Steckbrief Tenofovir |
| Carolin Lang |
| 02.07.2024 09:00 Uhr |
Die Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV-Präexpositionsprophylaxe empfiehlt die Wirkstoffkombination aus Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil, um einer HIV-Infektion vorzubeugen. / Foto: Adobe Stock/magann
Wofür wird Tenofovir eingesetzt?
Tenofovir ist in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Therapie einer HIV-Infektion sowie als Monotherapie bei chronischer Hepatitis B zugelassen. Der Wirkstoff kommt zudem in Kombination mit Emtricitabin zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) einer HIV-Infektion zum Einsatz.
Wie wirkt Tenofovir?
Nach der Resorption werden die Prodrugs Tenofovirdisoproxil und -alafenamid zu dem Nukleosidmonophosphat-Analogon Tenofovir umgewandelt. Durch Phosphorylierung entsteht dann der aktive Metabolit Tenofovirdiphosphat, der die HIV-Reverse-Transkriptase und die HBV-Polymerase inhibiert: Er steht in Bindungskonkurrenz mit dem natürlichen Desoxyribonukleotid-Substrat und führt nach Einbau in die DNA zum Kettenabbruch. Dadurch wird die Virusreplikation unterbunden.
Was unterscheidet Tenofovirdisoproxil und -alafenamid?
Tenofovirdisoproxil ist das Ester- und Tenofoviralafenamid das Phosphonamidat-Prodrug von Tenofovir. Letzteres ist im Plasma stabiler und erreicht in höheren Konzentrationen die Zielzellen, wodurch deutlich niedrigere Tagesdosen eingesetzt werden können.
Wie wird Tenofovir dosiert?
Die empfohlene Dosis von Tenofovirdisoproxil für die Behandlung einer HIV- oder Hepatitis-B-Infektion bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren mit einem Körpergewicht von mindestens 35 kg beträgt 245 mg einmal täglich. Bei pädiatrischen Patienten zwischen zwei und zwölf Jahren sind 6,5 mg Tenofovirdisoproxil pro kg Körpergewicht indiziert.
Die empfohlene Dosis von Tenofoviralafenamid zur Behandlung der chronischen Hepatitis B für Erwachsene, Jugendliche und Kinder ab sechs Jahren und einem Körpergewicht von mindestens 25 kg liegt bei 25 mg einmal täglich. Abhängig vom Alter des Patienten und der Wirkstoffkombination kommt es zur HIV-Therapie auch in geringeren Tagesdosen zum Einsatz.
Die Einnahme beider Produgs sollte zu einer Mahlzeit erfolgen, das erhöht die Bioverfügbarkeit.
Welche Nebenwirkungen kann Tenofovir verursachen?
Tenofovir gilt als relativ gut verträglich. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören etwa Kopfschmerzen, Schwindel, gastrointestinale Beschwerden, Hautausschlag, Erschöpfung oder erhöhte Transaminasen.
Unter Tenofovirdisoproxil kann es in seltenen Fällen zu Nierenversagen und gelegentlich zu proximaler renaler Tubulopathie, manchmal mit nachfolgenden Knochenanomalien, kommen. Eine Überwachung der Nierenfunktion ist empfohlen. Das gilt auch für Tenofoviralafenamid, sofern klinisch angemessen. Aufgrund der niedrigeren Konzentrationen in renalen Epithelzellen infolge der niedrigeren Dosierung gelten das nephrotoxische Potenzial und das Risiko für Knochenschäden bei dem Alafenamid-Prodrug jedoch als geringer.
Wann ist Tenofovir kontraindiziert?
Gegenanzeigen für Tenofovirdisoproxil sind Osteoporose sowie Knochenfrakturen in der Anamnese. Auch wird die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit Nierenfunktionsstörungen nicht empfohlen. Das gilt auch für Erwachsene mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min und für hämodialysepflichtige Patienten. Gibt es keine alternative Therapiemöglichkeit, muss das Dosisintervall angepasst werden. Tenofoviralafenamid wird Patienten mit einer Kreatinin-Clearance < 15 ml/min, die keine Hämodialyse erhalten, nicht empfohlen.
Mit welchen Arzneistoffen kann Tenofovir wechselwirken?
Das Potenzial für CYP450-vermittelte Wechselwirkungen von Tenofovir ist niedrig, da der Arzneistoff hauptsächlich in unveränderter Form renal ausgeschieden wird. In Kombination mit Tenofovirdisoproxil können Arzneistoffe, die die Nierenfunktion beeinträchtigen oder über die Transportproteine hOAT 1, hOAT 3 oder MRP 4 um die tubuläre Sekretion konkurrieren, zu veränderten Serumkonzentrationen führen. Bei gleichzeitiger oder kürzlich erfolgter Einnahme nephrotoxischer Arzneimittel, darunter Aminoglykoside, Amphotericin B oder Vancomycin, soll die Anwendung vermieden werden. Parallel mit Tacrolimus oder einem nicht steroidalen Antirheumatikum eingenommen, sollte die Nierenfunktion überwacht werden. Tenofoviralafenamid ist ein P-Glykoprotein-Substrat, weshalb Induktoren wie Rifampicin, Carbamazepin oder Johanniskraut dessen Plasmakonzentration senken und Inhibitoren wie Ketoconazol diese wiederum erhöhen können. Die gleichzeitige Anwendung wird nicht empfohlen.
Können Schwangere und Stillende Tenofovir einnehmen?
Falls nötig, kann die Einnahme von Tenofovir in der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden. Bisherige Erfahrungen deuten laut Fachinformation nicht auf ein Fehlbildungsrisiko oder eine fetale/neonatale Toxizität in Verbindung mit dem Wirkstoff hin. Unter bestimmten Voraussetzungen können Frauen, die mit HIV infiziert sind, laut der Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen (Stand 2020) stillen. Das gilt auch für Mütter mit Hepatitis B. Tenofovir geht in geringen Mengen in die Muttermilch über. HBV-infizierte Mütter, die Tenofovirdisoproxil anwenden, dürfen laut Fachinformation stillen.
Wie läuft die PrEP ab?
Seit September 2019 haben gesetzlich Krankenversicherte mit einem substanziellen HIV-Infektionsrisiko in Deutschland Anspruch auf die Kostenübernahme einer HIV-PrEP, die neben Beratung und erforderlichen Untersuchungen auch die Versorgung mit Arzneimitteln umfasst. Diese nehmen HIV-negative Personen dann präventiv ein, um sich vor einer Infektion zu schützen. Die Deutsch-Österreichische Leitlinien zur HIV-Präexpositionsprophylaxe empfiehlt dazu die Wirkstoffkombination aus Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil. Die Einnahme erfolgt kontinuierlich oder anlassbezogen. Die Kombination aus Tenofoviralafenamid und Emtricitabin ist in den USA, aber bislang nicht in Europa zur HIV-PrEP zugelassen.
Seit wann gibt es Tenofovir?
Viread® (Tenofovirdisoproxil) wurde in der EU im Jahr 2002 zunächst zur HIV-Therapie zugelassen, 2008 auch bei chronischer Hepatitis B. Vemlidy® (Tenofoviralafenamid) hat 2017 die Erstzulassung erhalten. Seit 2016 ist Truvada® (Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil) zur HIV-PrEP zugelassen.
Strukturformel Tenofovir / Foto: Wurglics