Steckbrief Lamotrigin |
Annette Rößler |
21.08.2025 18:00 Uhr |
Lamotrigin ist in der Schwangerschaft das Antiepileptikum der Wahl. / © Getty Images/Zukovic
Wie wirkt Lamotrigin?
Lamotrigin verhindert über eine Blockade von spannungsabhängigen Natriumkanälen und eine damit verbundene Stabilisierung präsynaptischer Membranen die Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern, insbesondere von Glutamat. Dadurch wird das bei Epilepsie gestörte Gleichgewicht zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Impulsen normalisiert. Den gleichen Wirkmechanismus wie Lamotrigin haben auch die Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin.
Was sind die Einsatzgebiete von Lamotrigin?
Lamotrigin wird vor allem zur Therapie von Epilepsien, aber auch bei bipolaren Störungen angewendet. Als Antiepileptikum kann es bei Kindern zwischen zwischen 2 und 12 Jahren sowie bei Jugendlichen ab 13 Jahren und bei Erwachsenen abhängig von der Epilepsieform als Mono- oder Zusatztherapie eingesetzt werden. Bei fokalen Epilepsien, die im Erwachsenenalter neu aufgetreten sind, stellt es laut der entsprechenden S2k-Leitlinie das Mittel der ersten Wahl dar. Bei Patienten mit bipolaren Störungen dient Lamotrigin primär der Prävention depressiver Episoden und darf ab einem Alter von 18 Jahren eingesetzt werden.
Wie andere Antiepileptika kann auch Lamotrigin off Label bei Migräne angewendet werden. Die entsprechende S1-Leitlinie nennt den Wirkstoff als Kann-Empfehlung zur Prophylaxe von Migräneattacken mit Aura, weist aber darauf hin, dass Lamotrigin die Häufigkeit von Migräneattacken ohne Aura nicht reduziert.
Wie wird Lamotrigin dosiert?
Um Überempfindlichkeitsreaktionen zu vermeiden, wird Lamotrigin einschleichend dosiert. Die Therapie startet bei Patienten ab 13 Jahren mit 25 mg einmal täglich in den ersten beiden Wochen, gefolgt von 50 mg einmal täglich in den Wochen 3 und 4. Danach wird die Dosis weiter alle zwei Wochen um maximal 50 bis 100 mg täglich bis zum optimalen Ansprechen erhöht. Die Erhaltungsdosis beträgt üblicherweise 100 bis 200 mg Lamotrigin täglich, die auf einmal oder aufgeteilt auf zwei Einzeldosen eingenommen werden kann. Bei Kindern zwischen 2 und 12 Jahren wird Lamotrigin abhängig vom Gewicht dosiert.
Valproinsäure hemmt die Glucuronidierung von Lamotrigin, während andere Wirkstoffe wie Carbamazepin, Phenytoin, Primidon, Rifampicin und Lopinavir/Ritonavir sie induzieren. Dies muss in der Aufdosierungs- und Erhaltungsphase berücksichtigt werden, wenn Lamotrigin gleichzeitig mit diesen Wirkstoffen angewendet wird (niedrigere Lamotrigin-Dosis bei Kombination mit Valproinsäure, höhere in Kombination mit den anderen genannten Wirkstoffen).
Lamotrigin-Tabletten sollten möglichst immer zur gleichen Tageszeit vor oder nach dem Essen eingenommen werden. Zur Erleichterung der Einnahme bei Kleinkindern dürfen die Tabletten zerkaut oder in Wasser aufgeschlämmt werden.
Wird Lamotrigin abgesetzt, soll das bei Epilepsien stufenweise über einen Zeitraum von zwei Wochen geschehen, um das Risiko von Rebound-Anfällen zu senken. Bei Patienten mit bipolaren Störungen kann diese Vorsichtsmaßnahme nach Absprache mit dem Arzt entfallen.
Welche Nebenwirkungen kann Lamotrigin haben?
Sehr häufige Nebenwirkungen von Lamotrigin sind Kopfschmerzen und Hautausschlag. Häufig kommt es zudem unter anderem zu Aggressivität/Reizbarkeit, Somnolenz, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Mundtrockenheit und Gelenk-/Rückenschmerzen. Hautreaktionen können potenziell lebensbedrohlich sein (Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse). Da die Gefahr von Nebenwirkungen innerhalb der ersten Behandlungswochen am größten ist, sollten die Patienten in dieser Zeit besonders aufmerksam auf Symptome wie Hautausschläge, Fieber, grippeähnliche Symptome, Schläfrigkeit und eine Zunahme der Anfallshäufigkeit achten.
Dürfen Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit Lamotrigin anwenden?
Laut Embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, ist Lamotrigin in der Schwangerschaft das Antiepileptikum der Wahl. Bei bipolarer Störung ist Quetiapin als mögliche Alternative genannt. Die Serumspiegel von Lamotrigin können sich im Verlauf der Schwangerschaft und kurz nach der Entbindung stark verändern, weshalb sie überwacht werden sollten.
Embryotox nennt das Stillen unter Lamotrigin »akzeptabel«. Da der Wirkstoff in die Muttermilch übergeht, sollte das Kind hinsichtlich möglicher Anpassungsstörungen wie Sedierung, Hautausschlag und schlechte Gewichtszunahme überwacht werden.
Welche Gegenanzeigen gibt es?
Nicht mit Lamotrigin behandelt werden sollten Patienten mit Überempfindlichkeit gegen Carbamazepin oder Phenytoin (mögliche Kreuzreaktionen), mit mittelschwerer oder schwerer Leberfunktionsstörung, mit Allergien oder Hautausschlägen gegen andere Antiepileptika in der Vorgeschichte, mit klinisch bedeutsamen strukturellen oder funktionellen Herzerkrankungen sowie Träger des HLA-B*1502-Allels asiatischer Herkunft, weil bei ihnen die Gefahr schwerwiegender Hautreaktionen besonders hoch ist. Nur mit Vorsicht angewendet werden darf Lamotrigin bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung.
Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?
Orale Kontrazeptiva erhöhen die Lamotrigin-Clearance um circa das Doppelte. Wenn eine Patientin unter einer Therapie mit Lamotrigin mit der Anwendung der »Pille« beginnt oder diese beendet, muss deshalb die Lamotrigin-Dosis angepasst werden. Lamotrigin hemmt das Enzym Dihydrofolatreduktase. Deshalb ist unter der Therapie bei Frauen, die schwanger sind oder es werden wollen, besonders auf eine ausreichende Folsäure-Versorgung zu achten.
Lamotrigin und Folsäure – wie hängt das zusammen?
In den 1960er-Jahren kam die Hypothese auf, dass Folsäure epileptische Anfälle auslösen könnte. Daraufhin wurden mehrere Folsäure-Antagonisten auf ihre antikonvulsive Wirkung in Tiermodellen getestet. Einige Phenyltriazine, einschließlich Lamotrigin, erwiesen sich dabei als hochwirksam gegen Anfälle – trotz schwacher Antifolateigenschaften.
Strukturformel Lamotrigin / © Wurglics