»Smarte« Apotheken gegen den Fachkräftemangel |
Lieferten Analysen und Impulse (von links): Professor David Matusiewicz (FOM Hochschule), Kammerpräsident Georg Engel, Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln und Professor Steffen Fleßa von der Universität Greifswald. / Foto: PZ/Anne Orth
Bei der Eröffnung beschrieb Georg Engel, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, die Nöte der Apothekerinnen und Apotheker im Land. Seit über zehn Jahren sei das Honorar nicht mehr erhöht worden, sondern durch den höheren Kassenabschlag sogar weiter reduziert worden. Gleichzeitig müsse die Branche steigende Kosten verkraften. »Die Situation in den Apotheken ist schwierig«, stellte Engel fest. Viele seien in ihrer Substanz gefährdet. »Wir sind unterbezahlt. Das macht unseren Beruf für junge Leute nicht attraktiver.«
Infolge des demographischen Wandels werde es für die Inhaber immer schwieriger, Nachwuchs zu finden. Beispielsweise interessierte sich zuletzt für 46 ausgeschriebene PTA-Stellen lediglich eine Bewerberin. Zugleich sei die Belastung durch Notdienste immens, beschrieb der Kammerpräsident die Probleme. Dennoch sei die öffentliche Apotheke ein wichtiger Player im Gesundheitswesen. »Wir sind niedrigschwellig erreichbar. Wir sind immer da, wenn wir gebraucht werden«, betonte Engel. Wie wichtig Apotheken seien, habe auch das Projekt Armin gezeigt. Dabei konnte durch das Zusammenwirken von Ärzten und Apothekern das Mortalitätsrisiko um 16 Prozent gesenkt werden, hob Engel hervor.
Professor Steffen Fleßa, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität Greifswald, beleuchtete Ursachen und Entwicklung des demographischen Wandels und dessen Folgen für die Apothekerschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Zum Einstieg stellte er klar: »Der demographische Wandel findet längst statt, die Zukunft ist bereits geboren.« Veränderung sei anstrengend, aber gleichzeitig »das Normalste von der Welt«. Nichts sei stetiger als der Wandel. «Wir erleben eine Welt, die rast«, so Fleßa. Das könne zu Verunsicherung führen. In Mecklenburg-Vorpommern mache sich der demographische Wandel besonders bemerkbar – Ursachen seien neben einer allgemein höheren Lebenserwartung unter anderem eine niedrige Geburtenrate sowie die Abwanderung in Ballungsgebiete.
»Wir haben einen Rückgang der Bevölkerungszahl in Mecklenburg-Vorpommern, damit müssen wir leben«, machte der Wissenschaftler deutlich. Besonders ausgeprägt sei der Rückgang der Bevölkerung in Gegenden, die nicht unmittelbar an der Küste lägen. In der Folge steige die Zahl älterer und immobiler Menschen, und auch der Bedarf an ärztlicher Versorgung nehme zu. Damit einher gehe zudem ein epidemiologischer Wandel, beschrieb Fleßa. So gebe es in einer alternden Bevölkerung immer mehr Menschen mit chronisch degenerativen Erkrankungen wie Krebs, während die Bedeutung von Infektionskrankheiten abnehme.
Vor den Teams in den Apotheken mache der demographische Wandel ebenfalls nicht halt, auch dort steige der Altersdurchschnitt. »Wir müssen alles daransetzen, dass die Menschen bis zur Rente Spaß an der Arbeit haben«, betonte Fleßa. Zwar seien Ältere weniger bereit, nachts und in Schichten zu arbeiten und insgesamt weniger innovativ als Jüngere, verfügten aber über viel Wissen und Erfahrung. Jüngere stellten höhere Ansprüche, wollten sich selbst verwirklichen und besonderen Wert darauf, eigenständig arbeiten. Inhaber sollten auf beide Gruppen eingehen. »Wichtig ist, Mitarbeiter so führen, dass sie sich gerne kreativ einbringen«, riet Fleßa.
Zugleich hätten Apotheker mit Kunden mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen zu tun. Sinnvoll sei daher, sich zu überlegen, was diese wirklich bräuchten. »Zukunft gehört vor allem denen, die es wagen, Apotheke neu zu denken«, resümierte der Wissenschaftler. Gefragt seien Phantasie und Mut zu Neuem.
Holger Schäfer, Experte für Arbeitskräftegewinnung am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, ging auf die künftige Entwicklung des Arbeitskräfteangebots und -potenzials ein. Da die Generation der Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente gehen, werde die Zahl der Erwerbstätigen sinken. Allein in Mecklenburg-Vorpommern würden demnächst 286.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausscheiden, während nur 143.000 nachrückten.
Der Arbeitsmarktökonom nannte verschiedene Möglichkeiten, um gegenzusteuern, etwa Zuwanderung sowie eine höhere Effektivität der vorhandenen Arbeitskräfte. »Alle diese Möglichkeiten werden jedoch nicht ausreichen, um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren«, stellte er klar. Sein Fazit: Ein Rückgang der Erwerbstätigen in den nächsten zehn Jahren werde sich nicht verhindern lassen. In der Folge drohe ein Verlust von Wohlstand, zudem werde sich der Wettbewerb um Arbeitskräfte enorm verschärfen. »Wir müssen Potenziale erschließen, mehr Frauen und Ältere in den Arbeitsmarkt integrieren und die vorhandenen Arbeitskräfte effizienter einsetzen«, sagte Schäfer. Er schlug vor, gemeinsame »Springer-Pools« zu bilden. Das biete die Möglichkeit, Arbeitskräfte dort einzusetzen, wo sie am meisten gebraucht würden.
Zahlreiche Impulse, wie sich die öffentlichen Apotheken neu ausrichten können, brachte Professor David Matusiewicz ein. »Ich sehe die Apotheke als wichtigen Ort der Gesundheitsversorgung«, betonte der Dekan des Instituts für Gesundheit und Soziales an der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen. Der Gesundheitswissenschaftler setzt sich unter anderem damit auseinander, wie sich die Rolle der Apotheker durch die Digitalisierung verändert und wie die Apotheke der Zukunft aussehen kann.
Aus seiner Sicht sind Prävention und der Wunsch nach einem langen Leben Bereiche, in denen sich die Offizinen stärker einbringen könnten. Viel Bedarf an Beratung gebe es auch bei digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). »Da könnten sich Apothekenteams ebenfalls einbringen«, schlug der Wissenschaftler vor. Er sieht die Apotheken in Zukunft zudem als Plattformen und Ökosystem.
Klar ist laut Matusievicz, dass sich die Rolle der Apothekerin und des Apothekers verändern werde, und zwar hin zum »smarten Apotheker«. Künftig müssten sich die Offizinen noch stärker auf die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Kundengruppen einstellen. Während Ältere Wert auf eine persönliche Beratung legten, sähen Jüngere Apotheker in der Rolle des ChatBot – und wünschten sich schnelle Antworten auf elektronische Anfragen. »Apotheke sollte jedem das anbieten, was er will: den Jüngeren digitale Angebote und den Älteren persönliche Beratung«, führte der Wissenschaftler aus. »Digitale Rezepte, eine intuitive Apothekensoftware, Videoberatung oder Botendienste werden zunehmen«, prophezeite er.
Seiner Vorstellung zufolge »trifft der smarte Patient in Zukunft auf den smarten Apotheker. Ein Vor-Ort-Gespräch wird zur Quality-Time«. An die anwesenden Inhaberinnen und Inhaber appellierte er, sich den Entwicklungen anzupassen. Statt langer Analyse der Veränderungen seien schnelles Reagieren und Handeln gefragt, brachte Matusievicz es auf den Punkt.