| Melanie Höhn |
| 03.12.2025 18:00 Uhr |
Im April 2024 konnten nach einem Hinweis einer Münchner Apotheke über eine versuchte Einlösung eines gefälschten Kassenrezepts drei Personen auf frischer Tat festgenommen werden. / © Imago Images/Westend61
Die Vorlage gefälschter Rezepte in Apotheken zur widerrechtlichen Erlangung verschreibungspflichtiger Arzneimittel sei ein seit Langem bekanntes Deliktsphänomen, wie die Staatsanwaltschaft München auf Nachfrage der PZ mitteilte. Die »BILD«-Zeitung hatte zuerst über die Problematik berichtet.
Bis Ende 2023 hätten sich die Fälle in diesem Bereich zumeist auf die Erlangung zentralwirksamer Medikamente, die die Täter überwiegend im Rahmen einer Medikamentenabhängigkeit selbst einnahmen beziehungsweise Teile der widerrechtlich erlangten Arzneimittel zur Finanzierung des eigenen Bedarfs weiterverkauften, beschränkt. Zum größten Teil habe es sich bei den in diesem Zusammenhang geführten Verfahren um Einzeltäter gehandelt, die gefälschte Privatrezepte vorlegten und bei denen die Rezeptfälscher die widerrechtlich ausgehändigten Arzneimittel selbst bezahlten. Nur vereinzelt seien Kassenrezepte betroffen gewesen, bei denen die Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen getragen werden mussten.
Seit Ende 2023 haben verschiedene Krankenkassen laut Staatsanwaltschaft München nun einen sprunghaften Anstieg von durch Apotheken zur Abrechnung vorgelegten Kassenrezepten verzeichnet, die sich bei der Überprüfung als Fälschungen herausstellten. »Im Vergleich zu vergangenen Fällen war neben der von Originalen kaum zu unterscheidenden Aufmachung auffallend, dass nahezu ausschließlich die als ›Abnehmspritzen‹ bekannten hochpreisigen Arzneimittel Ozempic®, Wegovy® und Trulicity® von den gefälschten Verordnungen betroffen waren«, hieß es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft, das der PZ vorliegt. Nachdem die Krankenkassen erst geraume Zeit nach der jeweiligen Einlösung in der Apotheke feststellten, dass es sich um Fälschungen handelt, lagen bis auf etwaige Spuren auf den eingereichten Rezepten zunächst keine zielführenden Ermittlungsansätze vor, so die Staatsanwaltschaft weiter.
Im April 2024 konnten schließlich nach Hinweis einer Münchner Apotheke über eine versuchte Einlösung eines gefälschten Kassenrezepts drei Personen auf frischer Tat festgenommen werden. Die Anschlussermittlungen hätten ergeben, dass die festgenommenen Täter kurz zuvor in mindestens 15 Münchner Apotheken gefälschte Kassenrezepte mit der vermeintlichen Verordnung des Medikaments Ozempic® vorgelegt und im Anschluss das Arzneimittel im Wert von mehreren hundert Euro gegen eine Zahlung von lediglich 10 Euro erhalten hatten. Gegen die drei Täter wurde Haftbefehl erlassen und ein Ermittlungsverfahren wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung und gewerbs- und bandenmäßigen Betruges eingeleitet.
Anhand der sichergestellten Mobiltelefone der Täter sei nachvollzogen worden, dass es sich nicht um Einzeltäter, sondern eine arbeitsteilig agierende Bande mit einer Vielzahl von Beteiligten handelt, erklärte die Staatsanwaltschaft weiter.
Die Ermittlungen hätten gezeigt, dass die Rezepte nicht von den festgenommenen Tätern, sondern von weiteren aus dem Hintergrund agierenden Tätern in großen Mengen gefertigt worden waren. Diese Täter hätten die gefälschten Kassenrezepte im Anschluss an mit der Einlösung betraute Mittäter weitergegeben. Die für die Einlösung zuständigen Gruppierungen hätten meist aus zwei bis drei Personen bestanden, wobei die Besetzung regelmäßig wechselte.
Zunächst sei seitens der Betrüger recherchiert worden, welche Apotheken in einem begrenzten Gebiet als mögliche Bezugsquellen für die Medikamente Ozempic, Wegovy und Trulicity zur Verfügung stehen. Im Anschluss habe einer der Betrüger eine Vielzahl von Apotheken in dem abgeklärten Umkreis telefonisch kontaktiert und das jeweils gewünschte Medikament zur Abholung vorbestellt. Die Abholung sei spätestens am nächsten Tag durch mindestens zwei Täter erfolgt. Einer habe die Apotheke betreten, zahlte den gesetzlichen Zuzahlungsbetrag in Höhe von 10 Euro und ließ sich das Arzneimittel aushändigen, während ein weiterer Wache hielt und die Umgebung beobachtete. Die so erlangten Arzneimittel übergaben die für die Einlösung zuständigen Täter zum Weiterverkauf an weitere im Hintergrund agierende Beteiligte.
Auf dem Schwarzmarkt konnten pro Packung Ozempic wegen der hohen Nachfrage bis zu 900 Euro erzielt werden, so die Staatsanwaltschaft. Sobald ein Gebiet »abgearbeitet« war, zogen die Einlöser in geänderter Besetzung in das nächste weiter. Hierbei habe sich die Tatbegehung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt.
Die im April 2024 festgenommenen Betrüger seien mittlerweile rechtskräftig wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung und gewerbs- und bandenmäßigen Betruges zu Freiheitsstrafen zwischen 2 Jahren 6 Monaten und 2 Jahren 11 Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist seit 19. September 2025 rechtskräftig.
Bislang seien in dem Deliktsbereich insgesamt mehr als 40 Täter in Bezug auf Rezepteinlösungen in München und etwa 390 weitere Täter im gesamten Bundesgebiet identifiziert worden. Die weiterhin arbeitsteilig agierenden Täter hätten den »modus operandi« im Laufe der Zeit optimiert, so die Staatsanwaltschaft weiter.
So würden die Vorbestellungen mittlerweile zentral mit wechselnden Mobilfunknummern aus dem Raum Berlin und Hannover vorgenommen. Die inzwischen teilweise über Jobangebote auf Telegram angeworbenen Täter würden mit den Hintermännern verdeckt über Messenger kommunizieren und engmaschig über die jeweiligen Einsatzorte beziehungsweise Vorbestellungen in den Apotheken informiert. Die Betrüger würden die zentral in großer Stückzahl gefertigten »Rezeptfalsifikate« überwiegend mittels Briefsendung erhalten. Die erlangten Medikamente leiten sie wiederum über Paketsendungen an die Auftraggeber zum Weiterverkauf weiter und erhalten für jede geglückte Rezepteinlösung einen Betrag zwischen 50 Euro und 100 Euro.
Hinsichtlich der vermeintlichen Verordnungen habe zunächst eine Verlagerung auf das Medikament Mounjaro® mit einem Apothekenpreis von 1.445 Euro stattgefunden. Mittlerweile würden sich Fälle häufen, in denen hochpreisige Arzneimittel zur Krebsbehandlung mit Einzelpreisen bis zu 6000 Euro Gegenstand der gefälschten Kassenrezepte seien. »Soweit die Täuschung gelingt, werden auch diese Medikamente gegen die Zuzahlung von lediglich 10 Euro an die Täter ausgehändigt«, so die Staatsanwaltschaft.
Die Qualität der gefälschten Kassenrezepte sei nach wie vor so gut, dass die Fälschung nur bei entsprechender Sensibilisierung zu erahnen sei.
Das Deliktsphänomen verursache bei den Krankenkassen weiterhin einen immensen Schaden. Allein die Barmer Krankenkasse habe von Juli 2024 bis August 2025 einen Gesamtschaden von über 2,5 Millionen Euro und 2387 einzelne Fälle gemeldet.
Die Staatsanwaltschaft München I führte und führt nach wie vor eine Vielzahl von Verfahren in dem Deliktsbereich. Aktuell befinden sich 12 Beschuldigte in unterschiedlichen Verfahren in Untersuchungshaft.