»Schlecht beraten, wenn wir uns an Apotheken orientieren« |
| Cornelia Dölger |
| 28.10.2025 14:00 Uhr |
»Wenn Menschen zunehmend auch online einkaufen möchten, werden sie sich irgendwann die Frage stellen, warum sie bei dm nicht die OTC-Produkte finden, die es bei den schon bestehenden Online-Apotheken gibt«, meint dm-Geschäftsführer Christoph Werner. / © Imago/Arnulf Hettrich
PZ: Zur Unternehmensphilosophie von dm gehört, sich immer am Kundenwunsch zu orientieren. Gibt es also einen Kundenwunsch nach Schmerzmitteln per Versandhandel?
Werner: Offenbar gibt es den, denn wir sehen, dass Kunden in der dm-App und auf dm.de danach suchen. Das sollten wir ernst nehmen und unser Produktangebot entsprechend weiterentwickeln.
PZ: Welche Wünsche gibt es noch?
Werner: Wir beobachten bei den Menschen ein Bedürfnis nach Prävention, das vor allem dadurch befeuert wird, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben. Die Themen Lebenslänge und ein selbstbestimmter Lebensabend bei guter Gesundheit stehen damit ganz anders im Fokus. Der Wunsch nach Unsterblichkeit beschäftigt die Menschheit zwar schon lange, in letzter Zeit hat die Diskussion darüber jedoch an Dynamik gewonnen, nachdem sie in den Sozialen Medien viel mehr geführt wird und einzelne Content Creatoren über konkrete Strategien sprechen.
PZ: Longevity ist ein Riesenthema.
Werner: So ist es. Daher auch das Interesse an OTC-Produkten, die helfen können, ein gesundes Leben zu führen. Rechtliche Restriktionen halten uns bisher davon ab, als Drogeriemarkt mit unserem Sortiment darauf zu reagieren, obwohl online bei anderen Anbietern ein entsprechendes Angebot gemacht wird. Das wird zunehmend zu einem Wettbewerbsnachteil, wenn die sogenannten Digital Natives ihre Einkäufe mit großer Selbstverständlichkeit auch online erledigen möchten.
PZ: An diese wendet sich dm?
Werner: Ja, auch an diese. Denn wenn Menschen zunehmend auch online einkaufen möchten, werden sie sich schon irgendwann die Frage stellen, warum sie bei dm nicht die OTC-Produkte finden, die es nur einen Klick entfernt bei den schon bestehenden Online-Apotheken gibt. Denn aus Kundensicht wäre der Aufwand für einen Einkauf bei der Shop-Apotheke, bei Doc Morris oder in der dm-App oder auf dm.de doch irgendwie vergleichbar.
PZ: Gemeinsam haben sie alle, dass es dort Medikamente gibt, aber in der Regel keine Beratung.
Werner: Selbstverständlich gibt es Beratung. Gerade im Internet können Sie das doch noch passender und prompter anbieten.
PZ: Arzneimittelverkauf ist also das eine und die Beratung holt man sich separat?
Werner: Wie ist es denn in einer stationären Apotheke? Ob Sie dort eine Beratung in Anspruch nehmen oder nicht, das entscheiden immer noch Sie. So jedenfalls meine Erfahrung als Kunde in Apotheken. Wenn Sie in einer Online-Apotheke unterwegs sind, bekommen Sie auf einer Produktdetailseite Informationen, die im Detail weit über das hinausgehen können, was Sie in der Sichtwahl und in der Freiwahl hätten. Sie können zusätzlich auch mit Bewegtbild oder mit einem entsprechenden Chat-Bot arbeiten bis hin zu einer Streaming-Schalte für eine Tele-Beratung. Sie haben daher viele Beratungsmöglichkeiten. Vielleicht sind diese sogar noch besser als in einer stationären Apotheke, wo fünf Leute hinter Ihnen stehen und mit den Hufen scharren oder vor Ihnen jemand keinen Punkt findet.
PZ: Es gibt für Arzneimittel nicht ohne Grund eine Apothekenpflicht.
Werner: Sie sprechen die deutsche Regulatorik an. In anderen europäischen Ländern wird das anders gehandhabt. Um es vorsichtig auszudrücken: Ich kann nicht erkennen, dass diese deutsche Regulatorik uns aus Patientensicht international zu einem nachahmenswerten Vorbild gemacht hat.
PZ: Wo ziehen Sie denn für dm die Grenze? Aktuell steht OTC auf der Agenda.
Werner: Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, denn dort geht es nicht um eine Auswahl des Patienten, sondern um die Einlösung eines Rezeptes. Das ist eine andere Logik. Von einer »dm-online-Apotheke« zu sprechen ist daher aus Kundensicht nur bedingt treffend, weil viele Menschen mit einer Apotheke verschreibungspflichtige Medikamente verbinden.
PZ: Beim Arzneimittelversand ist immer eine Apotheke dahinter, egal, ob man OTC oder Rx versendet. Auch in Tschechien müssen Sie jetzt eine aufbauen, damit Sie nach Deutschland versenden können.
Werner: Das tun wir auch. Aber für die Menschen in Deutschland ist diese eine stationäre Apotheke in Tschechien praktisch irrelevant.
PZ: Aber es gibt gesetzliche Regelungen. Die sollen unter anderem verhindern, dass Arzneimittel wie gewöhnliche Waren wahrgenommen werden.
Werner: Wenn man so argumentiert, sind ja auch die Online-Apotheken eine Bedrohung.
PZ: Gegen Versender wie Doc Morris & Co. gibt es ja auch immer wieder Gerichtsverfahren und -urteile.
Werner: Sie haben ja recht, aber das alles spielt sich in einem Bereich ab, der für die Menschen rein praktisch eigentlich irrelevant ist. Denn die Realität, in der wir leben, ist diese: Es gibt Online-Apotheken und es gibt stationäre Apotheken in Deutschland, ob uns das gefällt oder nicht. Den Bürgerinnen und Bürgern gefällt das ganz offensichtlich, denn sie kaufen zunehmend auch online Apothekenprodukte ein. Wir als Marktteilnehmer sehen, dass es eine zunehmende Nachfrage nach Produkten zur Gesunderhaltung und Prävention gibt, die wir stationär aus regulatorischen Gründen bisher nicht anbieten dürfen.
PZ: Online auch nicht.
Werner: Und deswegen haben wir uns die Frage gestellt, wie wir uns aufstellen sollten, damit wir mindestens genauso kompetent sind in diesen Bereichen wie die Online-Apotheken, welche der Kunde heute ja problemlos nutzen kann und die nur einen Klick von uns entfernt sind und sich im Einkaufserlebnis grundsätzlich nicht von unserem Onlineauftritt unterscheiden.
PZ: Können Sie Kritik an Ihrem Vorstoß nachvollziehen?
Werner: Die Kritik der Verbandsvertreter stationärer Apotheken? Ja gut, die sagen sich halt: »Jede Mücke sticht!« Aber da sage ich: »Willkommen im Wettbewerb für einen höheren Kunden- und Patientennutzen!« Ich nehme die Kritik nicht persönlich. So ist das halt, wenn man kein Zutrauen in eigene Ideen hat, die das eigene Geschäftsmodell weiterentwickeln.
PZ: Die Apotheken haben im Gegenteil viele Ideen, wie sie die Versorgung vereinfachen und zukunftsfest machen können. Sie finden sich ja sogar in den aktuellen Reformplänen des Bundesgesundheitsministeriums wieder.
Werner: Ich meine das auch gar nicht gehässig. Schauen Sie, die Apotheker werden gerade ja selbst angegriffen! Das sieht man aktuell in der Diskussion, die von unserer Bundesgesundheitsministerin Nina Warken ausgelöst wurde, als sie beispielsweise in Aussicht gestellt hat, in Apotheken Impfungen mit Totimpfstoffen grundsätzlich zu genehmigen. Da schießen nun gleich die Vertreter der Ärzte dagegen. Apotheken können ja auch nicht einfach machen, was sie wollen.
PZ: Sie unterliegen strengen Regeln.
Werner: …die liberalisiert werden sollten.
PZ: Die Apotheken wollen zum Beispiel stärker in die Prävention gehen.
Werner: Das wäre gut und meinen Applaus hätten sie auf jeden Fall!
PZ: Haben Sie sich schonmal in einer Apotheke impfen lassen?
Werner: Bislang nur beim Arzt. Aber wenn es schnell geht, wäre ich dabei!
PZ: Welche Rolle spielen Apotheken in der künftigen Versorgung?
Werner: Das müssen sich die Apotheken selbst überlegen, denn ganz ehrlich: Es steht mir überhaupt nicht zu, den Apothekern Ratschläge zu erteilen. Ich frage mich auch nicht, was es für die Apotheke bedeutet, wenn wir unsere neuen Angebote machen. Die Frage ist nicht: »Wie schütze ich tradierte Marktstrukturen?«, sondern: »Was will der Kunde? Wie können wir es für ihn einfacher machen und einen relevanten Nutzen stiften?« Wenn wir diese Frage aus dem Blick verlieren, werden wir irgendwann disruptiert.
PZ: Was meinen Sie konkret?
Werner: Disruptiert werden Sie, wenn Sie sich nicht verändert haben, aber die Erwartungen Ihres Kunden anders geworden sind. Denn dann kommt jemand in den Markt, der auf den Kunden guckt und sieht, was dieser mittlerweile eigentlich will. Dann werden Sie irrelevant und Ihre bisherigen Kunden lassen Sie eiskalt links liegen. So läuft Disruption ab und das darf uns bei dm nicht passieren. Deswegen wären wir schlecht beraten, wenn wir uns daran orientieren würden, was die Apotheker zu unseren Plänen sagen.
PZ: Auch die Politik hat sich zu den Vorstößen geäußert. Der Gesundheitssprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, hat kürzlich die Apotheken-Reformpläne als unwirksam gegen die »eigentliche Gefahr« für Apotheken bezeichnet, nämlich die Gesundheitspläne von Drogerien und Handelsgiganten wie Amazon.
Werner: Da sieht man mal, wie wenig er sich wirklich auszukennen scheint. Das ist genau das, was ich mit »Mangel an ökonomischem Sachverstand in der öffentlichen Diskussion« meine. Herr Dahmen denkt offenbar nur in bestehenden Strukturen und nicht an Kundennutzen. Und das ist das eigentliche Problem. Diese bisherigen Strukturen gewährleisten nicht länger eine gute Gesundheitsversorgung. Mittlerweile pfeifen das die Spatzen von allen Dächern.
PZ: Und das kann dm ändern?
Werner: Wir können zumindest einen kleinen Beitrag leisten, nicht zuletzt zur notwendigen öffentlichen Debatte. Die olympische Disziplin des Hochsprungs ist da ein gutes Beispiel für die strukturelle Debatte, die geführt werden sollte: Wenn es darum geht, möglichst hoch zu springen, können Sie natürlich die alte Sprungtechnik optimieren. Das war der »Straddle«, der sogenannte »Wälzer«, bei dem mit dem Bauch nach unten eine Rollenbewegung nach vorne über die Latte gemacht wurde. Auch mit Optimierung wurden kaum noch Höhenfortschritte erzielt. Und dann kam der Fosbury-Flop, bei dem man rückwärts über die Latte springt. Damit waren plötzlich ganz andere Höhen möglich. Der Erfinder hatte erkannt, dass mit den weicheren Hochsprungmatten eine andere Sprungtechnik möglich war, als wenn man im Sand aufschlägt.
PZ: Rückwärts über die Latte rettet das Gesundheitssystem?
Werner: Ich glaube, wenn wir auf Gesundheit gucken, müssen wir Fosbury-Flops auch mal zulassen. Also nicht nur Optimierung, sondern Prozessmusterwechsel, denn das war der Fosbury-Flop!
PZ: Nochmal zurück zum geplanten OTC-Versand. Läuft hier alles nach Plan? Es hieß ja, im Herbst solle es losgehen, also eigentlich in diesen Tagen.
Werner: Kalendarisch endet der Herbst am 20. Dezember 2025. Wir liegen daher noch gut in der Zeit.
PZ: Aber die Apotheke in Bor steht schon?
Werner: Ja, sie steht, ist aber noch nicht eröffnet.
PZ: Warum nicht?
Werner: Formal liegen noch nicht alle Genehmigungen vor. Aber diese werden gerade eine nach der anderen erteilt. Wir sind also zuversichtlich, noch im Herbst eröffnen zu können.
PZ: Aktuell heißt es, dass die Zulassung erteilt wurde. Stimmt das?
Werner: Wir machen sehr gute Fortschritte im Lizensierungsprozess. Dieser ist komplex und beinhaltet zahlreiche Schritte. Detaillierte Informationen zu unserem aktuellen Stand möchten wir nicht mitteilen.