Steckbrief Dolutegravir |
Annette Rößler |
02.01.2025 07:00 Uhr |
Um sich vermehren zu können, muss das HI-Virus sein in DNA umgeschriebenes Erbgut in die Wirts-DNA integrieren. Integrase-Inhibitoren verhindern das. / © Getty Images/KTSDesign/Science Photo Library
Wie wirkt Dolutegravir?
Dolutegravir hemmt ein bestimmtes Protein des humanen Immundefizienzvirus (HIV), die Integrase. Dieses katalysiert den Transport der durch reverse Transkription entstandenen HIV-DNA in den Zellkern, die Spaltung der Wirts-DNA und den Einbau der retroviralen DNA in das Genom der Wirtszelle. Dieser Vorgang wird auch als Strangtransfer bezeichnet, weshalb ein weiterer Name der Wirkstoffklasse Integrase-Strangtransfer-Inhibitoren (INSTI) lautet.
Dolutegravir (DTG) und die anderen verfügbaren Integrase-Hemmer Raltegravir (RAL), Elvitegravir (EVG), Bictegravir (BIC) sowie Cabotegravir (CBG) bilden mit Metallionen im aktiven Zentrum der Integrase Chelatkomplexe und blockieren so die Funktion des Enzyms. Das Pharmakophor der Substanzen besteht aus drei planar angeordneten Sauerstoffatomen und einem halogenierten Aromaten in der Seitenkette. Da das aktive Zentrum der Integrase bei Retroviren hochkonserviert ist, sind INSTI außer gegen HIV auch gegen zahlreiche andere Retroviren wirksam.
Was ist das Einsatzgebiet von Dolutegravir?
Dolutegravir wird in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Behandlung der HIV-Infektion bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab sechs Jahren und mindestens 14 kg Körpergewicht eingesetzt. Laut der Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion zählen DTG-haltige Regimes zu den empfohlenen Kombinationen für die Primärtherapie. Als Eintablettenregimes stehen Dolutegravir/Abacavir/Lamivudin (Triumeq®) und Dolutegravir/Lamivudin (Dovato®) zur Verfügung, als Mehrtablettenregimes Dolutegravir (Tivicay®) plus Emtricitabin/Tenofoviralafenamid (Descovy®) oder Dolutegravir (Tivicay®) plus Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (Truvada® und Generika).
Wie wird Dolutegravir dosiert?
Die empfohlene Dosis für Erwachsene, Jugendliche und Kinder ab einem Körpergewicht von 20 kg beträgt 50 mg Dolutegravir einmal täglich. Dies gilt für die Anwendung von Filmtabletten. Als Monopräparat ist Dolutegravir auch in Form von dispergierbaren Tabletten verfügbar, die geringer dosiert werden (empfohlene Tagesdosis bei Erwachsenen: 30 mg). Für Kinder, die zwischen 14 und 20 kg wiegen, werden 40 mg Dolutegravir einmal täglich empfohlen. Bei Kindern und Jugendlichen kann die Tagesdosis auch auf zwei gleiche Dosen aufgeteilt werden (zweimal täglich 20 mg beziehungsweise zweimal täglich 25 mg je nach Körpergewicht). Liegt bei einem erwachsenen Patienten eine nachgewiesene oder vermutete INSTI-Resistenz vor, wird empfohlen, die Dosis auf zweimal täglich 50 mg zu verdoppeln.
Welche Wechselwirkungen kann Dolutegravir eingehen?
Auch bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen Arzneistoffen wird unter Umständen eine Verdopplung der Dolutegravir-Dosis empfohlen. Betroffen sind bestimmte Wirkstoffe, die den Abbau von Dolutegravir induzieren. Dieser erfolgt hauptsächlich über UGT1A1, aber auch über UGT1A3, UGT1A9, CYP3A4, Pgp und BCRP. So sollte etwa bei gleichzeitiger Anwendung mit Efavirenz, Nevirapin, Tipranavir/Ritonavir, Carbamazepin, Johanniskraut oder Rifampicin die Dolutegravir-Dosis auf zweimal täglich 50 mg erhöht werden (bei Kindern und Jugendlichen zweimal täglich die jeweils gewichtsadaptierte Dosis). Umgekehrt erhöht Dolutegravir die Konzentration von Metformin, sodass bei gleichzeitiger Anwendung eine Dosisreduktion des Antidiabetikums erwogen werden sollte, insbesondere bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung.
Dolutegravir bildet mit mehrwertigen Kationen Komplexe und verliert dadurch seine Wirksamkeit. Zu magnesium-/aluminiumhaltigen Antazida, calciumhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln, Eisen- und Multivitaminpräparaten soll daher ein Einnahmeabstand von mindestens zwei Stunden davor beziehungsweise sechs Stunden danach eingehalten werden.
Welche Nebenwirkungen sind zu beachten?
Die häufigsten Nebenwirkungen von Dolutegravir sind Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen. Häufig kommt es zu einem Anstieg der Leberwerte, was insbesondere bei Patienten mit Hepatitis-B- und/oder -C-Infektion problematisch sein kann. Auch psychiatrische Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, abnorme Träume, Depressionen oder Angstzustände sind häufige Begleiterscheinungen einer Therapie mit Dolutegravir. Eine Gewichtszunahme unter der antiretroviralen Therapie ist offenbar bei Dolutegravir und Bictegravir stärker ausgeprägt als bei anderen Integrase-Hemmern.
Darf Dolutegravir in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden?
Eine Anwendung von Dolutegravir in der Frühschwangerschaft war in einer Studie in Botswana mit einem geringfügig erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte verbunden. Weitere Daten zu Schwangerschaftsausgängen nach Dolutegravir-Exposition im zweiten und dritten Trimenon deuten nicht auf eine Toxizität für das Baby hin. Wird eine Frau unter Dolutegravir-Anwendung schwanger, sollten gemeinsam mit dem behandelnden Arzt Nutzen und Risiken einer Weiterführung der Therapie gegen einen Wechsel des Therapieregimes abgewogen werden.
HIV-infizierten Frauen wird davon abgeraten, ihr Kind zu stillen, um eine Übertragung von HIV auf das Baby zu vermeiden.
Strukturformel Dolutegravir / © Wurglics