Sotorasib schließt Therapielücke bei Lungenkrebs |
Kerstin A. Gräfe |
04.03.2022 09:00 Uhr |
Bei Lungenkrebs-Patienten mit einer Mutation im KRAS-Gen stand Onkologen bislang keine Therapieoption zur Verfügung. Für Betroffene mit KRAS G12C-Mutation ändert sich das mit der Einführung von Sotorasib. / Foto: Adobe Stock/eggeeggjiew
Mutationen im Protein »Kirsten Rat Sarcoma Viral Oncogene Homologue« (KRAS) sind die häufigsten onkogenen Treiber des fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC). KRAS ist eines von drei Genen der RAS-Familie, die das Ein- und Ausschalten des Zellwachstums kontrollieren. Die von RAS kodierten Hydrolasen (GTPasen) galten lange Zeit als medikamentös unangreifbar (»undruggable«).
Bei etwa 13 Prozent der NSCLC-Patienten befindet sich die Mutation im Codon 12, was zu einem Aminosäurewechsel von Glycin (G) zu Cystein (C) führt. Der oral verfügbare GTPase-Hemmer Sotorasib (Lumykras® 120 mg Filmtabletten, Amgen) ist die erste in der EU zugelassene zielgerichtete Therapie für Patienten mit dieser Mutation. Er bindet kovalent und irreversibel an das Cystein von KRAS G12C und blockiert es in seiner inaktiven, Guanosindiphosphat (GDP)-gebundenen Konformation. Dies verhindert die Transformation in die aktive, Guanosintriphosphat (GTP)-gebundene Form und somit die Signalübertragung beziehungsweise letztlich das Überleben der KRAS-G12C-mutierten Tumorzellen.
Lumykras ist indiziert als Monotherapie zur Behandlung von Erwachsenen mit NSCLC mit KRAS-G12C-Mutation, bei denen nach mindestens einer vorherigen systemischen Therapie eine Progression der Erkrankung festgestellt wurde. Vor dem Behandlungsstart muss die Mutation mittels eines Tests nachgewiesen worden sein.
Die empfohlene Dosis beträgt einmal täglich acht Filmtabletten zu je 120 mg Wirkstoff, also 960 mg. Die Einnahme kann mahlzeitenunabhängig erfolgen. Beim Auftreten bestimmter Nebenwirkungen muss die Dosierung gegebenenfalls reduziert oder das Arzneimittel abgesetzt werden. Die Dosisreduktion erfolgt in zwei Schritten: von der Anfangsdosis 960 mg auf 480 beziehungsweise 240 mg. Vertragen Patienten die Mindestdosis von einmal täglich 240 mg nicht, muss Lumykras abgesetzt werden.
Die Anwendung bei Patienten mit mäßiger und schwerer Leberfunktionsstörung wird nicht empfohlen. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit mäßiger oder schwerer Nierenfunktionsstörung oder terminaler Niereninsuffizienz.
Sotorasib kann Hepatotoxizität verursachen. Die Patienten sind in den ersten drei Behandlungsmonaten alle drei Wochen und anschließend einmal monatlich oder je nach klinischer Indikation hinsichtlich ihrer Leberfunktion zu überwachen. Des Weiteren wurden unter der Therapie interstitielle Lungenerkrankungen und Pneumonitis beobachtet. Die Patienten sind daher hinsichtlich neuer oder sich verschlechternder die Lunge betreffender Symptome wie Dyspnoe, Husten und Fieber zu beobachten.
Die gleichzeitige Anwendung mit einem Protonenpumpeninhibitor (PPI) oder einem H2-Rezeptorantagonisten wird nicht empfohlen. Ein lokal wirkendes Antazidum kann gegeben werden, allerdings sollte Sotorasib in diesem Fall entweder vier Stunden vorher oder zehn Stunden nachher eingenommen werden. Starke CYP3A4-Induktoren sollten nicht gleichzeitig mit dem neuen Arzneistoff gegeben werden.
In Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird eine Therapie mit Sotorasib nicht empfohlen. Frauen im gebärfähigen Alter, die den GTPase-Hemmer erhalten, müssen hochwirksame Verhütungsmethoden während der Behandlung und mindestens sieben Tage nach der letzten Dosis anwenden. Lumykras kann die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva reduzieren; eine zusätzliche Barrieremethode ist anzuwenden.
Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen der klinischen Phase-II-Studie CodeBreaK 100 mit 126 immun- und/oder chemotherapeutisch vorbehandelten Patienten, die fast ausnahmslos aktive oder ehemalige Raucher waren. Die tägliche Einnahme von 960 mg Sotorasib zeigte eine objektive Ansprechrate von 37,1 Prozent (primärer Endpunkt). Zum Vergleich: Die Ansprechraten von ebenfalls in der Rezidivsituation zugelassenen Mono-Chemotherapien liegen bei 10 bis 15 Prozent. Zudem erzielte die Sotorasib-Therapie ein medianes progressionsfreies Überleben von 6,8 Monaten sowie ein medianes Gesamtüberleben von 12,5 Monaten.
Insgesamt war die Behandlung gut verträglich. Die meisten Nebenwirkungen waren gastrointestinaler Natur und gut handhabbar. Als häufigste Nebenwirkungen traten Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und ein Anstieg der Leberwerte auf.
KRAS-Mutationen nehmen eine Schlüsselrolle in der Karzinogenese ein, indem sie über die Aktivierung von Signalwegen Entstehung und Invasivität von Tumoren begünstigen. KRAS-Mutationen sind zum Beispiel bei etwa 30 Prozent aller Adenokarzinome der Lunge nachweisbar. Kein Wunder, dass schon seit vielen Jahren an KRAS-Inhibitoren gearbeitet wird. Daran hatten sich die Forschenden aber bislang die Zähne ausgebissen. Das Protein sei »undruggable«, hieß es häufig. Das stimmt offenbar nicht. Denn mit Sotorasib kam nun ein erster KRAS-Inhibitor auf den Markt. Allein dies rechtfertigt die Einstufung als Sprunginnovation. Das lange als »undruggable« angesehene KRAS-mutierte NSCLC ist damit zu einer zielgerichtet behandelbaren Erkrankung geworden. Dies gilt zumindest für die KRAS-Mutation G12C, die immerhin bei gut einem Achtel aller NSCLC nachzuweisen ist. Ein umfassendes Mutationsscreening einschließlich dieser KRAS-Mutation sollte daher Bestandteil der Diagnostik sein.
Äußerst positiv sind auch die bisherigen Studienergebnisse zu bewerten: Sotorasib erwies sich gut wirksam, was Parameter wie objektive Ansprechrate, Tumorkontrollrate und mediane Remissionsdauer belegen. Sehr gespannt darf man auf weitere Daten sein, denn die Sprunginnovation wird auch bei anderen Krebsarten, etwa Kolorektal- und Pankreaskarzinom, untersucht und auch die Prüfung als Erstlinientherapie bei NSCLC ist angelaufen.
Sven Siebenand, Chefredakteur