Siemsen fordert 2,7 Milliarden Euro Inflationsausgleich |
Daniela Hüttemann |
24.11.2022 15:30 Uhr |
Die Vollversammlung der Hamburger Apothekerschaft tagte pandemiekonform mit Masken im Audimax der Uni Hamburg. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Forderungen nach Lohnerhöhungen im zweistelligen Prozentbereich sind bei vielen Gewerkschaften gang und gäbe, und jährliche Anpassungen werden hier auch immer erreicht. »Forderungen, die zu Zeiten von mehr als 10 Prozent Inflation von vielen als gerechtfertigt angesehen werden«, so Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, bei deren Vollversammlung am gestrigen Mittwochabend.
Dass die Inflation alle treffe, habe sogar die Ampelkoalition verstanden. Trotzdem habe man den Apotheken eine mehrschichtige Honorarkürzung verpasst. Siemsen nannte die anstehende Kürzung des Packungshonorars in Form eines erhöhten Rabatts für die Krankenkassen sowie Verluste des variablen Honoraranteils über die Deckelung der Hersteller-Abgabepreise eine »schallenden Ohrfeige« von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – und das gerade angesichts der »übermenschlichen« Leistungsbereitschaft der Apotheken während der Pandemie. »Das sorgt für Frust, Wut, Angst und wirtschaftliche Not und motiviert sicher nicht, zukünftig wieder anstehende Sonderaufgaben zu übernehmen«, so der Kammerpräsident.
»Allein für den Inflationsausgleich der letzten zwei Jahrzehnte fordern wir 2,7 Milliarden Euro für die Deutsche Apotheke – auch für eine angemessene Bezahlung unserer Mitarbeiter.« Zahllose kostenlose Leistungen der Apotheken wie das Inkasso des Herstellerrabatts für die Krankenkassen seien hier noch nicht einmal eingepreist.
Kampfbereit für die Apothekerschaft gab sich Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Siemsen ist klar, dass die Apotheken diese Summe nicht einfach so bekommen werden, doch müsse man dies klar fordern und den Ernst der Lage verdeutlichen. Er kritisierte auch die ABDA und den bisherigen »Schmusekurs« mit der Politik auf Bundesebene und warnte vor den möglichen Folgen einer für Mai nächsten Jahres angekündigten großen Reform des Gesundheitswesens. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Apotheken verschont bleiben.
»Jedes Jahr verlieren wir Hunderte von Apotheken – für immer«, so Siemsen und warnte vor einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung allgemein. »Es ist eine Lüge, wenn Lauterbach postuliert, dass das deutsche Gesundheitswesen trotz Sparmaßnahmen keinerlei Leistungseinschränkungen für die Patienten bereit hält.« Als Beispiele nannte er »Facharzttermine in Unendlichkeit«, monatelanges Warten auf eine OP und Hilfsmittel »nur zu Dumpingpreisen in teilweise unwürdiger Qualität«. Hinzu komme der Fachkräftemangel in den Apotheken, auch angesichts »praktisch gesetzlich gedeckelter Bezahlung« und fehlender Studienplätze. 64 Erstsemester-Plätze seien für eine Millionen-Metropole wie Hamburg eher beschämend, insbesondere da man sich als Life-Science-Stadt rühme. Siemsen versprach, sich hier weiterhin hartnäckig bei der zuständigen Senatorin einzusetzen.
»Die ersten Apotheken mussten schon ihre Öffnungszeiten anpassen, da die Personalstärke für die bisherigen Zeiten nicht mehr ausreichen«, berichtete Siemsen. Daran liege es auch, dass die Umsetzung der pharmazeutischen Dienstleistungen nur langsam anlaufe – trotz großen Andrangs bei den entsprechenden Fortbildungen.
Und auch die Zahl der Notdienste steigt notgedrungen, wenn weniger Apotheken übrig sind. Siemsen erklärte noch einmal angesichts mancher Frustration, dass der Kammervorstand sich um eine möglichst gerechte Verteilung im Sinne der Patienten und Apotheken bemühe. Zugleich betonte er den Notdienst als Grundlage für die Berechtigung der Vor-Ort-Apotheke beziehungsweise der Apothekenpflicht.
Auch auf die immer schlimmer werdenden Lieferengpässe wies Siemsen noch einmal hin. »Aus der täglichen Arbeit müssen wir festhalten, dass 700 bis 900 Arzneimittel derzeit nicht lieferbar sind und inzwischen zahlreiche Versorgungsengpässe bestehen. Es ist unerträglich, wenn Antibiotika bis Zytostatika nicht im ausreichenden Maße für die Patienten zur Verfügung stehen, wenn Schmerz- und Fiebersäfte für unsere jüngsten Patienten nicht verabreicht werden können.«
Dies bedeute eine schlechtere Therapie mit mehr Wechsel- und Nebenwirkungen bis hin zu Therapieversagen, Verunsicherung und Vertrauensverlust auf Patientenseiten – und laut einer EU-Erhebung in jeder Apotheke mindestens 5,1 Stunden pro Woche nicht bezahlten Mehraufwand.
Ursprünglich angekündigt für dieses Jahr wird wohl erst 2023 ein neues Hamburgisches Kammergesetz für die Heilberufe (HmbKGH) verabschiedet werden. Die bisherige Vollversammlung der Apothekerkammer soll dann wie in anderen Bundesländern von einer Delegiertenversammlung abgelöst werden. Wenn das Gesetz in Kraft tritt, wird es daher eine Sonder-Kammerversammlung für diverse Satzungsänderungen geben, auch um in Zukunft digitale und Hybrid-Sitzungen inklusive Abstimmungsmöglichkeiten zu schaffen. Im kommenden Jahr wird dann turnusgemäß auch der Kammervorstand neu gewählt.
Eine gute Nachricht für die Hamburger Apothekerinnen und Apotheker gab es noch: Angesichts der unerwarteten Mehreinnahmen der Apothekenbetriebe durch die Sondereffekte der Pandemie und damit auch Mehreinnahmen der Kammer wurde eine moderate Beitragssenkung für 2023 beschlossen, um die Kammermitglieder zu entlasten. Sie beträgt für den Betriebsstättenbeitrag minus 7,29 Prozent und für den persönlichen Kammerbeitrag minus 5,6 Prozent. Das sind 23,41 Euro pro Jahr weniger für alle, die mindestens 25 Stunden pro Woche arbeiten.