Syrische Apotheker werden gebraucht |
Cornelia Dölger |
12.12.2024 13:00 Uhr |
Freude nach dem Sturz von Syriens Machthaber Bashar al-Assad: Auch in Deutschland feierten die Menschen, hier in Duisburg. / © picture alliance/dpa
Auch Tage nach dem Sturz von Machthaber Bashar al-Assad ist die Lage in Syrien instabil. Zwar bereitet sich das kriegsgeschundene Land auf einen Machtwechsel vor und installierte mit Mohammed al-Baschir einen Übergangsregierungschef, aber noch ist nicht abzuschätzen, wie viel Rückhalt die neue Führung im Land hat.
Trotz aller Unsicherheit rief der neue Ministerpräsident seine Landsleute weltweit zur Rückkehr auf – was in Berlin prompt auf Widerstand stieß. So warnte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vor dramatischen Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt, insbesondere im Gesundheitssektor. »Es würden ganze Bereiche im Gesundheitssektor wegfallen, wenn jetzt alle Syrer, die hier arbeiten, unser Land verlassen würden«, sagte die SPD-Politikerin.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisierte die Rückkehrforderungen; die Debatte sei parteipolitischer Wahlkampf und müsse die Menschen »zutiefst enttäuschen und verunsichern«, postete er bei Instagram. »In Deutschland arbeiten derzeit mehr als 6000 Ärzte aus Syrien. Sie sind voll integriert und für die Versorgung unabkömmlich.«
Unabhängig davon, ob die Diskussion über eine Rückkehr in ein am Boden liegendes Land angebracht ist, das den Krieg gerade erst überwunden hat und dessen Zukunft ungewiss ist: Viele Menschen aus Syrien empfinden Deutschland als ihr Zuhause und denken nicht sofort an eine Rückkehr, nur weil das Assad-Regime gestürzt wurde. Davon berichten auch zwei aus Syrien stammende Apotheker, die in Ostwestfalen vier Apotheken führen.
Nadim Shebli und Hadi Faddoul, die vor zehn Jahren als Pharmaziestudenten nach Deutschland kamen, sind in Bielefeld und Detmold inzwischen verwurzelt, auch wenn sie ihr Herkunftsland vermissen. Sie hätten sich »nicht nur erfolgreich integriert, sondern uns auch tief in das deutsche Arbeits- und Lebenssystem eingefunden«, berichteten sie der PZ.
Die Frage der Rückkehr sei komplex und hänge von vielen Faktoren ab, etwa der persönlichen Integration, den beruflichen Perspektiven und den individuellen Lebensumständen. »Für uns persönlich steht fest, dass eine Rückkehr aktuell nicht infrage kommt. Wir haben in Deutschland Wurzeln geschlagen, sowohl beruflich als auch privat, und vieles erreicht, was in Syrien unter den aktuellen Bedingungen kaum möglich wäre.«
Hadi Faddoul (li.) und Nadim Shebli führen vier Apotheken in Ostwestfalen. Sie haben in Deutschland privat und beruflich Wurzeln geschlagen. / © privat
Ein ähnliches Bild habe eine kleine private Umfrage unter syrischen Apothekerinnen und Apothekern in Deutschland ergeben. Innerhalb einer Facebook-Gruppe mit bundesweit etwa 170 Teilnehmenden sei die Meinung einhellig: Vieles hänge nicht nur von der weiteren Entwicklung des Landes ab, sondern von individuellen Bedingungen. Doch eines sei klar, so Shebli und Faddoul: »Deutschland bleibt für viele Fachkräfte attraktiv, und das spiegelt sich auch in den Anfragen syrischer Pharmazeuten wider, die weiterhin nach Deutschland kommen möchten.«
Aus Syrien stammende Approbierte spielten eine wichtige Rolle für das Apothekengefüge. Basierend auf Zahlen der Landesapothekerkammern haben die beiden Apotheker aufsummiert, wie viele Betriebsübernahmen durch syrischstämmige Approbierte es zwischen 2021 und 2023 gab. In den Kammerbezirken Nordrhein, Westfalen-Lippe, Niedersachsen, Hessen, Sachsen, Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg waren es demnach insgesamt fast 100, bei einer Gesamtzahl von rund 900. Zwischen 2017 und 2022 hätten zudem bundesweit mehr als 2000 Apothekerinnen und Apotheker, die aus Syrien kommen, die Fachsprachenprüfung abgelegt.
Mit der Absicht, sich weiterhin in Deutschland zu engagieren, entsprechen Shebli und Faddoul den Hoffnungen der Thüringer Apothekerkammer. Denn auch diese befürchtet erhebliche Engpässe, falls die syrischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten das Land wieder verlassen sollten. Die Fachkräfte seien »praktisch unverzichtbar für Thüringen«, heißt es in einer Mitteilung. Knapp drei Prozent der Apothekerinnen und Apotheker im Land stammten aus Syrien.
Die Kammer wies darauf hin, dass politische Forderungen nach einer Rückkehr mit Risiken und ganz konkreten Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung in Thüringen verbunden seien. So verdiene es zwar Respekt, wenn sich Kolleginnen und Kollegen zu einer Rückkehr entschlössen, so Geschäftsführer Danny Neidel. Aber: »Uns muss klar sein, dass jede Kollegin und jeder Kollege, die diese Aufgabe annimmt, bei uns eine menschliche und fachliche Lücke hinterlässt.«
Weitere Lücken im Versorgungsnetz könne sich Thüringen nicht erlauben. Seit 2008 hätten 24 Thüringer Orte und Gemeinden ihre Apotheke verloren, oftmals wegen fehlender Nachfolger. Auch hier würde eine Rückkehr vieler Fachkräfte nach Syrien das Problem weiter verschärfen.
Gleichzeitig fehlen Fachkräfte natürlich auch vor Ort in Syrien. Die Versorgungssituation sei kritisch, so Shebli und Faddoul. Das Land leide unter den wirtschaftlichen Folgen von mehr als einem Jahrzehnt Krieg und dem massiven Fachkräftemangel, da viele hochqualifizierte Syrer das Land verlassen hätten. Die Infrastruktur müsse dringend erneuert und in allen Bereichen wiederaufgebaut werden. »Wir hoffen, dass die internationale Gemeinschaft – insbesondere der Westen – in den Wiederaufbau Syriens investiert.«