt wollen die Forscher herausfinden, wie p21 im menschlichen Gewebe funktioniert, um später eventuell einen Wirkstoff zu finden, mit dem man die Aktivität von p21 kontrollieren und vielleicht Krebs verhindern kann.
Anders dagegen Richard Lerner und Kollegen vom Scripps Research Institute in La Jolla in Kalifornien. Sie haben mehrere Gene beim Menschen gefunden, die am natürlichen Alterungsprozess beteiligt sind (22). Die Forscher hatten Personen aller Altersgruppen sowie Progerie-Patienten untersucht. Dabei identifizierten sie 61 Gene, deren Aktivität bei Jugendlichen nur halb so groß ist wie bei Menschen im besten Alter. Ein Viertel dieser Gene kodiert für Proteine, die die Zellteilung beeinflussen, wie das Mitotische Centromer-assoziierte Kinesingen (MCAK). Ein weiteres Drittel ist für die Gestaltung der zellulären Architektur wichtig, zum Beispiel Gene für die extrazelluläre Matrix wie Stromelysin-2-Gen und Proteoglykan-Zelladhäsionsgen. Außerdem sollen viele Gene eine Rolle bei einem großen Spektrum von Alterskrankheiten spielen, so Presenilin 1 und 2 bei familiärer Alzheimer-Demenz. Mit der Entdeckung spezifischer Gene bei Labortieren ist es einigen Wissenschaftlern längst gelungen, Mäuse, Würmer und Fruchtfliegen zu erschaffen, die das Siebenfache ihrer natürlichen Lebensspanne erreichen - tierische Methusalems.
Methusalem Fadenwurm
Caenorhabditis elegans, ein etwa einen Millimeter großes Tier, treibt normalerweise in Blumen- und Gartenerde sein Unwesen. Der Fadenwurm war das erste vielzellige Lebewesen, dessen Erbgut vor einigen Jahren vollständig entziffert wurde. Außerdem kommt mehr als die Hälfte der Wurmgene in ähnlicher Form auch im Humangenom vor.
Die Biochemikerin Cynthia Kenyon von der Universität Kalifornien in San Francisco hat vor einigen Jahren entdeckt, dass sie Methusalem-Nematoden züchten kann, wenn sie bei den Tieren ein Gen namens daf-2 deaktiviert (23). Diese Fadenwürmer leben mehr als doppelt so lange wie ihre Artgenossen, das heißt rund vier bis fünf Wochen.
Möglicherweise reguliert nur ein Gen, nämlich daf-2, bei den Fadenwürmern das gesamte Altern. Bislang weiß man nur, dass daf-2 die Information für ein Oberflächen-Rezeptorprotein beinhaltet. Man vermutet, dass es einen noch unentdeckten Signalstoff im Körper der Nematoden geben muss, der an diesen Rezeptor bindet und dadurch den Zellen den Takt des Alterns vorgibt.
Andere Wissenschaftler schufen Methusalem-Würmer, indem sie das Enzym Katalase über die normale Menge hinaus von den Tierchen selbst produzieren ließen (24). Würmer, die das Gen CLT-1 tragen, bildeten mehr Katalase und konnten zwei- bis viermal so alt werden wie ihre Artgenossen. Katalasen können oxidative Schäden an Zellen verhindern, indem sie Radikale wie Wasserstoffperoxid neutralisieren.
Dass es einmal möglich sein wird, Alterungsprozesse auszuschalten, glauben skeptische Forscher indes nicht mehr. Dazu würden zu viele biologische Prozesse das menschliche Altern bestimmen und beeinflussen. Außerdem müssten die im Tierreich gefundenen Gene erst beim Menschen entdeckt und ihre Funktion entschlüsselt werden. Ein Beispiel ist »indy«. Das Gen »indy«, das für einen Natrium-Dicarboxylat-Cotransporter bei Säugetieren kodiert, der Intermediate aus dem Krebszyklus transportiert, hat in mehrfach mutierter Form das Dasein der Taufliege Drosophila melanogaster verdoppelt (25). Es soll bereits Hinweise geben, wo das Gegenstück von indy im menschlichen Erbgut zu finden ist (26). Mit Sicherheit aber, so meinen die Forscher, lege kein einzelnes Gen unwiederbringlich fest, dass das Menschenleben nach einer bestimmten Anzahl von Jahren zu Ende ist.
Bis weitere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, gilt eine alte Binsenweisheit mit einem sichtlich wahren Kern. Wessen Großeltern und Eltern alt geworden sind, der hat auch selbst gute Chancen auf ein langes Leben.
Literatur
Weitere Literatur
Die Autorin
Britta Urmoneit studierte Biologie an der Freien Universität Berlin und fertigte ihre Diplomarbeit am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik an. Anschließend arbeitete sie bei der Schering AG, Abteilung ZNS-Forschung, an ihrer Promotion über die Molekularbiologie der Alzheimer-Krankheit. 1996 begann Dr. Urmoneit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem DFG-Teilprojekt an der Neurologischen Klinik der Universität Düsseldorf. Seit Frühjahr 2000 ist sie als Dozentin an einem höheren Berufskolleg für technische Berufe in Köln tätig und dort für den Bereich Gentechnik und Molekularbiologie zuständig. Als freie Wissenschaftsjournalistin arbeitet sie seit 1997 für Zeitungen, Zeitschriften und Verlage.
Anschrift der Verfasserin:
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