Therapiefenster für neues Medikament nicht verpassen |
Daniela Hüttemann |
16.04.2025 15:30 Uhr |
Wer sich neuerdings viele Dinge nicht mehr merken kann und Probleme mit Alltagsaktivitäten entwickelt, sollte dies bei seinem Hausarzt ansprechen. / © Getty Images/Tara Moore
Das Licht angelassen, den Schlüssel verlegt, beim Einkauf etwas vergessen: Nur ein bisschen vergesslich oder frühe Anzeichen einer Alzheimer-Demenz? Während manche Menschen hier überängstlich sein können, verdrängen andere ein drohendes Problem oder vertuschen es vor Mitmenschen. Angesichts künftiger Therapiemöglichkeiten kann letzteres wertvolle Zeit verschwenden.
Mit Lecanemab hat die EU-Kommission am gestrigen Dienstag einen Antikörper zugelassen, der das Fortschreiten einer Alzheimer-Demenz verzögern kann – aber nur, wenn diese sehr früh diagnostiziert wird und bei milden kognitiven Einschränkungen. »Das ist ein Erkrankungsstadium, das viele Betroffene noch nicht bemerken – oder auch nicht wahrhaben wollen – und in dem sie die Symptome mit Stress, Burnout oder anderen Lebensumständen erklären«, bemerkt Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), in einer Pressemitteilung seiner Fachgesellschaft zur Zulassung.
Tatsächlich wurde bislang dann erst einmal abgewartet, auch weil die bisherigen Therapiemöglichkeiten stark begrenzt sind. Doch selbst, wenn zu einer Abklärung geraten werde, sei die Versorgungsrealität so, dass Facharzttermine oft nicht zeitnah zu bekommen sind. »Wir befürchten daher, dass viele Betroffene das Therapiefenster verpassen könnten«, so Berlit. Die Versorgungsstrukturen müssten so ausgeweitet werden, dass jeder Verdachtsfall zeitnah abgeklärt werden kann. Aber wie bekommt unser Gesundheitssystem das hin?
Die DGN schlägt vor, die Hausarztpraxen stärker einzubeziehen. Diese müssten stärker für das Problem sensibilisiert werden und sollten für die aufwendige Erstdiagnostik auch finanziell honoriert werden. »Die erste diagnostische Abklärung ist zeitintensiv, das ist nicht ›nebenbei‹ zu leisten«, unterstreicht der DGN-Generalsekretär. »Eine gute Selektion der Patientinnen und Patienten ist aber wichtig, um die knappen fachärztlichen Ressourcen optimal zu nutzen und die weiterführende Diagnostik mit Untersuchung des Nervenwassers, Bildgebung und genetischer Testung nicht zu überfordern.«
Diese Untersuchungen sind vorgeschrieben, um Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn nachzuweisen und das Vorliegen einer doppelten Ausführung der ApoE4-Genvariante auszuschließen, denn ansonsten ist das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen unter Lecanemab zu hoch.
Die Behandlung kann laut Alzheimer-Forschungs-Initiative zunächst voraussichtlich nur in Unikliniken und spezialisierten Fachpraxen durchgeführt werden, die die nötige Expertise und technische Ausstattung haben. Der Antikörper muss alle zwei Wochen als einstündige Infusion verabreicht werden. Dafür müssen die Patienten ausreichend mobil und belastbar sein. Laut DGN wurde in den USA bereits die Zulassung für eine subkutane Darreichungsform beantragt.
Die Neurologen fordern zudem Präventionskampagnen, damit bestehende Tabus im Umgang mit Alzheimer überwunden und die Menschen für erste Symptome des kognitiven Abbaus sensibilisiert werden. Hier nicht genannt, aber denkbar wären auch Angebote in öffentlichen Apotheken. Hier fragen Betroffene mit ersten Anzeichen häufig nach Mitteln gegen Vergesslichkeit wie Ginkgo oder berichten über kognitive Probleme im Rahmen von Medikationsanalysen. Worauf Apothekenpersonal achten sollte und was dann zu tun ist, ist hier nachzulesen. Übrigens muss nicht immer hinter ersten Symptomen eine tatsächliche (Alzheimer-)Demenz stecken. Auch deshalb ist eine frühe Abklärung ratsam.