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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Mirtazapin

In der Hitliste der verordnungsstärksten Arzneistoffe in Deutschland rangieren Antidepressiva relativ weit hinten. Spitzenreiter der Indikationsgruppe ist das tetrazyklische Antidepressivum Mirtazapin – womöglich auch, weil es recht häufig off Label bei Schlafstörungen verordnet wird.
AutorKontaktBrigitte M. Gensthaler
Datum 07.04.2021  07:00 Uhr

Wofür wird Mirtazapin eingesetzt?

Das Tetrazyklikum Mirtazapin ist zugelassen zur Behandlung depressiver Erkrankungen (Episoden einer Major Depression) bei Erwachsenen. Häufig wird es bei depressiven Patienten mit Schlafstörungen (Insomnien) eingesetzt, aber auch bei isolierter Schlafstörung (off Label). Dies gilt auch für andere sedierend wirksame Antidepressiva wie Amitriptylin, Trazodon und Trimipramin. Für beide Indikationen zugelassen ist Doxepin. Laut der S3-Leitlinie »Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen« (gültig bis Dezember 2022) wird Mirtazapin zur Insomnie-Behandlung deutlich niedriger dosiert (3,75 bis 7,5 mg) als bei Depressionen.

Mirtazapin wird oft bei Senioren eingesetzt, weil es als nebenwirkungsarm gilt. Jedoch stuft es die FORTA-Liste (Fit fOR The Aged) bei mittelschweren und schweren Depressionen, bei Insomnie und Demenz-assoziierten Schlafstörungen in die Gruppe C ein: »ungünstige Nutzen-Risiko-Relation bei älteren Patienten, genaue Beobachtung von Wirkungen und Nebenwirkungen erforderlich«.

Wie wirkt Mirtazapin?

Mirtazapin wirkt zentral als präsynaptischer α2-Antagonist und verstärkt die zentrale noradrenerge und serotonerge Neurotransmission. Letztere wird spezifisch durch 5-HT1-Rezeptoren angeregt, da 5-HT2- und 5-HT3-Rezeptoren durch Mirtazapin blockiert werden. Vermutlich tragen beide Enantiomere zur antidepressiven Wirkung bei. Über einen Histamin-H1-Antagonismus wirkt der Arzneistoff sedierend. Mirtazapin hat praktisch keine anticholinergen Effekte und in therapeutischen Dosen kaum Einfluss auf das kardiovaskuläre System.

Wie wird das Antidepressivum dosiert?

Die wirksame Tagesdosis liegt in der Regel zwischen 15 und 45 mg, die Anfangsdosis beträgt 15 oder 30 mg. Die Wirkung von Mirtazapin tritt meist nach einer bis zwei Wochen ein; ein Therapieerfolg sollte sich bei ausreichender Dosierung innerhalb von zwei bis vier Wochen zeigen. Falls nicht, ist eine Steigerung bis zur höchsten empfohlenen Dosis sinnvoll. Tritt dann innerhalb von weiteren zwei bis vier Wochen kein Erfolg ein, wird die Behandlung abgebrochen. Im anderen Fall wird die Therapie über mindestens sechs Monate fortgesetzt. Wie bei Antidepressiva meist üblich, wird die Medikation ein- und ausgeschlichen.

Aufgrund der Eliminationshalbwertszeit von 20 bis 40 (gelegentlich bis zu 65) Stunden kann der Patient Mirtazapin einmal täglich, vorzugsweise abends vor dem Schlafengehen einnehmen. Möglich ist die Aufteilung in zwei Gaben, wobei die höhere Dosis abends geschluckt wird. Für Patienten, die schlecht schlucken können, gibt es eine Schmelztablette, die im Mund rasch zerfällt.

Wann darf Mirtazapin nicht gegeben werden?

Kontraindiziert ist die gleichzeitige Anwendung von Mirtazapin mit Hemmern der Monoaminoxidase (MAO). Man sollte bis zu zwei Wochen warten, bevor ein Patient von einem MAO-Hemmer auf Mirtazapin (und umgekehrt) umgestellt wird. Diese Zeitabstände sollen ein Serotonin-Syndrom verhindern, das lebensbedrohlich mit Delir und Koma verlaufen kann. Zu den Anzeichen gehören Beschwerden wie Schwitzen, Durchfall oder Kopfschmerzen, Tremor, Muskelkrämpfe und Krampfanfälle sowie Unruhe, Agitiertheit oder Verwirrtheit.

Was tun in Schwangerschaft und Stillzeit?

Bei der Anwendung in der Schwangerschaft ist Vorsicht geboten. Ist die Frau stabil auf Mirtazapin eingestellt, sollte sie es weiterhin einnehmen, heißt es auf embryotox.de, der Website des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité. Allerdings sind beim Neugeborenen Anpassungsstörungen mit neurologischen, gastrointestinalen und respiratorischen Symptomen möglich, wenn die Medikation bis zur Geburt fortgesetzt wird. Falls möglich, kann die Mirtazapin-Dosis eine bis zwei Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin reduziert und nach der Entbindung sofort wieder auf die erforderliche Dosis heraufgesetzt werden. Mirtazapin geht nur in sehr geringen Mengen in die Muttermilch über. In der Stillzeit ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen, die in klinischen Studien bei mehr als 5 Prozent der Patienten auftraten, sind Schläfrigkeit, Sedierung, trockener Mund, Gewichtszunahme, verstärkter Appetit, Schwindel und Erschöpfung. Außerdem wurde über schwere Hautreaktionen, darunter Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse und Erythema multiforme, berichtet.

Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?

Es sind etliche pharmakodynamische Wechselwirkungen zu beachten. Die gleichzeitige Anwendung mit anderen serotonergen Wirkstoffen wie Tramadol, Linezolid, selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), Venlafaxin, Lithium und Johanniskraut kann ein Serotonin-Syndrom auslösen.

Mirtazapin kann die sedierenden Eigenschaften von Benzodiazepinen und anderen Sedativa, zum Beispiel Antipsychotika, Antihistaminika und Opioide, sowie die zentral dämpfende Wirkung von Alkohol verstärken. In Tagesdosen von 30 mg kann Mirtazapin die INR (International Normalized Ratio) bei Personen unter Warfarin geringfügig, aber statistisch signifikant erhöhen.

Wie etliche andere Antidepressiva birgt auch Mirtazapin ein Risiko für QT-Zeit-Verlängerungen. Vorsicht ist angebracht, wenn der Patient weitere QT-Zeit-verlängernde Medikamente bekommt, zum Beispiel Antipsychotika wie Haloperidol, Pimozid oder Thioridazin.

Da Mirtazapin stark über CYP-Enzyme metabolisiert wird, besteht ein Interaktionspotenzial mit CYP3A4-Induktoren und -Inhibitoren. Mirtazapin und seine Metaboliten werden über Urin und Faeces ausgeschieden. Bei Leber- oder Niereninsuffizienz kann die Clearance verringert sein.

Warum ist Mirtazapin in der Geriatrie beliebt?

Im Gegensatz zu vielen anderen Psychopharmaka, zum Beispiel Amitriptylin, Clomipramin und Doxepin oder trizyklischen Antipsychotika, hat Mirtazapin keine oder kaum anticholinerge (delirogene) Nebenwirkungen. Diese sind vor allem bei Senioren gefürchtet, denn es kommt zu Mundtrockenheit, Obstipation und Sehstörungen, Blasenentleerungsstörungen bis hin zum akuten Harnverhalt, Reflextachykardien und kognitiven Einschränkungen. Sie können unter anderem die Sturzgefahr erhöhen, was bei alten Menschen fatal enden kann. Gleichwohl kann auch Mirtazapin aufgrund der Sedierung das Sturzrisiko erhöhen.

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