Sollten Apotheken seltener beliefert werden? |
Inwiefern kann das Apothekensystem zum Klimaschutz beitragen? / Foto: imago stock&people
Die AKWL hat am vergangenen Freitag zu den sechsten Münsteraner Gesundheitsgesprächen eingeladen. Fokusthema der Veranstaltung war der Klimaschutz. Dass sich die Stadt Münster und die AKWL mit diesem Thema schon seit Jahren auseinandersetzen, ist bekannt. Die Stadt Münster rief 2019 als erste Kommune Deutschlands den Klimanotstand aus und strebt an, bis 2030 klimaneutral zu sein. Die AKWL hat bereits sein 2011 ein eigenes Umwelt-Team installiert, das immer wieder neue Maßnahmenpakete zur CO2-Reduktion in der Kammer bündelt. Und erst vor wenigen Tagen wurde die Kammer von der Bezirksregierung zum sechsten Mal für ihr Klima-Engagement im Rahmen des Projektes Ökoprofit ausgezeichnet.
Den Auftakt zu den Münsteraner Gesundheitsgesprächen machte der Fernsehmoderator und Wetterexperte Thomas Ranft, der mehrere Wetter-Sendungen moderiert. In seinem Vortrag verdeutlichte Ranft die Dringlichkeit des Klimaschutzes. Er sprach von einem »sechsten Massensterben der Erdgeschichte«, das in seiner Dramatik dem vor 66 Millionen Jahren erfolgten Aussterben der Dinosaurier gleicht. »Es ist dramatisch, was wir mit unserer Erde anstellen«, so Ranft. Laut Ranft sind nur noch 7 Prozent aller Lebewesen auf dem Planeten Wildtiere – alle anderen Lebewesen seien entweder Menschen oder vom Menschen gehaltene Tiere. Auch der Umgang der Menschen mit Elektroschrott beunruhige ihn. Laut dem Wetter-Experten könnte man 75 Prozent des produzierten Elektroschrotts reparieren. Der in Deutschland täglich produzierte Schrott entspreche der Masse von 28 Boeing-737-Flugzeugen.
Ranft warnte auch davor, die Erderwärmung zu verharmlosen. Wie sehr Wetter-Extreme Überhand nehmen, zeigte er anhand der Zahl von jährlichen Hitzetagen (über 30 Grad Celsius): Während in den 1980er-Jahren im Schnitt 3 solcher Tage pro Jahr anfielen, hatte alleine der August dieses Jahres schon 16 Hitzetage zu bieten. Fü die Gesundheit ergäben sich zwangsläufig Folgen, wie beispielsweise Insektenplagen, die wiederum in der Übertragung von Tropenkrankheiten resultieren könnten. Ranft wies auch auf die Ausweitung des sogenannten „Nierensteingürtels“ hin. Laut Statistik erkranken in warmen Regionen deutlich mehr Menschen an Nierensteinen als in den kalten Regionen des Planeten. In Europa würden pro Jahr 5 bis 9 Prozent mehr Nierenstein-Fälle erwartet, so Ranft.
Im Anschluss an den Klima-Vortrag unterhielten sich NRW-Minister Laumann, AKWL-Präsidentin Overwiening sowie Noweda-Chef Kuck über mögliche Klimaschutz-Maßnahmen im Apothekenbereich. Digital zugeschaltet war die Apothekerin Esther Luhmann, die derzeit als Pharmazeutin in Spanien arbeitet und ein Buch zum Thema Klimaschutz in der Apotheke herausgegeben hat.
Im Zentrum der Debatte stand unter anderem, ob die Apotheken seltener vom Großhandel beliefert werden sollten, um CO2-Emissionen einzusparen. Laut Noweda-Chef Kuck werden Apotheken in Deutschland im Schnitt 2,7 mal pro Tag mit Arzneimitteln beliefert. Kuck selbst kommentierte: »Natürlich könnten wir auf Touren verzichten und würden sogar Geld einsparen. Dann müssten die Apotheken aber ihre Lager ausweiten, insbesondere kleinere Apotheken könnten so Probleme bekommen. Das Resultat könnte sein, dass die Patienten weniger schnell beliefert werden und in den Versandhandel abwandern«, warnte Kuck.
Der Noweda-Chef sprach auch über die jetzigen Bemühungen seines Unternehmens im Bereich Klimaschutz. Kuck wies darauf hin, dass die Noweda-Flotte fast ausschließlich aus Fahrzeugen bestehe, die mit fossilen Brennstoffen betankt werden. Die Umstellung auf eine E-Flotte sei derzeit nicht möglich im pharmazeutischen Großhandel. Denn: »Im Gegensatz zum Versandhandel müssen wir die GDP-Richtlinien strengstens beachten. Im Moment ist es noch nicht möglich, E-Fahrzeuge zu bekommen, die einerseits die nötige Reichweite haben und andererseits die Kühlung der Arzneimittel garantieren können.« Hinzu komme, dass die gleichzeitige Aufladung von E-Lieferfahrzeugen in einer Noweda-Filiale dazu führen würde, dass rund um die Niederlassung »die Lichter ausgehen«, so Kuck. Der Noweda-Chef wies aber darauf hin, dass man im November erstmals im Stadtverkehr ein E-Fahrzeug in Betrieb nehmen werde und Anfang 2023 erste Versuche mit Wasserstoff-betriebenen Autos unternehmen wolle.
NRW-Gesundheitsminister Laumann stellte klar, dass man mit Blick auf die extrem steigenden Energiepreise zunächst einmal daran denken müsse, wie man die Haushalte in Deutschland entlasten könne. Für viele Menschen gehe es derzeit nicht darum, neue Solarplatten zu kaufen, sondern vielmehr um die Frage, wie man sich das tägliche Leben leisten könne. Was das Zusammenspiel zwischen Großhandel und Apotheken betrifft, sieht der CDU-Politiker wenig Änderungsbedarf. Im Gegensatz zu allen anderen Bereichen im Gesundheitswesen erhalte er zur Arzneimittelversorgung durch Apotheken keine Beschwerdeanrufe – er gehe also davon aus, dass das System gut und zufriedenstellend funktioniere. Allerdings sieht der NRW-Minister Änderungsbedarf im Rabattvertragssystem. Dadurch dass von einem Wirkstoff die Präparate zahlreicher Hersteller bevorratet werden müssten, müssten die Apotheken zahlreiche Botendienst-Fahrten übernehmen – »Ist das wirklich nachhaltig?«, fragte Laumann. Er stellte klar, dass die Krankenkassen finanziell unter Druck stünden und die Einsparungen aus den Verträgen brauchen. Gleichzeitig deutete er aber an, dass man den Apotheken bei der Abgabe mehr Flexibilität einräumen könnte.
ABDA- und AKWL-Präsidentin Overwiening wies darauf hin, dass ihre Kammer und auch die ABDA den Apotheken keine Vorschriften zum Klimaschutz machen könne. »Wir als Kammer müssen aber mit gutem Beispiel vorangehen und den selbstständigen Unternehmern Ideen liefern«, so die Präsidentin. Overwiening erinnerte daran, dass das Thema Klimaschutz auch nicht auf der Ebene des Apothekeninhabers aufhören dürfe. Wichtig sei es, dass die Inhaber ihre Mitarbeiter unterstützten, beispielsweise durch Zuschüsse zum ÖPNV-Ticket, durch eine E-Bike-Flotte in der Apotheke oder andere Maßnahmen, die die Wege zur Arbeit vereinfachen könnten.
Auf die Frage, welche klimaschützenden Maßnahmen sofort umgesetzt werden sollten, antwortete die Klima-Expertin und Apothekerin Luhmann, dass in erster Linie der Verpackungsmüll reduziert werden sollte. Man müsse darüber nachdenken, bestimmte Arzneimittel als Bulkware abzugeben oder zumindest die Umverpackungen zu ändern. Auch die Digitalisierung der Packungsbeilagen müsse endlich vorangebracht werden. Aus Luhmanns Sicht sollte sich aber auch das Konsumverhalten in der Gesellschaft ändern. »Auch Patienten müssen sich umstellen. Wenn beispielsweise die Großhandelstouren reduziert werden, muss klar werden, dass man nicht immer alles sofort und schnell verfügbar haben kann.« Beim Thema Verpackungsmüll schaltete sich auch Noweda-Chef Kuck ein und erinnerte an den vom Versandhandel produzierten Müll. »Durch unsere Wannen sparen wir im Jahr 40 Millionen Umverpackungen. Doc Morris gibt an, 12 Millionen Kunden zu haben. Wenn davon jeder pro Quartal einmal etwas bestellt, haben wir mindestens 48 Millionen Umverpackungen – nur durch ein Versandhandelsunternehmen. Das ist ein Skandal!«