Schaumwein soll die Kassen mitfinanzieren |
Jennifer Evans |
22.08.2022 16:30 Uhr |
Die Innungskrankenkassen haben heute in Berlin eine Lösung vorlegt, wie sich die GKV künftig solider aufstellen können soll. / Foto: Imago/Horst Galuschka
Die Beitragszahler sind schon jetzt zu stark belastet, finden die Innungskrankassen. Und perspektiv steigen die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ungebremst weiter, während der im Juli 2022 vorgelegte Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) das Problem nicht lösen wird, kritisieren die IKKen.
Auch Professor Jürgen Wasem, Gesundheitsökonom von der Universität Duisburg-Essen, rechnete vor, dass die Unterfinanzierung der GKV von aktuell 51 Milliarden Euro im Jahr 2027 auf 75 Milliarden Euro anwachsen wird. »Das GKV-FinStG ist schon für 2023 bestenfalls auf knappste Kante genäht, vermutlich noch nicht einmal das«, betonte er bei einer Pressekonferenz, zu der die Innungskrankenkassen am heutigen Montag in Berlin eingeladen hatten. Schon ab 2024 werde das strukturelle Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben wieder weit auseinanderklaffen, warnte er.
Aus Sicht der Innungskrankenkassen sollte die GKV nicht nur Finanzspritzen bekommen, sondern auch mehr Einnahmen generieren. Wie das aussehen könnte, haben sie heute vorgestellt. Mit ihrem Konzept wollen die IKKen dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) nach eigenen Angaben Lösungsvorschläge liefern, um die GKV-Finanzen nachhaltig zu stabilisieren.
Folgende Bausteine enthält das Konzept der IKKen: ein dynamisierter Bundeszuschuss mit dem Ziel »versicherungsfremde Leistungen« auszugleichen, die sich laut IGES-Institut auf knapp 50 Milliarden Euro belaufen. Dabei handele es sich nämlich eigentlich um staatliche Aufgaben, die folglich aus Steuermitteln finanzieren werden müssten, so das Argument.
Außerdem ist das Lohnkostenmodell aus Sicht der Innungskrankenkassen überholt. Stattdessen sollten die Kassen zur Hälfte an den Einnahmen aus der Tabak-, Alkohol-, Alkopop-, und Schaumweinsteuer beteiligt werden, forderte Professor Jörg Loth, Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest. Zur Orientierung: Die Einnahmen in diesem Bereich lagen seinen Angaben zufolge zuletzt konstant bei rund 17 Milliarden Euro pro Jahr. »Das bedeutet, dass diese Steuerarten gerade einmal rund 2 Prozent der gesamten jährlichen Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen ausmachen. Für die GKV und ihre Versichertengemeinschaft ist die Bedeutung aber weit weniger marginal«, sagte er. Allein eine fünfzigprozentige Beteiligung würde das für 2023 veranschlagte Defizit um knapp die Hälfte ausgleichen.
Für Loth handelt es sich dabei ganz klar um eine Win-win-Situation von Lenkungssteuern für den Staat, die Versicherten und die Kassen. Und in seinen Augen ist es auch durchaus legitim, über eine GKV-Beteiligung an solchen »gesundheitspolitisch motivierten Lenkungssteuern« nachzudenken. Schließlich dienten sie dazu, Gesundheitsrisiken und deren Kosten zu kompensieren sowie das Gesundheitsverhalten positiv zu beeinflussen.
Darüber hinaus fordern die IKKen eine Absenkung der Umsatzsteuer auf Arzneimittel von 19 Prozent auf 7 Prozent. Was unter anderem auch für Lebensmittel des Grundbedarfs gelte, könne der GKV bundesweit 6 Milliarden Euro einsparen, so Loth. »Die Mehrwertsteuersenkung wäre ein zentraler Baustein einer strukturellen Finanzierungsreform und ist fast in jedem europäischen Land Standard.«
Mit Blick auf das IKK-Konzept geht Loth bei einer konservativen Schätzung von einer Einsparsumme in Höhe von mehr als 33 Milliarden Euro aus. »Ein Zusatzbeitragspunkt in der GKV entspricht in etwa 16 Milliarden Euro. Somit wären den Versicherten 2,1 Prozentpunkte beim Zusatzbeitrag zu ersparen«, erläuterte er.
Peter Kaetsch, Vorstandsvorsitzender der Big Direkt Gesund, nannte eine weitere Stellschraube: Die Beteiligung der Plattformarbeit an der Finanzierung der Sozialabgaben. »Plattformarbeiterinnen und -arbeiter gelten meist als selbstständige Auftragnehmer. Anders als betriebszugehörige Personen unterliegen die Löhne nicht dem Steuerabzug durch den Arbeitgeber«, begründete er. Um aber eine gerechte Beteiligung der Plattformwirtschaft an der Finanzierung der Sozialversicherung zu gewährleisten, sollten seiner Ansicht nach auch Plattformen an den Sozialabgaben beteiligt werden.