Schützende ApoE3-Genmutation näher untersucht |
Theo Dingermann |
12.12.2023 17:00 Uhr |
Eine bisher einzigartige Kombination von Genmutationen könnte den Schutzeffekt erklären. Aktuelle Studienergebnisse könnten dazu beitragen, einen neuen Therapieansatz gegen Alzheimer zu entwickeln. / Foto: Getty Images/Dr_Microbe
Eine Frau aus einer großen kolumbianischen Familie, in der eine Mutation im Presenilin-1-Gen (PSEN1-E280A) weit verbreitet ist, bei der die Träger früh an Alzheimer erkranken, zeigte bis in ihre 70er Jahre keine Alzheimersymptomatik. Aufgrund ihrer genetischen Veranlagung wäre der Symptombeginn bei ihr etwa 30 Jahre früher zu erwarten gewesen. Diese Frau trägt neben der PSEN1-E280A-Mutation auch eine seltene Mutation im Apolipoprotein E3-Gen, die als ApoE3 Christchurch-Mutation (ApoE3ch) bekannt ist.
Bereits 2019 berichteten Forschende um Dr. Joseph Arboleda-Velasquez von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, von diesem Fall. Sie vermuteten damals, dass diese homozygote ApoE3ch-Mutation für die Alzheimer-Resistenz der Frau verantwortlich sei. Denn ApoE ist ein bekanntes Gen, das das Risiko für die nicht familiäre Alzheimer-Form beeinflusst. Es kommt in verschiedenen Varianten vor. Während das ApoE3-Allel in Bezug auf das Erkrankungsrisiko neutral ist, verringert ApoE2 das Alzheimerrisiko und ApoE4 erhöht es.
Die Forschenden konnten zeigen, dass die Frau zwar eine ausgesprochen hohe Last von β-Amyloid (Aβ) im Gehirn aufwies, jedoch waren bei ihr nur eine geringe Menge an τ-Fibrillen und eine schwach ausgeprägte Neurodegeneration zu erkennen. Die Autoren vermuteten daher, dass die Schutzwirkung der homozygoten ApoE3 Christchurch-Mutation durch eine limitierte τ-Pathologie und Neurodegeneration bei hoher β-Amyloid-Last vermittelt wird. Wie genau dies funktioniert, blieb damals noch unklar.
Kürzlich publizierten Forschende um Yun Chen vom Department of Neurology der Washington University School of Medicine in St. Louis, USA, Daten im Wissenschaftsjournal »Cell«, die den schützenden Effekt der Mutationen-Kombination erklären könnten.
Die Autoren zeigen anhand von genetisch veränderten Mäusen, dass die Mutation ApoE3ch daran beteiligt sein könnte, die Verbindung zwischen der frühen Phase der Alzheimer-Krankheit, in der sich β-Amyloid-Plaques im Gehirn ansammeln, und der späten Phase, in der Tau-Knäuel akkumulieren und der kognitive Abbau einsetzt, zu unterbrechen.
Um offene Fragen bezüglich der seltenen Pathologie der oben genannten PSEN1-E280A-Mutationsträgerin zu klären, verwendeten die Forschenden Mäuse, die eine genetische Veranlagung trugen, übermäßig viel Amyloid zu produzieren. In das Genom dieser Mäuse führten die Wissenschaftler dann das menschliche ApoE-Gen mit der Christchurch-Mutation ein.
Dann injizierten sie geringe Konzentrationen des menschlichen Tau-Proteins in das Gehirn der transgenen Mäuse. Dies führt normalerweise zur Akkumulation von Tau-Aggregaten, wenn bereits große Mengen an Amyloid-Plaques vorhanden sind.
Bei den transgenen Mäusen, die die Christchurch-Mutation trugen, war dies jedoch nicht so. Ähnlich wie bei der kolumbianischen Frau entwickelten die Mäuse trotz ausgedehnter Amyloid-Plaques nur eine geringe Tau-Pathologie.
Die Forschenden konnten zeigen, dass dieser Schutzmechanismus mit der Aktivität der Mikroglia, den spezialisierten Makrophagen des Gehirns, korrelierte. Mikroglia neigen dazu, sich um Amyloid-Plaques anzusammeln. Bei Mäusen mit der ApoE3 Christchurch-Mutation waren die Mikroglia in der Umgebung von Amyloid-Plaques besonders aktiv und übermäßig effizient bei der Aufnahme und Beseitigung von Tau-Aggregaten.
In einer Pressemitteilung der Washington University School of Medicine sagt Professor Dr. David Holtzman, der Seniorautor der Studie: »Jeder Schutzfaktor ist sehr interessant, weil er uns neue Hinweise darauf gibt, wie die Krankheit funktioniert.« Tau werde offensichtlich von Mikroglia aufgenommen und abgebaut, bevor sich die Tau-Pathologie effektiv auf die nächste Zelle ausbreiten könne, ergänzt der Wissenschaftler. Damit werde ein Großteil des nachgeschalteten Prozesses blockiert und die Neurodegeneration, die Atrophie und viele kognitiven Probleme deutlich verzögert.
Jetzt gehe es darum, die Wirkung der Mutation pharmakologisch nachzuahmen, um die Menschen vor der Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen zu schützen, so Holtzman.