Selbst SPD-Politiker warnen vor Cannabis-Freigabe |
PZ |
dpa |
05.02.2024 14:50 Uhr |
An der geplanten Legalisierung von Cannabis scheiden sich die Geister. Der Bundestag wird sich voraussichtlich in der Woche vom 19. Februar mit dem Gesetz befassen. / Foto: Adobe Stock/Aleksej
Nach langem Ringen verständigten sich die Ampel-Koalitionsfraktionen in der vergangenen Woche auf die letzten Einzelheiten zur Legalisierung von Cannabis. »Das Gesetz kann damit zum 1. April in Kraft treten«, teilten die für Drogenpolitik zuständigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und FDP am Donnerstagabend nach einer abschließenden Verhandlungsrunde in Berlin mit. »Die Regelungen sind ein echter Meilenstein für eine moderne Drogenpolitik, mit der die Prävention gestärkt und der Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz verbessert werden.«
Das Gesetz soll nun in der Woche ab dem 19. Februar im Bundestag verabschiedet werden. Mit der Einigung der Fraktionsexperten gilt die Zustimmung als einigermaßen sicher, wenn auch noch nicht ganz. Einzelne SPD-Abgeordnete kündigten am Freitag an, mit Nein stimmen zu wollen. Die Ampel-Koalition hat im Bundestag aber 49 Sitze mehr, als für eine absolute Mehrheit notwendig sind.
Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 22. März mit dem Entwurf befassen. Dessen Zustimmung ist aber nicht nötig. Die Länderkammer kann lediglich Einspruch einlegen. Da in jeder Landesregierung außer der bayerischen mindestens eine Ampel-Partei vertreten ist, gilt das aber als unwahrscheinlich. Das Inkrafttreten am 1. April dürfte damit ziemlich sicher sein.
Mit diesem Tag wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach das seit mehr als 40 Jahre geltende Cannabis-Verbot fallen. Verkauf und Anbau waren in den 70er und frühen 80er Jahren gesetzlich untersagt worden. Nun soll Cannabis zum 1. April im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen werden. Eigenanbau und Besitz bestimmter Mengen der Droge sollen für Volljährige ab 1. April 2024 erlaubt sein. Zum 1. Juli sollen Clubs zum gemeinsamen Anbau möglich werden.
Die Regierungsfraktionen hatten sich eigentlich schon Ende November auf den Gesetzentwurf verständigt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht darin einen »neuen Ansatz, um Heranwachsende von der Droge möglichst fernzuhalten, den Schwarzmarkt einzudämmen und die Stoffe zu kontrollieren«.
SPD-Innenpolitiker hatten allerdings kurz nach der Einigung Bedenken geltend gemacht. Dabei ging es etwa um geringere Mindestabstände zu Schulen und Kindertagesstätten beim Cannabiskonsum. In den Koalitionsgesprächen wurde das Gesetzespaket aber nicht noch einmal aufgeschnürt. Lediglich die Überprüfung der Wirksamkeit wurde enger gefasst. Statt erst nach vier Jahren soll sie nun stufenweise erfolgen. Eine erste Evaluation soll es nach einem Jahr geben, die Veröffentlichung der Ergebnisse ist für Ende September 2025 geplant.
Eine zweite Überprüfung gibt es nach zwei und eine abschließende nach vier Jahren. Dabei soll auch die Expertise des Bundeskriminalamts einbezogen werden. Es geht vor allem darum, ob die Regelungen zum Kinder- und Jugendschutz greifen. Gegebenenfalls soll nachgeschärft werden.
Mit der Einigung in der Koalition ist die Debatte über eins der umstrittensten Projekte der Ampel aber längst nicht abgeschlossen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte den Gesetzentwurf am Freitag als »schweren Anschlag auf den Jugend- und Gesundheitsschutz in Deutschland«. Die Legalisierung werde zu mehr Sucht und weniger Sicherheit gerade junger Menschen führen.
Hessens Innenminister Roman Poseck geht davon aus, dass Dealer sich nicht von ihren Geschäften abhalten lassen. »Da sie sich hierbei nicht an staatliche Kontrollen und steuerliche Vorgaben wie die legalen Produzenten halten müssen, können sie ihre Produkte günstiger und damit für sie gewinnbringend auf den Markt bringen«, sagt der CDU-Politiker. Als Beispiel nennt er den illegalen Zigarettenhandel. Durch einen gesteigerten Cannabis-Konsum könnte zudem die Verkehrssicherheit beeinträchtigt werden, auch wenn es da wie beim Alkohol Grenzwerte für den Konsum gibt.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) kündigte eine restriktive Auslegung des Gesetzes durch die bayerische Landesregierung an. »Bayern ist entschlossen, sich mit aller Macht gegen diese verantwortungslose Politik zu stemmen.« Die Planungen für eine »zentrale bayerische Kontrolleinheit« seien in vollem Gange. »Denn wir wollen den Konsum dieser gefährlichen Droge durch einen maximal restriktiven Vollzug des Cannabis-Gesetzes eindämmen - und so weit wie möglich verhindern.«
In der Ampel-Koalition werden dagegen die Chancen des Gesetzes hervorgehoben. Die FDP-Abgeordnete Kristine Lütke sagte am Freitag, dass mit der Aufhebung des Verbots die Gesetzgebung »an die Lebensrealität angepasst und Konsumentinnen und Konsumenten endlich entkriminalisiert« würden. Für den Anbau von Cannabis zur Nutzung für medizinische Zwecke würden zudem mehr Möglichkeiten und neue wirtschaftliche Chancen geschaffen. Die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge sagte, dem Schwarzmarkt würden mit der Legalisierung Kunden entzogen. »Daneben werden wir die Präventions- und Aufklärungsarbeit massiv ausbauen.«
Aber auch in der Koalition bleibt das Gesetz umstritten. Der SPD-Abgeordnete Christian Fiedler - von Beruf Kriminalbeamter - kündigte am Samstag in der »Rheinischen Post« an, gegen die Legalisierung zu votieren. Einem Gesetz, das zu einer »Entkriminalisierung von Dealern und sinnloser Mehrarbeit für die Polizei« führe, könne er nicht zustimmen. »Die Organisierte Kriminalität lacht sich dabei ins Fäustchen.«
Auch der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann will im Bundestag nicht zustimmen. Der Koalitionsvertrag habe ursprünglich eine kontrollierte Abgabe von Cannabis in zertifizierten Geschäften vorgesehen, sagte er »Zeit online«. »Aber das aktuelle Gesetz verlagert diese Abgabe in den privaten Bereich und damit in die Unkontrollierbarkeit.«
Laut einer Untersuchung im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) machen sich auch viele Eltern Sorgen wegen der geplanten Cannabis-Legalisierung, da sie Folgen für ihre Kinder befürchten. 63 Prozent der befragten Elternteile mit Kindern unter 18 Jahren sorgen sich, dass die Hemmschwelle für Minderjährige sinkt, wenn Kiffen für Erwachsene legal wird, ergab die in Hannover vorgelegte Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH. 73 Prozent der Befragten befürchten mögliche Hirnschäden bei ihrem Nachwuchs, 70 Prozent machen psychische Auffälligkeiten wie Stimmungsschwankungen oder Angstzustände Sorgen.
Der Hirnforscher Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig riet, den legalen Erwerb von Cannabis frühestens ab 25 zuzulassen: »Die Entwicklung des Frontalhirns ist erst mit Mitte 20 abgeschlossen.« Cannabinoide wirkten sich besonders auf den Stirnlappen aus, einen wichtigen Teil des Frontalhirns. Wenn Jugendliche regelmäßig kifften, riskierten sie eine verminderte Fähigkeit, Handlungen zu planen, Probleme zu lösen und Impulse zu kontrollieren. Die geistige Leistungsfähigkeit könne insgesamt nachlassen, zudem könnten Halluzinationen und psychotische Symptomen ausgelöst werden. Für die Untersuchung befragte das Meinungsforschungsinstitut vom 2. bis 16. Januar online und repräsentativ bundesweit 1000 Elternteile mit Kindern unter 18 Jahren.