Staatliches Verkaufsmonopol statt entfesselter Märkte |
Lukas Brockfeld |
06.05.2024 15:34 Uhr |
Im Rahmen von Modellprojekten soll Cannabis legal in Fachgeschäften verkauft werden. / Foto: Getty Images/stockstudioX
Cannabis ist seit April für den Freizeitgebrauch erlaubt. Aktuell ist der Eigenanbau die einzige Möglichkeit, legal an Haschisch oder Marihuana zu kommen. Ab Juli sollen dann sogenannte »Cannabis Social Clubs« hinzukommen. Gerade für Gelegenheitskonsumentinnen und -konsumenten sind diese Optionen unattraktiv, sodass viele Menschen ihre Hanferzeugnisse weiterhin auf dem Schwarzmarkt kaufen dürften. Doch Eigenanbau und Social Clubs sind nur die erste Säule des großen Legalisierungsvorhabens der Ampel-Koalition.
Als zweite Säule soll der kommerzielle Verkauf im Rahmen von Modellprojekten erprobt werden. Wissenschaftlich begleitet und mit einer Laufzeit von fünf Jahren sollen in Modellregionen kommerzielle Shops öffnen und Cannabis – darunter auch »edibles« wie Haschcookies – verkaufen. Lange schien es, als ob die zweite Säule niemals umgesetzt wird, doch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat laut Medienberichten einen Verordnungsentwurf an verschiedene Verbände geschickt, um Stellungnahmen zu dem Vorschlag einzuholen.
Um wissenschaftliche Expertise in die Diskussion einzubringen, hat das Kölner »Science Media Center« die Einschätzungen von Frank Zobel und Jakob Manthey eingeholt. Zobel ist Leiter eines Cannabispilotprojektes in der Schweiz. Manthey ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg.
Zobel hält das Vorhaben der Bundesregierung an sich für begrüßenswert: »Modellprojekte durchzuführen ist grundsätzlich eine gute Idee. Sie erlauben es, verschiedene Modelle zu testen und zu vergleichen, sowie die Cannabiswelt – beispielsweise Konsumierende und Industrie – besser zu verstehen. Ihr größtes Problem: Wenn sie nicht gut geregelt sind, können sie unrealistische wirtschaftliche Interessen ankurbeln und damit auch den Konsum und die Risiken fördern.«
Der Leiter des Schweizer Modellprojektes sieht deutliche Schwächen im aktuellen deutschen Modell und hält auch nichts davon, Cannabis in Apotheken oder im Supermarkt zu verkaufen: »Cannabis Social Clubs werden vielen Leuten nicht gefallen. Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Konsumierenden nicht Mitglied eines solchen Vereins sein will, sondern ganz einfach Cannabis kaufen möchte. International sieht man auch, dass Cannabis Social Clubs oft innerhalb von Grauzonen des Betäubungsmittelgesetzes entstanden sind (Spanien, Belgien).«
Bisher seien die Clubs nur in Uruguay effektiv reguliert worden. Dort sind sie allerdings – neben Apotheken und dem Selbstanbau – nur eine von drei Möglichkeiten, an Cannabis zu kommen. »Die Social Clubs sind also nicht ein Modell für alle. Dazu kommt noch, dass es nicht einfach ist, diese Art von Vereinen gut zu regulieren und zu kontrollieren. Spezialisierte Geschäfte, in denen nur Cannabis verkauft wird, scheinen mir deswegen der beste Ort für den Verkauf«, erklärt Zobel.
Doch Zobel erkennt auch, dass der Verkauf in kommerziellen Fachgeschäften Probleme mit sich bringen kann: »Kommerzielle Märkte bringen unter anderem tiefe Preise, (zu) viele Geschäfte und oft dubiöse Produkte. In den USA wurden zum Beispiel Esswaren wie Gummibärchen angeboten, die Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten. Diese sind aus verschiedenen Gründen gefährlich: Sie sind sehr attraktiv für Kinder und oft zu stark dosiert oder nicht homogen. Außerdem wissen einige Leute nicht, wie man sie konsumieren soll – die Effekte des THC treten erst nach einer Stunde oder mehr ein. Es gibt auch sehr stark dosierte Produkte wie Konzentrate, die die meisten Leute so nicht kennen.«
Für die Behörden sei es schwierig, diese Produkte wirksam zu regulieren. Deswegen bräuchte es beispielsweise eine Cannabisagentur, um den Markt zu kontrollieren und die Produktsicherheit zu gewährleisten. Doch die genannten Probleme ließen sich durch einen nicht kommerziellen Verkauf verhindern.
Zobel wünscht sich daher einen Mittelweg: »Ich befürworte nicht-gewinnorientierte Monopole oder Konzessionen für den Verkauf von Cannabis. Bestehende Daten deuten darauf hin, dass dies das beste Modell ist, wenn man die Sozialen- und Gesundheitsfragen ernst nimmt. Mit dem Pilotprojekt Cann-L in der Schweiz, an dem ich mitwirke, folgen wir dem Modell der Provinz Québec in Canada. Jede erwachsene Person, die es wünscht, kann Cannabis kaufen und konsumieren, aber es gibt so wenig Anreize wie möglich, um mehr oder gefährlicher zu konsumieren. Schadenminderung ist in solchen Modellen das oberste Prinzip.«
Ein solches Angebot sei für Konsumenten viel attraktiver als der Schwarzmarkt. Es könne Arbeitsplätze schaffen und Steuergelder einbringen.
Für Jakob Manthey sind Cannabis-Shops nicht unbedingt notwendig, da es mit Eigenanbau, Anbauvereinigungen und Verschreibungen bereits drei legale Erwerbswege gibt. »Wenn der Staat möglichst schnell und umfangreich den illegalen Markt reduzieren möchte, dann ist die Abgabe über entsprechende Shops sinnvoll. Da aber eine profitorientierte Kommerzialisierung des Marktes, in dem Cannabis als gewöhnliches Konsumgut mit Gewinnmaximierung verkauft wird, vermutlich mit einem Anstieg des Konsums und der Konsumprobleme einhergeht, sollte die Entwicklung eines kommerziellen Marktes begrenzt werden«, betont der Hamburger Wissenschaftler.
Die aktuelle Studienlage zeige, dass ein begrenztes Angebot von legalen Cannabisprodukten für Erwachsene unter bestimmten Bedingungen mit dem Gesundheitsschutz vereinbar sei. »Wichtig ist, dass zentrale Regeln beachtet werden: strenge Alterskontrolle, räumliche Begrenzung der Verkaufslizenzen, umfassendes Marketingverbot, sowie eine am Schadenspotenzial ausgerichtete Preispolitik. Letztere umfasst beispielsweise eine höhere Besteuerung von hoch-potenten Produkten«, führt Manthey aus.
Der Cannabisverkauf in Fachgeschäften hätte nicht nur für die Konsumenten Vorteile: »Erkenntnisse aus Modellprojekten können uns dabei helfen, wichtige Wissenslücken zu schließen, zum Beispiel zur optimalen Ausgestaltung der Steuern, der Anzahl zulässiger Verkaufsstellen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner oder der Wirkung von Gesundheitsinformationen auf Cannabisprodukten. Aus den Erkenntnissen in Québec (Kanada) sowie den Alkoholmonopolen in Skandinavien plädiere ich stark für ein staatliches Verkaufsmonopol. Damit lässt sich zum Beispiel eine sichere Versorgung auf dem Land sicherstellen, die in einem marktwirtschaftlichen Modell nicht gewährleistet wäre«, erklärt Manthey.