Sorge vor dem Männlichkeitsverlust |
Alterserscheinungen aufgrund abfallender Testosteronspiegel sollten nicht mit dem Hormon behandelt werden. Das verbessert die Symptome nicht und birgt zusätzliche Risiken. / Foto: Getty Images/Westend61
»Störungen der Sexualität wie die erektile Dysfunktion sind ein häufiges Thema in der andrologischen Praxis«, sagte Professor Dr. Stephan Petersenn, ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie Hamburg und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE) bei einer Pressekonferenz anlässlich der 8. Deutschen Hormonwoche, die in diesen Tagen stattfindet.
Der Testosteronspiegel fällt ab dem 40. Lebensjahr um 1 bis 2 Prozent jährlich ab. Das sei ein physiologischer Prozess, der nicht mit entsprechenden Funktionsverlusten wie bei einem echten Defizit einhergehe, erklärte Petersenn. »Nur circa 2 Prozent der älteren Männer, die einen erniedrigten Wert aufweisen, berichten auch gleichzeitig über Symptome.« Ein echter Hormonmangel könne andererseits erhebliche Beschwerden wie Libidoverlust, Blutarmut, Osteoporose oder eine Feminisierung des Mannes verursachen. Bevor mit Testosteron in Form von Spritzen oder Gelen behandelt werde, sei es essenziell, die dahinterliegende Ursache ausfindig zu machen, so Petersenn.
Ein Grenzwert für Testosteron wurde bislang nicht sicher etabliert. In den Empfehlungen der Fachgesellschaften finden sich unterschiedliche Angaben von 7 nmol/l bis 12 nmol/l bei einer Blutabnahme nüchtern morgens zwischen acht und zehn Uhr. Eine nicht nüchterne Blutabnahme kann einen bis 25 Prozent niedrigeren Wert ergeben. Er kann außerdem im Tagesverlauf um bis zu 24 Prozent niedriger sein als in den frühen Morgenstunden. Komplizierend kommt hinzu, dass der Testosteronwert von Tag zu Tag variiert. Ebenso haben akute Erkrankungen und Medikamente wie Opiate und Glukokortikoide Einfluss auf den Hormonspiegel. Adipöse Männer weisen sogar bis zu 70 Prozent niedrigere Werte auf als normalgewichtige Männer.
Einzelmessungen seien daher kritisch zu werten, sagte Petersenn. Um die Diagnose eines Hypogonadismus, also einer Hodenunterfunktion mit Testosteronmangel, zu stellen, müssten mehrfach erniedrigte Werte gemessen werden und diese im Kontext der Begleitumstände und der Symptomatik interpretiert werden. Bei jedem dritten Mann mit einem leicht erniedrigten Wert normalisiere sich dieser bei der zweiten Messung.
Abzugrenzen von physiologischen Anpassungen ist eine krankhafte Erniedrigung des Sexualhormonspiegels, die zu erheblichen Beschwerden führen kann. Die Ursache hierfür können Virusinfektionen, Hodentraumata oder Hodentumoren sein. Beim Schlafapnoesyndrom, einem Diabetes mellitus oder einer Nierenschwäche werden ebenso verringerte Testosteronwerte beobachtet. Zudem kann auch das Steuerorgan des Hodens, die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), ausfallen. Dann fehlt dem Hoden das Signal zur Produktion von Testosteron und Spermien. Klarheit darüber gibt eine ergänzende Bestimmung der Gonadotropine LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon).
Petersenn warnte vor einer unkritischen Testosteronsubstitution, also einer reinen Symptombehandlung. Die Gefahr sei dann groß, dass ursächliche Erkrankungen des Hodens oder der Hypophyse übersehen und nicht rechtzeitig behandelt würden.
Abzulehnen ist dem Arzt zufolge insbesondere die undifferenzierte Testosteronsubstitution bei typischen Alterserscheinungen aufgrund abfallender Hormonwerte. Studien hätten gezeigt, dass sich Symptome wie nachlassende Leistungsfähigkeit, abnehmende Muskelmasse und Knochendichte sowie eine Gewichtszunahme mit dieser Maßnahme nicht reduzieren lassen.
Im Gegenteil: Die Testosterongabe birgt immer die Gefahr einer Polyglobulie, einer Erhöhung der Zahl der roten Blutkörperchen. Thrombosen und Lungenembolien könnten die Folge sein, weswegen der Hämatokrit bei einer Ersatztherapie regelmäßig kontrolliert werden muss. Ein Wert über 50 Prozent stellt eine relative Kontraindikation für die Substitution dar. Noch größer ist dieses Risiko, wenn das Hormon als Lifestyle- und Dopingmittel eingesetzt wird.
Ein zweites Problem ist, dass Prostatakarzinome zwar nicht durch substituiertes Testosteron ausgelöst werden, aber dass Tumorzellen, die schon vorhanden sind, unter dem Hormon schneller wachsen. »Bei einem unkritischen Ersatz können diese Karzinome, die in höherem Alter meist keine klinische Relevanz haben, wachsen – mit den entsprechenden Folgen«, so Petersenn. Das Hormon sollte also nicht zur Leistungssteigerung oder als Antiaging-Maßnahme angewendet werden.