»Stoppen Sie diese Reform!« |
Mehr als 700 Menschen versammelten sich vor der Staatskanzlei in Erfurt. / Foto: Foto: PZ/Dölger
Stefan Fink, der Vorsitzende des Thüringer Apothekerverbands (ThAV), machte den Aufschlag. »Danke, dass ihr da seid«, rief er in die Menge auf dem Platz unmittelbar vor der Staatskanzlei in der Erfurter Innenstadt. Klatschen, Pfeifen auf dem gut gefüllten Platz unter heißer Sonne. Mehr als 700 Menschen sind gekommen. Aber man sei nicht zum Spaß hier, sondern wolle für die Zukunft protestieren und der Politik zeigen, »dass wir eine Apothekenreform brauchen, aber auch eine, die uns eine Zukunft gibt«, so Fink. Angereist sind auch Teams aus Hessen, Brandenburg, Niedersachsen Baden-Württemberg und Bayern.
Die Reform greife das Berufsethos der Apothekerinnen und Apotheker an, statt auf Kompetenz am Patienten zu setzen. »Apotheken light« machten die Offizinen letztlich zu Abgabeautomaten, es gelte aber, den Apotheken eine Zukunft zu geben. Die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seien nichts als eine »Pseudoreform«, so Fink.
Das mantraartig wiederholte Argument, dass kein Geld für Apotheken da sei, könne er nicht mehr hören, so Fink unter Applaus. Denn es sei klar, dass jeder Euro, der in die Verbesserung der ambulanten Versorgung gesteckt werde, de facto Lebenszeit verlängere und Lebensqualität erhöhe, das habe die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) mehr als deutlich gezeigt.
»Diese Reform geht so nicht«, so Fink weiter. Ohne höheres Fixum und eine Dynamisierung des Honorars sei sie verantwortungslos. »Ein Weiter so wäre ein verantwortungsloser Kunstfehler«, so Fink. »Stoppen Sie diese Reform!«, adressierte er an den Minister.
Die Länder, nicht nur Thüringen und Sachsen, stellten sich hinter die Apotheken. Auch Teile der Opposition im Bundestag. Etwa von der FDP seien viel Zuspruch und konstruktive Vorschläge gekommen, so Fink. Im Übrigen: Die AfD Thüringen erwähne die Apotheken in ihrem Wahlprogramm mit keinem Wort – »ich glaube, für die AfD existieren wir gar nicht«.
Fink appelliere an die Politiker, sich weiter für die Apotheken einzusetzen. Die zahlreichen Gespräche, die die Apothekenteams mit Politikern geführt hätten, hätten viel gebracht. Fink ermunterte: «Kämpfen Sie weiter, bis wir eine Reform bekommen, die die Menschen in den beiden Freistaaten verdient haben!«
Auch von der CDU Thüringen kam Zuspruch. CDU-Landeschef und -Spitzenkandidat für die Landtagswahl am Sonntag, Mario Voigt, betonte, es gehe darum, die Apotheken im Land zu erhalten, Proteste wie heute in Erfurt sowie die Thüringer Unterschriftenpetition leisteten dazu einen wichtigen Beitrag.
CDU-Landeschef und -Spitzenkandidat für die Landtagswahl am Sonntag, Mario Voigt, unterstützt die Forderungen der Apothekerschaft. / Foto: Foto: PZ/Dölger
Das Apothekensterben sei ein Warnsignal, so Voigt. Der gemeinsame Weg müsse sein, die Bedingungen für die Apotheken zu verbessern, Bürokratie abzubauen, damit die Apothekenteams mehr Zeit für die Patienten hätten.
Wenige Tage vor der Landtagswahl am kommenden Sonntag ging Voigt auf das Versprechen ein, das seine Partei in ihrem Wahlprogramm gegeben hat, nämlich dass in Thüringen jede Arztpraxis und jede Apotheke binnen 20 Minuten erreichbar sein müsse. Apotheken müssten so gestärkt werden, dass sie den Staffelstab auch an die nächste Generation weitergeben könnten.
In Dresden waren rund 1000 Apothekenmitarbeitende zur Kundgebung gekommen. Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) zeigte Verständnis für den Protest der Apotheker. »Es sind stürmische Zeiten«, begann sie ihr Statement auf der Bühne des Dresdner Postplatzes. Personalmangel und zu geringe Honorierung seien nur einige Probleme, mit denen die Apothekerschaft zu kämpfen habe.
Köpping sprach sich klar für den Erhalt der öffentlichen Apotheken aus. »Die Mitarbeitenden in den Apotheken leisten gute Arbeit. Sie sind Ansprechpartner für viele Fragen, besonders auf dem Land«, betonte die sächsische Gesundheitsministerin. Deshalb sei es wichtig, die Vor-Ort-Apotheken zu erhalten. Wichtig sei auch, die Studienplätze für Pharmazie an den Universitäten zu erhöhen. »Wir brauchen neue Wege in der Ausbildung«, so Köpping. Arzneimittel dürften nur durch Apotheker abgegeben werden. »Wir wollen auch endlich eine Anpassung des Honorars«, machte die SPD-Politikerin deutlich. Dafür wolle sie sich einsetzen, so Köpping.
Als nächster Redner in Dresden wandte sich Alexander Dierks, Generalsekretär der CDU Sachsen, an die Protestierenden. Die Apotheken seien »der letzte Anker der medizinischen Versorgung«, sagte Dierks. Doch dieser sei durch die Pläne des BMG gefährdet. Bei der Apothekenreform werde der »typisch Lauterbach´sche Politikentwurf« deutlich. Der Minister entscheide über die Köpfe der Betroffenen hinweg, kritisierte der CDU-Politiker.
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) meldete sich per Videobotschaft zu Wort. Mehrmals wegen technischer Probleme unterbrochen, sandte er doch unzweideutig die Botschaft, dass die Reform vom Patienten her gedacht werden müsse und den ländlichen Raum im Blick haben müsste.
Er dankte den Apotheken für ihre Arbeit, die selbst in der Pandemie reibungslos geklappt habe. Aus eigener Erfahrung wisse er, wie wichtig es sei, eine Apotheke seines Vertrauens zu haben. Auch bei der Umstellung aufs E-Rezept habe er Unterstützung dort bekommen. »Ich weiß, wie wichtig es ist, so umsorgt und versorgt zu werden.«
Die Versorgungsstruktur in Thüringen sei bedroht, denn das Apothekensterben hinterlasse seine Spuren. Und der Druck durch »Weltunternehmen« setze den Apotheken zu, sagte Ramelow und verwies auf die Tante-Emma-Läden, die von allen geschätzt wurden, die aber mit Aufgabe der Preisbindung und Aufkommen des Marktdrucks in die Knie gingen. Bei Apotheken sei die Lage ungleich schlimmer, weil es um Arzneimittel gehe.
Die Landesregierung Thüringen sehe den Reformprozess kritisch, unter anderem, weil die Grundfrage nach der flächendeckenden Versorgung übersehen werde. Der Kapitalmarkt dürfe nicht darüber entscheiden, ob eine Apotheke aufgekauft werden könne »wie eine Briefmarkensammlung«. Es sei darum gut, wenn die Apothekenteams zusammenstünden und betonten, dass sie unverzichtbare Bestandteile der Daseinsversorgung und Gesundheitsversorgung seien.
Anja Zierath, Bundesvorsitzende des BVpta, machte darauf aufmerksam, dass die Reformpläne die wohnortnahe Versorgung gefährdeten – und zahlreiche Arbeitsplätze, die in der Hauptsache von Frauen besetzt sind. Nur mit einem höheren Fixum könnten auch PTA besser vergütet werden.
Vordergründig biete die Reform eine Kompetenzerweiterung für die PTA, allerdings sei diese schwer umsetzbar, weil die PTA die Approbierten schlichtweg nicht ersetzen wollten und auch nicht als Gehaltseinsparungsinstrument benutzt werden wollten. Zudem hätten die meisten PTA für eine solche Kompetenzerweiterung nicht die nötige Zusatzqualifikation. Zudem sei der PTA-Beruf ein Mangelberuf, woher also die PTA-Vertretung nehmen?
Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) machte in ihrer Rede in Erfurt deutlich, dass die Apothekerschaft auf die Solidarität und Unterstützung der Thüringer Landesregierung zählen könne. Ihr liege am Herzen, dass die Arzneimittelversorgung auch in Zukunft gesichert sei. Die Teams in den Vor-Ort-Apotheken seien da, jeden Tag und auch an den Wochenenden. Sie dankte den Apothekerinnen und Apothekern für ihren unermüdlichen Einsatz.
Die Anforderungen würden allerdings immer herausfordernder. Eine Apothekenreform sei grundsätzlich absolut notwendig, betonte Werner. »Der vorliegende Entwurf des Bundes wird diesem Anspruch jedoch nicht gerecht«, machte die Thüringer Gesundheitsministerin deutlich. Die Pläne stellten »vielmehr einen massiven Eingriff in das funktionierende Apothekensystem und die sichere Arzneimittelversorgung« dar, kritisierte sie. Durch die Veränderung bewährter Strukturen drohe eine dauerhafte Veränderung der Apothekenlandschaft mit inhabergeführten Apotheken sowie Fremd- und Mehrbesitzverbot. Die Sorge der Apothekerschaft sei daher absolut nachvollziehbar, betonte die Ministerin. Aus diesem Grund habe das Thüringer Gesundheitsministerium den Entwurf des ApoRG bereits fachlich kritisch geprüft und sich in einer umfangreichen Stellungnahme gegenüber dem Bund positioniert.
Insbesondere den Plänen, wonach künftig auch PTA unter bestimmten Bedingungen eine Apotheke vorübergehend leiten dürfen sollen, erteilte Werner eine Absage. Es müsss unbedingt an der bewährten inhabergeführten Apotheke festgehalten werden, die persönliche Leitung und Verantwortung des approbierten Apothekers seien immens wichtig. Anderenfalls könnten die derzeitigen Qualitätsstandards bei der Arzneimittelabgabe und Beratung nicht gehalten werden. »Die sichere Arzneimittelversorgung droht zu kippen«, warnte Werner. Auch die geplante Ausweitung auf zwei Zweigapotheken im Verbund lehne sie ab. Diese gehe zulasten der Vollapotheken und der Arzneimittelversorgung, so Werner.
Die Thüringer Gesundheitsministerin forderte zudem, das Apothekenhonorar anzupassen. Die im ApoRG vorgesehene Umverteilung finanzieller Mittel greife zu kurz. Dies reiche nicht aus, um die Situation der Apothekerinnen und Apotheker tatsächlich zu verbessern. Angesichts der Kostensteigerungen forderte sie eine »auskömmliche und angemessene Honorierung«. Nur so könnten die Apotheken vor Ort langfristig in der Fläche erhalten werden, so Werner.
Robert-Martin Montag, Generalsekretär der FDP Thüringen, kritisierte in seiner Rede, dass es dem Bundesgesundheitsminister an Praxisbezug fehle. Wer den Prozess in der Apotheke kenne, wisse, dass ein Patient nicht »terminadvisiert« ist, sondern direkt die Beratung durch die Approbierten braucht. Er rief: »Gute Politik beginnt mit dem Blick auf die Wirklichkeit!«
Montag verwies auf das Vergütungsreformprojekt, das die FDP Thüringen auf den Weg gebracht habe. Nach einem Dreivierteljahr Arbeit sei etwas herausgekommen, »das dafür sorgen wird, dass Apotheken wieder wirtschaftlich zu betreiben sind«.
Er überreichte ThAV-Chef Fink eine Box mit 150 Unterschriften vom FDP-Landesparteitag in Thüringen, die die Forderungen der Apotheken unterstützen.
Robert-Martin Montag, FDP-Generalsekretär im Thüringer Landtag, attestierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mangelnden Praxisbezug. / Foto: PZ/Dölger
Ann-Sophie Bohm, Landessprecherin der Thüringer Grünen, betonte, es sei schade, dass das Projekt Armin noch nicht in die Regelstruktur habe überführt werden können. »Das war ein großer Beitrag für die Patientensicherheit«, so Bohm. Die Grünen würden dafür kämpfen, versprach sie. Auch sie sprach sich gegen die »Apotheken ohne Apotheker« aus. »Wir stellen uns klar gegen den Entwurf, der vorliegt«, so Bohm.
Deutliche Kritik am Entwurf des Apotheken-Reformgesetzes übte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. »Das Gesetz zur Apothekenreform geht in die falsche Richtung“, kritisierte der CDU-Politiker. Nötig sei nicht mehr, sondern weniger Bürokratie.
In seinem kurzen Videostatement sprach der sächsische Ministerpräsident die Apothekerinnen und Apotheker direkt an. »Ich wünsche Ihnen sehr, dass Ihr Protest gehört wird. Ich habe Sie gehört und ich teile Ihre Einschätzung«, betonte Kretschmer. Für diese Aussage erntete er den Applaus der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Großkundgebungen in Dresden und Erfurt.
Thomas Dittrich, Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands (SAV), bezeichnete es als absurd, dass das BMG die gestiegenen Personal- und Sachkosten, unter denen die Apothekerschaft leide, offenbar nicht wahrnehme. Eine Anhebung des Honorars sei logisch und unabdingbar. Kostensteigerungen und Inflation seien Realität. Die Apotheker seien abgekoppelt von der wirtschaftlichen Entwicklung, kritisierte Dittrich. So könnten junge Menschen nicht überzeugt werden, in einer Apotheke anzufangen. Für die Meyer-Werft habe der Staat hingegen Milliarden übrig. 2,6 Milliarden Euro entsprächen genau dem Betrag, der nötig sei, um die Apotheken kurzfristig zu stabilisieren. Das sei auch dringend nötig, denn 30 Prozent der Apotheken befänden sich bereits in wirtschaftlicher Schieflage, 10 Prozent arbeiteten defizitär.
Dittrich forderte Minister Lauterbach auf, die wirtschaftliche Situation der Apotheken sofort zu verbessern. Die Leistungen müssten adäquat vergütet werden. »Wir brauchen eine sofortige Anhebung des Fixums«, forderte Dittrich. Das Fixum müsse zudem jährlich angepasst werden.
»Wir wollen keine Apotheken ohne Apotheker«, nannte Dittrich danach seine zweite zentrale Forderung. »Experimenten bei bewährten Strukturen« erteilte er eine Absage. Drittens forderte er eine »Entbürokratisierung«, die den Namen verdiene. Bürokratie koste Zeit und Geld, das dann für die Versorgung fehle.
»Sprechen Sie unsere Themen an. Tun Sie alles dafür, dass künftig weiterhin eine stabile Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln möglich ist. Und tun Sie alles dafür, dass auch künftig noch Menschen Lust haben, in einer öffentlichen Apotheke zu arbeiten«, appellierte Dittrich an die Politik.
Dittrich forderte den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten und die Landespolitiker in Sachsen und Thüringen auf, den Protest und das Anliegen der Apothekerschaft ernst zu nehmen. »Wir werden keine Ruhe geben«, kündigte er an. Zuletzt machte er den anwesenden Apothekerinnen und Apothekern und den Mitarbeitenden Mut. »Gemeinsam können wir viel erreichen«, sagte er zum Abschluss der Kundgebung auf dem Dresdner Postplatz.