Speed-Learning belastet das Gehirn |
Jennifer Evans |
09.07.2025 11:00 Uhr |
Gedächtnis am Limit: Wer Wissen im Schnelldurchlauf konsumiert, läuft Gefahr, nichts zu behalten. Irgendwann streikt nämlich das Gehirn. / © Adobe Stock/contrastwerkstatt
Viele sind es schon gewöhnt: Sie klicken auf Play und schon läuft ein Video mit anderthalbfacher Geschwindigkeit ab. Ob Podcasts, Online-Vorlesungen oder Lernvideos – immer mehr Menschen beschleunigen den täglichen Input. Eine Umfrage unter Studierenden in Kalifornien zeigte kürzlich, dass 89 Prozent von ihnen die Wiedergabegeschwindigkeit verändern – schneller ist inzwischen also fast normal.
Ziel ist es, mehr Inhalte in weniger Zeit konsumieren oder dieselben Inhalte mehrmals anschauen zu können, um sie besser zu verinnerlichen. Womöglich schweifen auch die Gedanken bei dieser Methode erst später ab. Gerade beim Lernen klingt das nach einem Effizienzgewinn.
Doch ganz so einfach ist es nicht, wie Dr. Marcus Pearce, Dozent für Kognitionswissenschaft an der Queen Mary Universität London, auf der Wissenschaftsplattform »The Conversation« beschreibt. Forschende unterscheiden beim Hören gesprochener Sprache nämlich drei Gedächtnisphasen: Kodieren, Speichern, Abrufen. Für das Kodieren – also dem Verarbeiten und Verstehen – braucht das Gehirn Zeit. Es muss Wörter extrahieren und ihre kontextuelle Bedeutung in Echtzeit aus dem Gedächtnis abrufen.
Und auch wenn sich Sprache bei anderthalb- oder sogar zweifacher Geschwindigkeit noch verstehen lässt, ist unser Arbeitsgedächtnis begrenzt. Wenn zu viele Informationen zu schnell eintreffen, kann es zu kognitiver Überlastung kommen – und dann passiert genau das Gegenteil: Wichtige Inhalte gehen verloren.
Generell produzieren Menschen beim Sprechen etwa 150 Wörtern pro Minute, wobei eine Verdopplung der Geschwindigkeit auf 300 oder sogar eine Verdreifachung auf 450 Wörter pro Minute noch im Bereich des Verständlichen liegt.
Eine aktuelle Metaanalyse mit 24 Studien zu Online-Vorlesungen kam zu dem Ergebnis: Bis zu einer anderthalbfach gesteigerten Geschwindigkeit sank die Leistung der Teilnehmenden bei einem anschließenden Test nicht gravierend. Die Abweichungen lagen bei 2 Prozentpunkten. Bei zweifachem Tempo war der negative Effekt dann schon größer. Und bei der zweieinhalbfachen Geschwindigkeit sanken die Testergebnisse im Schnitt um 17 Prozentpunkte.
Außerdem zeigte sich, dass Erwachsene im Alter zwischen 61 und 94 Jahre die Geschwindigkeit stärker beeinflusste als jüngere Menschen – vermutlich, weil die Gedächtnisleistung im Alter nachlässt.
Unklar ist Pearce zufolge ebenfalls, welche Auswirkungen die Geschwindigkeit auf das Gehirn hat oder ob jüngere Menschen sich langfristig an das Tempo gewöhnen können. Wer beim Lernen auf Geschwindigkeit setzt, sollte also vorher besser zwischen Effizienz und Erinnerungsfähigkeit abwägen.