Titel
Die Annahme, daß Körper und Seele miteinander kommunizieren
können, ist nicht neu. Hinweise darauf, daß der Wille beziehungsweise der
psychische Zustand wenn auch nicht die Entstehung, so aber durchaus den
Verlauf körperlicher Erkrankungen beeinflussen kann, kamen zunächst aus
dem Bereich der Erfahrungsmedizin, wurden jedoch von der wissenschaftlich
orientierten Medizin lange Zeit sehr skeptisch gesehen.
Das änderte sich erst, als auch strengeren wissenschaftlichen Ansprüchen genügende
klinische Untersuchungen erste Evidenzen erbrachten, daß zum Beispiel
Persönlichkeitsfaktoren oder psychiatrische Erkrankungen (vor allen Dingen
Depressionen), aber auch Maßnahmen wie Psychotherapie unter anderem den
Verlauf von Tumorerkrankungen modulieren können. Auch die Homöopathie und
die Placebowirkung müssen vor dem Hintergrund dieser Phänomene gesehen
werden.
Als Verbindungsglied zwischen psychischen Faktoren und peripheren Störungen
hatte man sehr bald das Immunsystem identifiziert, da Persönlichkeitsfaktoren und
psychische Krankheiten auch auf die Aktivität des peripheren Immunsystems
modulierend einwirken können. Diese Erkenntnisse führten zur Etablierung der
Forschungsrichtung der Psychoneuroimmunologie, die sich gezielt mit psychischen
Einflüssen auf das Immunsystem, umgekehrt aber auch mit Einflüssen
immunologischer Faktoren auf psychische Funktionen beschäftigt.
Die Verbindung zwischen Psyche und Immunsystem ließ es sehr wahrscheinlich
erscheinen, daß psychische Einflüsse auf den Verlauf organischer Erkrankungen
über eine Modulation der zellulären Immunantwort vermittelt werden. Dieser Ansatz
hat aber zunächst die Frage offengelassen, über welche Mechanismen psychische
beziehungsweise zentralnervöse Störungen oder Beeinflussungen periphere
Immunantworten modulieren können. Viele der psychischen Faktoren führen letztlich
zu Veränderungen der Streßantwort. Als ein wesentlicher Aspekt der Streßantwort
ist die Aktivierung des Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Systems zu
sehen, das über Regelkreise im Zentralen Nervensystem (Hypothalamus) und über
Steuerzentren in der Hypophyse zu einer peripheren Freisetzung von
Glucocorticoiden aus der Nebennierenrinde führt.
Die Glucocorticoide spielen eine wichtige Rolle in der Modulation der peripheren
Immunantwort und führen was sie für die Psychoneuroimmunologie besonders
interessant macht zu einer peripheren Freisetzung von Cytokinen, die als
Botenstoffe des Immunsystems wiederum periphere Immunantworten modulieren.
Darüber hinaus bewirkt das aktivierte Immunsystem einen verstärkten Transport von
Cytokinen in das Zentralnervensystem (ZNS), wo durch die Aktivierung der
Gliazellen wiederum zusätzlich Cytokine freigesetzt werden können.
Wir wissen heute, daß diese Cytokine ferner im ZNS eine Reihe von
modulatorischen Effekten auf die Mechanismen der Neurotransmission bewirken
können, darunter auch an Strukturen, die ihrerseits wiederum die periphere
Streßantwort zu modulieren scheinen. Damit kann auch das Immunsystem die
Psyche beeinflussen, und der Regelkreis zwischen zentralnervöser Funktion und
peripherem Immunsystem schließt sich.
PZ-Titelbeitrag von Walter E. Müller und Karsten Velbinger, Frankfurt am
Main


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