Senolytika zur Therapie des diabetischen Makulaödems |
Theo Dingermann |
23.02.2024 10:30 Uhr |
Das diabetische Makulaödem ist eine Ansammlung von Gefäßflüssigkeit in der Makula, die durch Schäden an Blutgefäßen in der Netzhaut entstehen kann. / Foto: Getty Images/Dr_Microbe
Nach einer bestimmten Zahl an Zellteilungen stellen die meisten Zellen ihr Wachstum ein, was als zellulärer Seneszenz bezeichnet wird. Diese »alten« Zellen sollten eigentlich durch Apoptose entsorgt werden, was aber oft scheitert. Diese apoptoseresistenten Zellen leben weiter und bleiben trotz makromolekularer Schäden und einer mitochondrialen Dysfunktion stoffwechselaktiv. Sie sezernieren zum Beispiel Entzündungszytokine und Chemokine, die Immunzellen anlocken und verankern, gewebezerstörenden Proteasen sowie Wachstumsfaktoren. All dies resultiert in einen typischen »Seneszenz-assoziierten sekretorischen Phänotyp (SASP), der Schäden an umliegenden Zellen anrichten kann.
Diese Effekte können auch bei der Pathogenese des diabetischen Makulaödems (DME) eine Rolle spielen, so die Hypothese eines Forscherteams um Professor Dr. Sergio Crespo-Garcia vom Department of Biochemistry am Maisonneuve-Rosemont Hospital Research Centre der University of Montreal in Kanada ud Kollegen vom US-Unternehmen Unity Biotechnology in South San Francisco. Bei dieser Augenerkrankung sammeln sich seneszente Zellen in den Blutgefäßen der Retina an.
In einer Arbeit, die jetzt im Fachjournal »Nature Medicine« publiziert wurde, beschreiben die Forschenden einen neuen Ansatz zur Behandlung eines diabetischen Makulaödems mit ersten Vertretern der recht neuen Wirkstoffklasse der Senolytika. Diese Substanzen sollen seneszente Zellen eliminieren. Derzeit gibt es nur Modellsubstanzen, darunter die Flavonole Fisetin und Quercetin, den Tyrosinkinase-Inhibitor Dasatinib und den Bcl-2-Inhibitor Navitoclax.
Ein neuer Therapieansatz für DME wäre auch deshalb wichtig, da nicht alle Patienten auf die gut etablierte DME-Therapie mit Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) ansprechen.
Die Forschenden konzentrierten sich in ihrer Untersuchung auf Hemmstoffe von Vertretern der anti-apoptotischen Proteine der BCL2-Familie. Konkret untersuchten sie den senolytischen Wirkstoff Foselutoclax (UBX1325), der das in seneszenten Zellen verstärkt produzierte anti-apoptotische Protein BCL-xL hemmt, in präklinischen Studien an menschlichen Spendernetzhäuten und Glaskörpern, Insulin-defizienten Mäusen und menschlichen Netzhautendothelzellen aber auch in einer Phase-I-Studie.
Eine Injektion des Wirkstoffs in den Glaskörper soll seneszente Zellen in den Blutgefäßen der Netzhaut beseitigen und darüber Entzündungsreaktionen und die Gefäßdurchlässigkeit dort reduzieren und das Ödem. Bei Mäusen und Menschen ließ sich das auch zeigen: So reduzierte die intravitreale Injektion von UBX1325 bei diabetischen Mäusen die retinale Gefäßpermeabilität.
Und in einer Phase-I-Studie mit acht DME-Patienten, die nicht auf eine Anti-VEGF-Therapie ansprachen, verbesserte sich die Netzhautfunktion in zwei Dosisgruppen nach einer einzigen intravitrealen Injektion; auch die Makuladicke nahm während des Beobachtungszeitraums ab. Dabei wurden keine schwerwiegenden okulären oder systemischen unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit UBX1325 festgestellt.
Auf Basis der Daten startete das Unternehmen Unity Biotechnology bereits im Juni 2023 eine Phase-IIb-Studie mit dem Senolytikum. In dieser soll UBX1325 im direkten Vergleich mit Aflibercept, einem VEGF-Rezeptor-blockierenden Fusionsprotein, bei bereits behandelten Patienten mit aktivem DME untersucht werden, die von der Standardtherapie nicht optimal profitieren, teilt das Unternehmen mit. Der erste der 40 Patienten, die für die Studie gewonnen werden sollen, wurde im Dezember 2023 behandelt. Die ersten Daten über den Untersuchungszeitraum von 24 Wochen werden für das erste Quartal 2025 erwartet.
Professor Dr. Tomoaki Murakami von der Kyoto University Graduate School of Medicine und Professor Dr. Thomas W. Gardner vom Kellogg Eye Center der University of Michigan, Ann Arbor, weisen in einem »News & Views«-Beitrag in »Nature Medicine« darauf hin, dass die Ergebnisse der Arbeit zwar ermutigend sind aber nicht überschätzt werden dürfen. Denn derartig positive Ergebnisse seien typisch für kleine Phase-I-Studien. Obwohl keine Sicherheitsprobleme mit UBX1325 beobachtet wurden, handelte es sich doch um eine Kurzzeitstudie, und die Sicherheit dieses Wirkstoffs müsse weiter untersucht werden.
Aber der Ansatz sei vielversprechend. So mag UBX1325 das erste Senolytikum sein, das für die diabetische Retinopathie untersucht wird. Aber es wird gewiss nicht das letzte sein, so die beiden Kommentatoren.
Bereits jetzt ist klar, dass verschiedene senolytische Wirkstoffe die mitochondriale Dysfunktion und die pathologischen Phosphorylierungssignale, die mit Seneszenz einhergehen, modulieren. Aber es gibt noch viele weitere seneszenzbezogene Zielstrukturen, sodass hier eine Entwicklung angestoßen wurde, die Patienten mit diabetischer Netzhauterkrankung zugutekommen sollte.