Schulterschluss gegen Medikamentenmangel |
Die Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln halten an / Foto: imago images/Westend61
Mehrere Bundesländer haben auf Basis des am vergangenen Dienstag offiziell festgestellten Versorgungsmangels die Einfuhr-Regeln bei Antibiotika-Säften für Kinder gelockert. Initiiert hatte dies das Bundesland Bremen. Jetzt kündigte Bayern am Wochenende an, befristet die Einfuhr von Präparaten zu gestatten, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. »So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln«, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) laut Mitteilung.
Auch Nordrhein-Westfalen habe »alle notwendigen Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen«, zitierte der WDR das Düsseldorfer Ministerium. Auch in Bremen gibt es lockerere Maßgaben für den Import. In Schleswig-Holstein hielten Gesundheitsministerium, Apothekerkammer, Kassenärztliche Vereinigung und Pharmagroßhandel am Freitag einen Runden Tisch ab. Während sich die KV ein Dispensierrecht für die Notdienstpraxen wünscht, fordern die Apotheken direkte Durchwahlnummern für die Klärung im Einzelfall und schlagen eine Art rollierende Notdienst-Antibiotika-Kisten vor, die der Großhandel verteilen soll.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb mit Blick auf den bayerischen Vorstoß auf Twitter: »Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika-Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.«
Möglich macht das Vorgehen der Bundesländer eine Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Bundesanzeiger, wonach derzeit ein Versorgungsmangel bei diesen Arzneimitteln besteht. Dadurch soll auch die einfachere Einfuhr aus dem europäischen Ausland erleichtert werden. Behörden könnten es nun etwa möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgeben zu lassen, erläuterte der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Florian Lanz.
Die Versorgungslage bei Arzneimitteln ist Kinder- und Jugendärzten zufolge anhaltend kritisch. So appellierten vor wenigen Tagen Mediziner aus mehreren europäischen Ländern in einem Brief an ihre Gesundheitsminister, gegen die Knappheit vorzugehen. »Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!«, heißt es in dem Schreiben.
Zu den Mitzeichnern gehört der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten sowie Penicillin und anderen Antibiotika in kindgerechter Darreichungsform. Zuvor hatte sein Verband hierzulande Alarm geschlagen. Die Situation sei prekär, selbst dringende Fälle könnten zum Teil nicht mit Antibiotika versorgt werden.
Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesministerium. Es wies etwa auf Engpässe bei Grundstoffen oder Produktionsprobleme hin. Der GKV-Spitzenverband und Pharmabranche schieben sich weiterhin gegenseitig eine Mitschuld zu: »Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert«, so GKV-Sprecher Lanz. Die Branche habe Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen. Umgekehrt werden GKV und Politik ein Kaputtsparen der Strukturen vorgeworfen.
Angesichts des Mangels an einzelnen Arzneien fordert der ehemalige Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, eine EU-weite Medikamentenreserve. Seit mehr als zehn Jahren nähmen die Engpässe zu. »Der Grund sind falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize bei der Pharmaindustrie«, erklärte er noch einmal am heutigen Montag den Zeitungen der Funke-Gruppe. »Bei Massenprodukten außerhalb des Patentschutzes werden die Margen als gering eingeschätzt, ›Big Pharma‹ hat kein Interesse mehr an diesen Medikamenten und schiebt die Produktion in Billiglohnländer wie China oder Indien ab. Brennt dort eine Fabrik ab, fehlt eine Grundsubstanz oder gibt es Qualitätsmängel – plötzlich fehlt ein Arzneimittel auf der ganzen Welt.«