Therapeutische Antikörper im eigenen Körper produzieren |
Theo Dingermann |
23.05.2024 09:07 Uhr |
An einer neuen Generation von Antikörpern, die zelltötende T-Zellen in die Nähe von Tumorzellen bringen, arbeitet das Unternehmen Biontech. / Foto: Adobe Stock/fusebulb
Die Idee, besonders scharfe Waffen des Immunsystems an einen Tumor zu locken, ist nicht neu. Bereits zugelassen sind bispezifische Antikörper, die an ihren hochvariablen N-terminalen Regionen der beiden Antikörperarme jeweils zwei unterschiedliche Spezifitäten besitzen. Dadurch binden sie beispielsweise mit dem einen Arm an einen Tumor und mit dem anderen an eine T-Zelle und bringen diese in Kontakt. Allerdings ist es sehr aufwendig, solche Antikörper in der benötigten Menge und Reinheit herzustellen.
Einen neuartigen Ansatz verfolgt Biontech mit sogenannten RiboMab-Kandidaten (mRNA, die für bispezifische monoklonale Antikörper (mAb) kodiert). Mit diesen wird dem menschlichen Körper direkt ein mRNA-kodierter Bauplan für therapeutische Antikörper zur Verfügung gestellt. Von der körpereigenen Produktion erhofft sich das Unternehmen unter anderem, dass sich unerwünschte Immunreaktion gegen den therapeutischen Antikörper selbst minimieren.
Forschende um Dr. Christiane Stadler vom Biontech berichten nun über präklinische Studien ihres Lipid-Nanopartikel(LNP)-formulierten mRNA-Präparats BNT142, das für den bispezifischen, gegen Claudin 6 (CLDN6) gerichteten T-Zell-Engager RiboMab02.1 kodiert. RiboMab02.1 gehört zu einer neuen Generation von bispezifischen Antikörpern, die auch als Tribodies bezeichnet werden.
Im Gegensatz zu klassischen bispezifischen Antikörpern, bei denen zwei unterschiedliche variable Regionen an den N-Termini der beiden Proteinketten an unterschiedliche molekulare Zielstrukturen binden, sind Tribodies so konstruiert, dass sie an den N-Termini zwei identische einkettige Bindungsdomänen (single chain fv) tragen, die im Fall von RiboMab02.1 an CLDN6 binden und an den C-Termini eine Sequenz tragen, die an die CD3-Komponente des T-Zell-Rezeptors bindet (CD3×[CLDN6]2).
Die beiden Proteinketten werden in BNT142 von zwei modifizierten mRNA kodiert, deren beide Proteinprodukte sich dann zu dem antikörperähnlichen Tribody zusammenlagern. Die Ergebnisse zu den präklinischen Eigenschaften von BNT142 in Mäusen und Makaken wurden jetzt in der Fachzeitschrift »Science Translational Medicine« veröffentlicht.
Das Oberflächenprotein CLDN6 ist ein onkofetales Antigen, das auf verschiedenen soliden Tumoren wie Hoden- und Eierstockkrebs exprimiert wird, in normalem Gewebe von Erwachsenen jedoch fehlt. Bindet RiboMab02.1 an diesen Marker, lenkt es gleichzeitig über seine zweite, CD3-spezifische Bindungseigenschaft T-Zellen in Richtung Tumor.
BNT142 wird intravenös verabreicht. Nach Aufnahme des Lipid-Nanopartikels in eine Zelle wird die RNA translatiert und der assemblierte Tribody gebildet und in therapeutisch relevanten Konzentrationen ins Serum sezerniert. Dort vermittelt RiboMab02.1 die Aktivierung und Proliferation von T-Zellen, die spezifisch CLDN6-exprimierende Tumorzellen erkennen. Die Tumorzellen werden effizient abgetötet.
In präklinischen Studien mit BNT142 zeigte sich, dass der RiboMab02.1-Antikörper in Mäusen länger nachweisbar war, wenn er im Tier durch Ablesen einer entsprechenden mRNA synthetisiert wurde, verglichen mit der Applikation eines sequenzidentischen Proteins. Darüber hinaus reichten wöchentliche Injektionen von BNT142-RNA-LNP im Dosisbereich von 0,1 bis 1 µg bei Mäusen aus, um CLDN6-positive subkutane humane Xenotransplantat-Tumoren zu eliminieren und die Überlebensrate der Tiere im Vergleich zu Kontrollen zu erhöhen.
Bemerkenswert war auch, dass BNT142 in einem humanisierten Mausmodell mit CLDN6-positiven Tumoren nur eine vorübergehende und eher geringe Zytokinproduktion induzierte. Anzeichen für unerwünschte Wirkungen der Verabreichung von BNT142 RNA-LNP wurden weder bei Mäusen noch bei Makaken beobachtet.
Basierend auf den positiven Ergebnissen der präklinischen Studie wurde eine erste klinische Phase-I/II-Studie am Menschen gestartet, um die Sicherheit und vorläufige Wirksamkeit von BNT142 RNA-LNP bei Patienten mit CLDN6-positiven fortgeschrittenen soliden Tumoren zu untersuchen (NCT05262530). Eingeschlossen werden Patienten mit fortgeschrittenem/metastasiertem CLDN6-positiven Hoden-, Eierstock-, Endometrium- und nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC).
CLDN6 ist auch der Angriffspunkt eines weiteren Kandidaten von Biontech. BNT211 ist eine autologe CAR-T-Zelltherapie, die gegen das Antigen CLDN6 gerichtet ist. In einer Phase-I/II-Studie wird sie bei Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren allein oder in Kombination mit einem für CLDN6-kodierenden CAR-T-Zellen-verstärkenden mRNA-Impfstoff untersucht. Der Impfstoff CARVac (für CAR-T Cell Amplifying RNA Vaccine) soll die Persistenz und Funktionalität der übertragenen Zellen verbessern. Insgesamt hat das Unternehmen etwa 20 Kandidaten für Krebstherapeutika mit unterschiedlichsten Ansätzen in der klinischen Entwicklung.