Stabile Lieferketten statt Sparzwang |
Kritik an Untätigkeit der Politik beim Thema Lieferengpässe: Wie könne es sein, dass seit zehn Jahren Engpässe am deutschen Markt existieren und niemand tut etwas dagegen, wundert sich Peter Stenico, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika. / Foto: PZ/Alois Mueller
Wie stets bei der Eröffnung der Expopharm nutzte die Pharmaindustrie auch in diesem Jahr die nach Veranstalterangaben größte europäische Fachmesse rund um den Apothekenmarkt für einen Appell an die Politik.
Genau zehn Jahre sei es her, dass es hierzulande erstmals einen Versorgungsengpass bei einem Arzneimittel zu beklagen gab, erläuterte Peter Stenico, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika. Betroffen war damals das Krebsmedikament (Chemotherapeutikum) 5FU. Damals ein »Weckruf« und ein »Wachrütteln« im Verband, aber das Wachrütteln habe »anscheinend nicht sehr viele erreicht«, sagte Stenico. Im Gegenteil: Mittlerweile seien Liefer- und mitunter sogar Versorgungsengpässe in Deutschland fast zum Normalfall geworden. Als Beispiel nannte Stenico den Engpass beim Krebsmedikament Tamoxifen.
»Wie kann es sein, dass ein derart essenzielles und wichtiges Krebsmittel nicht verfügbar ist?«, fragt Stenico. Es sei »eine Peinlichkeit für Deutschland« und eine »Tragödie für die Patientinnen und Patienten«. Wie könne es sein, dass seit zehn Jahren Engpässe am deutschen Markt existieren und niemand tut etwas dagegen? Wie könne es sein, dass immer mehr Arzneimittel mehr kosten, als die Krankenkassen bezahlen wollen? Wie könne es sein, dass die strukturellen Probleme nicht angegangen werden, wundert sich der Chef des Verbands der Generikabranche. Es würden kleine und sinnvolle Lösungen auf symptomatischer Ebene vorangetrieben, aber das strukturelle Problem wird nicht gelöst. Es brauche Anreize für Unternehmen, am Markt zu bleiben und in resiliente Lieferketten zu investieren.
»Leider hat sich die Politik dieses Thema noch nicht angenommen. Im Gegenteil: Es ist ein neues Problem von der Politik herangetragen worden«. So Stenico mit Blick auf die Regelung, dass Apotheken künftig automatisch bestimmte Biopharmazeutika gegen preiswertere Biosimilars austauschen sollen. Warum angesichts der Generika-Entwicklung nun »sehenden Auges« derselbe Fehler bei den hochsensiblen Biopharmazeutika erneut passieren müsse, will Stenico nicht einleuchten. Er forderte am heutigen Mittwoch dazu auf, die strukturellen Ursachen der Lieferengpässe gemeinsam anzugehen, auch mit Unterstützung der Politik.
Lieferketten aufrechtzuerhalten, werde immer schwieriger. Davon ist auch Jörg Wieczorek, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) überzeugt. Er sprach sogar von der »unruhigsten Zeit seit wahrscheinlich 50 Jahren«. Dennoch wollte er bei der Expopharm-Eröffnung nicht nur über die Sparpolitik des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) jammern, sondern stattdessen lieber positiv in die Zukunft schauen. Immerhin erlebten die Hersteller genauso wie die Apotheken seit der Coronavirus-Pandemie mehr Wertschätzung in der Gesellschaft. Außerdem zählte er die Chancen für die Vor-Ort-Apotheke auf. Dazu gehören für ihn Digitalisierung, E-Commerce-Plattformen, Beratung erklärungsbedürftiger Wirkstoffe sowie die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen.
Deutlich negativer bewertete Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI), die aktuelle Lage. In seinen Augen fehlt nämlich die Wertschätzung für die Branchen, was er für eine zutiefst riskante und befremdliche Entwicklung hält. Denn nur mit Willenskraft, Durchhaltevermögen und Flexibilität sei es Industrie und Apotheken in den vergangenen Jahren gelungen, Versorgungslücken zu schließen. Wie viel Zeit sollten die Apotheken noch mit der Verwaltung von Engpässen verbringen statt diese in die Patientenberatung zu investieren, fragte er sich. Das Ausmaß der »politischen Kurzsichtigkeit« zeigt sich für ihn etwa beim Thema Tamoxifen und Paracetamol-haltigen Fiebersäften für Kinder. Dass nun das BMG ausgerechnet bei den Offizinen den Rotstift ansetzen will, ist im »vollkommen unverständlich«.
Auf die enge Zusammenarbeit von Apotheken und forschenden Pharmaunternehmen setzt der Vorstandsvorsitzende des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) Han Steutel. Schließlich könne die beste und innovativste Therapie nur bei richtiger Anwendung optimal wirken, hob er hervor. Damit meint er zum einen das pharmazeutische Fachwissen und zum anderen die richtige Ansprache durch die Apotheker. Auch was das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz angeht, sieht Steutel die Apotheker hinsichtlich der BMG-Sparpläne als Leidgenossen der Hersteller. In diesem Zusammenhang missfällt dem vfa vor allem, dass Schrittinnovationen in Zukunft »eher bestraft als gefördert werden« – und zwar auf Kosten der Patienten.
Das eingespielte Team aus Apotheke und Großhandel erachtet auch André Blümel, Vorsitzender des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) als »Erfolgsgaranten für eine verlässliche Arzneimittelversorgung«. Als Beispiel nannte er die insgesamt 125 Millionen Covid-19-Impfstoffdosen, die man gemeinsam samt Impfzubehör ausgeliefert habe. Apotheker und Großhändler hätten zwar die Logistik gestemmt, obwohl diese »längst nicht mehr ausreichend finanziert« sei. Hinzu kämen Inflation, Energiekrise, eine schwierige Rohstoffversorgung sowie Lieferkettenprobleme.
Bedauernd blickte auch Blümel auf die Kostensparpläne des BMG. Wolle die Politik die Infrastruktur von Herstellern, Apotheken und Großhandel erhalten, müsse sie investieren. Anstoß nimmt er zudem an dem Widerspruch seitens des BMG, auf der einen Seite die Vor-Ort-Apotheke stärken zu wollen und dann auf der anderen Seite das Dispensierrecht auf die Mediziner zu verlagern. Dabei spielte er auf die BMG-Entscheidung an, Hausärzten die Abgabe von Paxlovid-Packungen direkt an Patienten zu ermöglichen.
Generell stößt Joachimsen die jahrelange Sparmentalität im Arzneimittelwesen übel auf. Gerade sie befeuere doch Lieferengpässe. Weil immer der niedrigste Preis gewinne, schwinde die Anbietervielfalt auf dem Markt, kritisierte er. Statt Spargesetzen fordert er solide Rahmenbedingungen von der Politik, die Herstellern eine Produktion in Deutschland oder Europa ermöglichten. »Wir setzen uns nicht zur Ruhe, bis wir die Bedingungen erstritten haben, die wir dafür als nötig erachten.« Und auch er bläst ins selbe Horn wie seine Kollegen aus der Branche, wenn er klarstellt, dass die Arzneimittelversorgung gerade in Krisenzeiten die Apotheke vor Ort brauche.