»Sie hasst es, Tabletten zu nehmen« |
Carolin Lang |
26.11.2024 12:00 Uhr |
Es gibt viele Gründe für Non-Adhärenz. Eine Aversion gegen Tabletten ist einer davon. / © Getty Images/KatarzynaBialasiewicz
Der Fall sei Göbel vor rund einem Monat in seiner Apotheke in Heringen untergekommen, berichtete der Inhaber der dortigen Brücken-Apotheke. Er handelt von einer ihm gut bekannten 70-jährigen Patientin mit familiär bedingter Hypercholesterinämie. Im Sommer habe diese ein kardiovaskuläres Ereignis – ein akutes Koronarsyndrom als akut lebensbedrohliche Phase der koronaren Herzkrankheit (KHK) – erlitten. Daraufhin wurden ihr vier Stents implantiert und folgende Medikamente verordnet:
Arzneimittel | Einnahmeschema |
---|---|
Acetylsalicylsäure (ASS) 100 mg | 1-0-0-0 |
Rosuvastatin 10 mg | 1-0-0-0 |
Ezetimib 10 mg | 0-0-1-0 |
Candesartan 8 mg | 1-0-1-0 |
Clopidogrel 75 mg | 1-0-0-0, vorgesehen bis Dezember |
Empagliflozin 10 mg | 1-0-0-0 |
Göbel beschrieb die Patientin als der Naturheilkunde zugeneigt. »Sie hasst es, Tabletten zu nehmen. Das ist das Allerschlimmste für sie«, betonte er. Aufgrund dessen habe sie Empagliflozin eigenständig abgesetzt, wie sie im Patientengespräch berichtete.
Weiter schilderte sie, sei ihr LDL-Spiegel von über 200 mg/dl auf 180 mg/dl gesunken. Eine Reduktion habe sie etwa durch Sport und gesunde Ernährung mit einem hohen Anteil an Haferprodukten unterstützen wollen. Zudem sei ihr Harnsäurespiegel erhöht. Genaue Werte lagen Göbel allerdings nicht vor.
Als übergeordnetes Problem bei diesem Fall identifizierten die Webinar-Teilnehmenden die durch die Tablettenaversion bedingte mangelnde Adhärenz der Patientin. Sie brachten daher einige Vorschläge an, um die Einnahmelast für sie zu reduzieren: Etwa das Ezetimib und das Statin in einem Kombinationspräparat zu vereinen und die Dosis von Candesartan nicht zweizuteilen, sondern zu einer Einmalgabe von 16 mg zusammenzuführen. Diese Vorschläge begrüßte auch die Allgemeinmedizinerin Dr. Annegret Fröbel. Sie ergänzte, die Patientin sei positiv zu bestärken: Sei der Dezember erst vorüber, habe sie nur noch drei Tabletten täglich einzunehmen. »Dann haben wir schon ganz schön runterreduziert.«
Der behandelnden Ärztin sei zudem mitzuteilen, dass die Patientin Empagliflozin eigenständig abgesetzt habe, führten die Webinar-Teilnehmenden weiter an. Dem sei auf den Grund zu gehen, ergänzte Fröbel. Möglicherweise habe die Patientin mit Nebenwirkungen wie Harnwegsinfekten oder Vaginalmykosen zu kämpfen gehabt.
Und was ist mit dem erhöhten Harnsäurespiegel? Eine Option sei, von Candesartan auf Losartan umzustellen, das den Harnsäurespiegel senken könne. Eine andere Möglichkeit wäre, die Clopidogrel-Therapie dauerhaft fortzuführen und stattdessen das ASS abzusetzen, da letzteres den Harnsäurespiegel erhöhen kann. »Die Frage ist, wie hoch ist der Wert? Spielt das wirklich eine Rolle?«, brachte Fröbel an.
Als Göbel den Fall schließlich auflöste, offenbarte er ein weiteres Problem: Es habe den Apotheker bei der Medikationsanalyse stutzig gemacht, dass der LDL-Spiegel trotz der Medikation noch immer bei 180 mg/dl lag. So hätte ein hochpotentes Statin wie Rosuvastatin diesen eigentlich um bis zu 50 Prozent senken sollen. Im Patientengespräch hakte er daher nach, woraufhin die Patientin eingestand, das Statin nicht eingenommen zu haben.
Dieses Problem beobachte er bei der Arzneistoffgruppe sehr häufig in der Apotheke, meinte Göbel. Statine seien oftmals negativ konnotiert. Dabei gehörten sie bei der KHK zu den Mitteln der Wahl, da sie die Morbidität und Sterblichkeit senken könnten.
Das Hauptproblem in diesem Fall sei die mangelnde Adhärenz beim Statin gewesen, resümierte Göbel. Gelinge es, einen Patienten von der Einnahme zu überzeugen, sei dies ein großes Ergebnis der Medikationsanalyse. Ihm habe die Patientin »hoch und heilig versprochen«, das Statin künftig einzunehmen. »Ich bin gespannt, auf das nächste Laborergebnis«, so Göbel abschließend.