Schlüsselproteine für Gehirnalterung identifiziert |
| Theo Dingermann |
| 12.12.2024 15:00 Uhr |
Verschiedene Proteine geben einer aktuellen Studie zufolge Auskunft, wie rasch das Gehirn altert. Sie biete auch Ansatzpunkte, die Alterung aufzuhalten. / © Getty Images/Science Photo Library
Proteom-Analysen bieten die Möglichkeit, charakteristische Biomarker zu identifizieren, mit deren Hilfe grundlegende biologische Prozesse über eine Zeitachse beobachtet werden können. Diesen Ansatz wählte ein Forscherteam um Dr. Wei-Shi Liu vom Department of Neurology and National Center for Neurological Diseases am Huashan Hospital der Fudan University in Shanghai, China, um Veränderungen während der Hirnalterung zu untersuchen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit publizierten die Forschenden jetzt in dem Fachjournal »Nature aging«.
Zunächst analysierten die Forschenden Aufnahmen von 10.949 gesunden Erwachsenen, die durch multimodale Gehirn-Magnetresonanztomographie (MRT) erhalten wurden. Mithilfe maschineller Lernmodelle bestimmten sie dann anhand der Bilddaten die sogenannten Alterslücke des Gehirns (Brain Age Gap, BAG). Darunter versteht man die Abweichung zwischen dem vorhergesagten Gehirnalter und dem tatsächlichen (chronologischen) Alter. Diese Abweichung kann als Marker für die Hirnalterung dienen.
Mithilfe spezieller Regressionsmodelle identifizierten die Forschenden 1705 bildgebungsbasierte Phänotypen (IDP), die dazu verwendet wurden, um möglichst präzise das Hirnalter zu schätzen. Aus dem von den Forschenden entwickelten Modell ließ sich das Gehirnalter mit einem mittleren absoluten Fehler von 2,76 für alle in die Analyse eingeschlossenen Personen ermitteln, wobei auch geschlechtsspezifische Unterschiede festgestellt wurden.
In einem zweiten Schritt untersuchte das Team um Liu, welche Proteine bei der Hirnalterung eine Rolle spielen. Hierzu bestimmte es zunächst das Proteom (die Gesamtheit aller Proteine) im Blut einer Gruppe von Probanden. Bei einer Assoziationsanalyse von 2922 Proteinen von 4696 Studienteilnehmern identifizierten die Forschenden dann 13 Proteine, die signifikant mit der Alterslücke des Gehirns assoziiert sind. Diese Proteine könnten an der Stressreaktion, an Regenerations- und an Entzündungsprozessen im Gehirn beteiligt sein. Ebenfalls sind diese Proteine signifikant mit Demenz, Schlaganfall und Bewegungsfunktionen assoziiert, berichtet das Team.
Eines der Schlüsselproteine ist Brevican. Dieses wird beim Menschen von dem Gen BCAN codiert und gehört zur Familie der Lectican-Proteine. Man nimmt an, dass Brevican an der Aufrechterhaltung von Molekülnetzwerken um Neuronen beteiligt ist und möglicherweise mit einer langsameren Alterung des Gehirns und der Vorbeugung von Alzheimer in Verbindung stehen könnte. Die Dysregulation von BCAN scheint mehrere kortikale und subkortikale Strukturen zu betreffen. Die Forschenden konnten wellenförmige Veränderungen im Plasmaproteom während des Alterns des Gehirns nachweisen. Am stärksten veränderten sich die Konzentrationen des Proteins im Alter von 57, 70 und 78 Jahren, was auf unterschiedliche biologische Wege während des Alterns des Gehirns hindeutet. Ein weiteres Protein, das wie Brevican negativ mit der Hirnalterung assoziiert zu sein scheint, ist die Serin-Protease Kallikrein-6, die vom Gen KLK6 codiert ist.
Positive Assoziationen mit der Hirnalterung wurden unter anderem für die Proteine Wachstumsdifferenzierungsfaktor 15 (GDF15), Metalloproteinase-Inhibitor 4 (TIMP4), Lysosomale Phospholipase A und Acyltransferase (codiert durch das PLA2G15-Gen) identifiziert.
Die Studie ist bemerkenswert, da sich aus den Ergebnissen spezifische Zeitpunkte (nämlich das Alter von 57, 70 und 78 Jahren) andeuten, die für Interventionen zur Hirnalterung besonders relevant sein könnten. Zudem identifizierten die Forschenden mit BCAN eine potenzielle Zielstruktur für therapeutische Ansätze. Und außerdem wird aus den Ergebnissen der Studie deutlich, dass personalisierte Präventionsstrategien notwendig sind, insbesondere dann, wenn es darum geht, den Alterungsprozess ab 70 Jahren zu verlangsamen. Letztlich demonstrieren die Forschenden, dass mithilfe von Plasma-Proteomik eine einfach zugängliche Quelle zur Überwachung von Hirnalterungsprozessen verfügbar ist.