So effektiv ist Scheinfasten |
Beim Scheinfasten sind einige feste Lebensmittel erlaubt, vor allem stärkearmes Gemüse und Salat. / © Getty Images/Daniel de la Hoz
Die Fastenzeit der Christen und der Muslime hat begonnen. Viele Menschen üben Verzicht – auf die eine oder andere Weise. Und der Trend zum Fasten ist auch bei Nichtreligiösen ungebrochen, wie eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) zeigt. Demnach finden insgesamt 72 Prozent der Bevölkerung den bewussten Verzicht aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll. Dies sei ein Anstieg um 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Wert seit 13 Jahren, teilt die DAK mit. Am häufigsten wird auf Alkohol, Süßigkeiten oder Fleisch verzichtet.
Dass Fasten positive Auswirkungen auf den Körper hat, ist schon lange belegt. Besonders gilt dies für das Heilfasten. Doch auf feste Nahrung längerfristig zu verzichten, ist für viele Menschen schlecht durchzuhalten. Eine Alternative könnte das sogenannte Scheinfasten darstellen, bei dem auch spezielle feste Nahrungsmittel erlaubt sind.
Scheinfasten oder »Fasting Mimicking Diet« (FMD), wie es im Englischen heißt, klingt zunächst ungewöhnlich. Kann es tatsächlich wirken, nur zum Schein zu fasten? Eine kürzlich im Journal »Nutrition Reviews« veröffentlichte Übersichtsarbeit kommt zu dem Ergebnis: Das Scheinfasten könnte traditionelle Fastenmethoden in Zukunft sogar ersetzen (DOI: 10.1093/nutrit/nuae003).
Dem Review zufolge deuteten aktuelle Forschungsergebnisse darauf hin, dass eine periodische Scheinfastenkur (PFMD) unter anderem die Regeneration von Stammzellen fördern, Entzündungen unterdrücken, die Lebensdauer verlängern (bei Nagetieren) und die Stoffwechselgesundheit verbessern kann. In klinischen Studien konnte eine PFMD bei verschiedenen Erkrankungen wie Diabetes, Multiple Sklerose und Alzheimer relevante Marker verbessern.
»Mit dem Scheinfasten erreicht man etwa 80 bis 90 Prozent der Effekte des Heilfastens. Dabei ist es in der praktischen Umsetzung im Alltag für die meisten deutlich angenehmer«, sagt Professor Dr. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde an der Berliner Charité, gegenüber der PZ.
Die Bereiche, in denen Fasten und auch Scheinfasten positiv wirken, sind vielfältig. So konnten Studien am Menschen zeigen, dass der Blutdruck sinkt, die Blutzuckerwerte sich verbessern und rheumatische Beschwerden sich lindern lassen. Michalsen: »Auch für positive Effekte auf die Darmgesundheit gibt es wissenschaftliche Hinweise. Bei Reizdarmsyndrom oder bei leichten Formen von chronischen Darmentzündungen setzen wir in unserer Klinik seit einigen Jahren auch Scheinfasten ein.« Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Langlebigkeitsforscher und Urvater der FMD, Professor Dr. Valter Longo von der University of Southern California, mit Kollegen eine Studie im Fachjournal »Nature«, die der Diätform unter anderem auch positive Effekte auf den Alterungsprozess bescheinigte.
Vor allem in Tierversuchen konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass sich die Gedächtnisleistung durch Fasten – in diesem Fall besonders das Intervallfasten – verbessern lässt. Das Scheinfasten könnte zudem die Nebenwirkungen einer klassischen Chemotherapie bei Krebsbehandlung verringern. Michalsen: »Kleinere klinische Studien weisen darauf hin, dass die Verträglichkeit der Chemotherapie besser wird, wenn man ungefähr 60 bis 72 Stunden zuvor scheinfastet.« Hierzu ist aber noch mehr Forschung notwendig.
Die positiven Effekte von Fasten auf die Gesundheit lassen sich durch mehrere Mechanismen erklären. Entscheidend ist das Umschalten auf den Hungerstoffwechsel. So verbessern sich Blutdruck und Zuckerstoffwechsel bei Kalorienrestriktion durch Änderung der Stoffwechselprozesse schon nach zwei bis drei Tagen. »Wenn nichts mehr von außen kommt, schaltet der Körper auf Lipolyse um und verbraucht vornehmlich Ketonkörper. Das wirkt unter anderem entzündungshemmend«, beschreibt Michalsen. Da der Körper auch auf Leberfette zurückgreift, lässt sich eine Fettleber innerhalb einer Fastenwoche deutlich reduzieren.
»Scheinfasten – mein Masterplan«, Andreas Michalsen, 2025, ZS-Verlag, 144 Seiten, 17,99 Euro, ISBN: 978-3-96584-510-7
Ein weiterer wichtiger Mechanismus ist die Autophagie, ein Abbauprozess von alten Zellstrukturen, für dessen Erforschung 2016 der Medizinnobelpreis verliehen wurde. »Die Autophagie wird im Schlaf, beim Sport und eben beim Fasten angekurbelt, um die Zellen sozusagen aufzuräumen«, erklärt der Experte. »Zellorganellen und alte Proteine werden zersetzt, um Energie zu gewinnen und neue Strukturen aufzubauen.«
Dass der Organismus tatsächlich auch beim Scheinfasten auf den Hungerstoffwechsel umstellt, hat Longo erforscht. In mehreren Versuchsreihen wurde ermittelt, wie viele Kalorien der Mensch in welcher Nährstoffkombination aufnehmen darf, um im Hungermodus zu bleiben. Das Ergebnis: Rund 650 Kilokalorien pro Tag können es sein, mit dem Schwerpunkt auf Gemüse, Obst und gesunden Fetten (Kasten). »Wichtig ist der Verzicht auf tierisches Eiweiß und Zucker, in Kombination mit vielen Ballaststoffen. So bleibt der Körper bei dieser Kalorienmenge im Hungerstoffwechsel«, erläutert Michalsen.
Scheinfasten sei im Übrigen für fast jeden geeignet. Lediglich Schwangeren, Stillenden, Menschen, die durch eine Erkrankung ohnehin leicht an Gewicht verlieren, und jenen, die zu Essstörungen neigen, rät der Mediziner davon ab. Menschen mit Typ-1-Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen empfehle sich eine Rücksprache mit dem Arzt.
Beim Scheinfasten sollte auch ausreichend getrunken werden. Erlaubt sind vor allem Wasser und ungesüßte Kräutertees. / © Getty Images/Oscar Wong
Ratgeber, Kochbücher und fertige Mahlzeiten: Der Hype um das Scheinfasten hat in den letzten Jahren noch zugenommen. Michalsen, der die Methode seit fünf Jahren an seiner Klinik etabliert hat, wundert sich darüber nicht. »Das klassische Heilfasten hat immer noch einen großen Stellenwert für mich und ist ein wichtiger Baustein in unserer Klinik. Aber das Scheinfasten ist in seiner praktischen Umsetzung im Alltag tatsächlich noch besser.« Ob man sich die Gerichte mithilfe eines Ratgebers selbst zubereitet oder auf Fertiggerichte setzt, sei dabei im Grunde nur eine Frage des Geschmacks und der Bequemlichkeit.
Wer sich genau an die Vorgaben hält, erreicht gleich gute Ergebnisse. Nicht zu vergessen: Nach dem Scheinfasten wieder langsam die Kost aufbauen und nicht gleich in alte Muster fallen. Michalsen sieht noch einen weiteren Vorteil der Methode: Wenn nach drei bis vier Monaten die Effekte des Fastens nachlassen, fällt es vielen Menschen leichter, eine erneute Fastenperiode einzulegen. »Es ist natürlich immer noch ein Aufwand. Aber wer es schafft, etwa drei- bis viermal im Jahr zu Hause eine Scheinfastenkur zu machen, erreicht den maximalen Effekt«, betont der Experte, der selbst Bücher zu Ernährung und zum Scheinfasten veröffentlicht hat.