So passt sich ein Problemkeim an die letzten Antibiotika an |
| Theo Dingermann |
| 10.11.2025 09:00 Uhr |
Fällt das Enzym RNA-modifizierende Methyltransferase durch Mutationen in seinem codierenden Gen trm aus, verändert sich offenbar die Struktur der Ribosomen so, dass Tigecyclin schlechter binden kann und damit seine antibiotische Wirksamkeit verliert (Symbolbild eines Ribosoms). / © Getty Images/Science Photo Library/Juan Gaertner
Acinetobacter baumannii ist ein weit verbreiteter gramnegativer opportunistischer Erreger, der sich in den letzten Jahrzehnten von einem gewöhnlichen Bakterium zu einem wichtigen Erreger nosokomialer Infektionen entwickelt hat. Bei stationär behandelten Patienten, insbesondere bei solchen auf Intensivstationen, verursacht dieser Keim beatmungsassoziierte Pneumonien, Bakteriämien, Harnwegsinfektionen und sekundäre Meningitiden. Das Auftreten von multiresistenten bis hin zu komplett ( »pan-drug«) resistenten A. baumannii stellt Klinikteams weltweit vor große Herausforderung. Daher ist es wichtig, die Resistenzmechanismen dieses Bakteriums genauer zu verstehen, um so mehr Informationen für die Entwicklung neuer wirksamer Antibiotika zu gewinnen.
Dieser Aufgabe stellten sich jetzt Forschende von Sanford Burnham Prebys, einer biowissenschaftlichen Non-Profit-Forschungseinrichtung in La Jolla, Kalifornien, und dem Pharmaunternehmen Roche Pharmaceuticals. Das Team um den Doktoranden J. E. Kent veröffentlichte im Wissenschaftsjournal »Antimicrobial Agents and Chemotherapy« die Ergebnisse ihrer Studie, in der sie die Resistenzentwicklung in Echtzeit zu beobachten und charakterisierten. Dazu setzten die Forschenden einen »Morbidostaten«, also ein automatisiertes Kultursystem ein, in dem sie die Bakterien über mehrere Tage bei ständig ansteigenden Konzentrationen der Reserveantibiotika Tigecyclin oder Colistin wachsen ließen.
Zwei verschiedene A. baumannii-Stämme verwendeten die Forschenden, die sie zu verschiedenen Zeitpunkten während des Experiments genetisch analysierten. Auf diese Weise konnten sie verfolgen, welche Mutationen sich im Verlauf der Anpassung durchsetzten und wie sich diese auf das Bakterium auswirkten.
Bei Tigecyclin zeigte sich ein erstaunlich einheitliches Bild. Bereits nach einem Tag traten Mutationen im AdeSR-Regulationssystem auf, das den AdeABC-Effluxpumpenkomplex steuert, der Antibiotika aktiv aus der Zelle befördert. Durch Mutationen in den Steuerproteinen AdeS oder AdeR wurde diese Pumpe dauerhaft aktiviert, das heißt, das Antibiotikum Tigecyclin wurde viel schneller aus der Zelle hinausbefördert, als es wirken konnte.
Im weiteren Verlauf beobachteten die Forschenden weitere Mutationen in einem Gen namens »trm«, das für eine RNA-modifizierende Methyltransferase kodiert. Fällt dieses Enzym aus, verändert sich offenbar die Struktur der Ribosomen so, dass Tigecyclin schlechter binden kann und damit seine antibiotische Wirksamkeit verliert. Die Kombination aus einer überaktiven Effluxpumpe und veränderten Ribosomen führte dann zu stark erhöhter Resistenz.
Bei Colistin, das die äußere Zellmembran der Bakterien angreift, spielte ein anderes System die Hauptrolle. Das betroffene PmrCAB-System kontrolliert Gene, die die chemische Struktur des Lipopolysaccharids (LPS) verändern. Mutationen in den Kontrollproteinen PmrA oder PmrB führten dazu, dass das nachgeschaltete Lipid-A-modifizierende Enzym PmrC überexprimiert wurde. Das hat zur Folge, dass Colistin nicht mehr richtig an die Membran binden kann.
Einige Bakterien entwickelten darüber hinaus Veränderungen in weiteren Genen, die am Aufbau der äußeren Zellmembran beteiligt sind, etwa lpxD oder clsC. Diese Mutationen führten teilweise zu kuriosen Phänotypen. So konnten beispielsweise manche Stämme nur noch wachsen, wenn Colistin vorhanden war, da ihr Membranaufbau ohne das Antibiotikum instabil wurde.
In weiterführenden Analysen untersuchten die Forschenden zehntausende A. baumannii-Genome aus öffentlichen Datenbanken, um herauszufinden, wie verbreitet diese Mutationen bereits sind. Überraschenderweise fanden sie viele der relevanten Varianten, vor allem in den AdeS- und trm-Genen, und diese auch in klinischen Isolaten.
Das legt nahe, dass viele Bakterienstämme bereits konditioniert sind, um sich rasch an Tigecyclin anzupassen. Colistin-resistente Varianten sind dagegen seltener, können aber durch ähnliche Mechanismen entstehen. Besonders beunruhigend waren Hinweise, dass einige Mutationen in adeSR die spätere Entwicklung von Colistin-Resistenz zu begünstigen scheinen. Die könnte ein Hinweis auf potenzielle Kreuzresistenzen zwischen eigentlich unabhängigen Antibiotika sein.
So zeigt die Studie, dass A. baumannii keine neuen Gene erwerben muss, um resistent zu werden. Es genügt, die eigenen Regulationssysteme umzuprogrammieren. Kleine Punktmutationen in den Signalwegen reichen aus, um die Aktivität ganzer Resistenzmechanismen zu verändern.
Weil solche Veränderungen kaum Fitnesskosten verursachen, können sie sich auch ohne Antibiotikadruck halten. Das scheint wohl ein Grund dafür zu sein, dass viele Krankenhausstämme bereits für Resistenzen konditioniert sind, bevor sie überhaupt mit Antibiotika in Kontakt kommen.
Die Forschenden schlagen daher vor, Gene wie adeSR, trm und pmrCAB künftig als Frühwarnmarker in der Resistenzdiagnostik zu nutzen. Damit ließe sich möglicherweise vorhersagen, ob ein bestimmter Stamm schnell gegen Tigecyclin oder Colistin resistent werden könnte.