So leiden Pfleger von Versuchstieren |
| Jennifer Evans |
| 10.04.2024 11:00 Uhr |
Geplagt: Zwischen Versuchstieren und ihren Pflegern entsteht oft eine enge Bindung. Sterben die Tiere, leiden die Mitarbeiter im Stillen. / © Adobe Stock/Friends Stock
Menschen, die sich um Versuchstiere kümmern, macht diese Aufgabe in der Regel schwer zu schaffen. Viele können die Tiere auch nach Feierabend nicht vergessen. Vor einiger Zeit berichtete das Fachmagazin »Science« über das Thema, unter anderem von einem Fall an der Universität Washington (UW). Dort wollte ein Tierpfleger immer wieder zurück ins Labor gehen, um nach den Hunden zu schauen. Er befürchtete, einer von ihnen könnte während seiner Abwesenheit sterben oder eingeschläfert werden. In dem Fall wollte er für seine Schützlinge da sein.
Die Angst davor, was er am nächsten Tag vorfinden würde, fraß ihn zunehmend auf. Bald überkam ihn schon Panik, sobald er nur die Forschungsanlage betrat, in der die Tiere gehalten wurden. Neben den Angstzuständen entwickelte der Mitarbeiter eine Depression und begann, zwanghaft nach den Tieren zu schauen. Schließlich nahm er sich nicht einmal mehr an den Wochenenden frei und fuhr nicht mehr in den Urlaub. Zudem kämpfte er ständig gegen Hoffnungslosigkeit und Schuldgefühle an. Dem »Science«-Bericht zufolge hatte er niemanden zum Reden. Auch befürchtete er, seine Vorgesetzten könnten ihn für ungeeignet halten, seinen Job auszuführen.
Mitleidsmüdigkeit heißt das Phänomen, über das viele Forschungsinstitutionen nur ungern sprechen, vor allem aus Sorge, negative Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ursprünglich wollte der UW-Mitarbeiter durch die Tätigkeit als Tierpfleger seine Liebe zur Wissenschaft und zu Tieren verbinden. Doch diese Entscheidung hätte ihn fast zerstört. Seinerzeit suchte die Universität einen Tiertechniker, der sich um die Tiere für die biomedizinische Forschung kümmert, darunter Mäuse, Schweine und Hunde. Über das Ausmaß der psychischen Folgen dieser Beschäftigung war er sich seinerzeit demnach nicht im Klaren gewesen.
Auch anderen Vertretern von Gesundheitsberufen ist Mitleidsmüdigkeit nicht fremd. Doch im Gegensatz zu Ärzten oder Tierärzten sind Labortierpfleger nicht nur von Schmerz oder Tod umgeben – sie sind oft diejenigen, die ihn verursachen. So können die experimentellen Medikamente die Tiere krankmachen oder implantierte Geräte Beschwerden verursachen.
Dem »Science«-Bericht zufolge nehmen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, selten Hilfe in Anspruch. Sie leiden im Stillen. Auch, weil Freunde und Familie oft nicht begreifen, was sie tun oder warum sie dieser Arbeit überhaupt nachgehen. Manchmal sind Labortierpfleger zusätzlich den Beschimpfungen von Tierrechtsgruppen ausgesetzt.
Seit einigen Jahren versucht die UW, den Zustand zu verbessern. Eine kleine Gruppe von Freiwilligen, bestehend aus Tierärzten und -pflegern, Forschern sowie Verwaltungsangestellten, hat im Jahr 2016 ein Programm namens »Dare 2 Care« ins Leben gerufen. Dabei sammeln die Beteiligten Daten von Betroffenen, um neue Ansätze zu erproben, wie sich den Labortierpflegern im Umgang mit ihrer Mitleidsmüdigkeit helfen lässt.
Es hat sich herausgestellt, dass 86 Prozent der Beschäftigten in der Versuchstierhaltung irgendwann im Laufe ihres Berufslebens an Mitleidsmüdigkeit leiden. Alter und Geschlecht der Betroffenen spielen dabei keine Rolle. Auch mit Blick auf die Tierarten sind demnach keine Unterschiede festzustellen. Der Umgang mit Primaten kann sich genauso belastend auswirken wie der mit Mäusen. Zum Vergleich: Beim Personal in der menschlichen Intensivpflege sind zwischen 7 und 40 Prozent von Mitleidsmüdigkeit betroffen. Bei den Tierarzthelfern sind es 41 Prozent.
»Es ist an der Zeit, dass wir anfangen, uns besser umeinander zu kümmern«, so J. Preston Van Hooser. Er ist Gründer und Mitvorsitzender von »Dare 2 Care« und arbeitet als Wissenschaftler in der Tierschutzstelle der UW. »Wir wollen, dass die Menschen wissen, dass sie nicht allein sind.«
Als emotionale Unterstützung gibt es mittlerweile eine Telefon- und E-Mail-Krisenhotline für betroffene Mitarbeitende. Außerdem sind Boxen aufgestellt, in denen die Tierpfleger ihre Gefühle und Erinnerungen an die Tiere aufschreiben und einwerfen können. Herzförmige Aufkleber an den Gehegen zeigen nun an, wenn ein Tier eingeschläfert werden soll. Das soll den Tierpflegern die Angst vor dem Endpunkt nehmen und ihnen zudem die Möglichkeit geben, sich zu verabschieden.
Seitdem es das Programm gibt, hat sich viel getan. Inzwischen existieren ähnliche Initiativen an Forschungseinrichtungen in Texas, Ohio, Michigan, Virginia und Minnesota. Es hat sich herausgestellt: Sterbehilfe zu leisten, trägt erheblich zur Mitleidsmüdigkeit bei, ebenso wie der Mangel an sozialer Unterstützung. Der beste Weg, um mit Mitleidsmüdigkeit umzugehen, sei, sie nicht mehr zu verstecken, heißt es. Und den »unsichtbaren Menschen« an der Universität das Gefühl zu geben, gesehen zu werden, wie Van Hooser betonte.