Scharfe Kritik an Lieferengpass-Gesetzentwurf |
Melanie Höhn |
15.02.2023 09:20 Uhr |
ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening: »Die Apotheken lösen tagtäglich die Probleme, die andere verursacht haben.« / Foto: ABDA/Erik Hinz
Laut ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening verfehlt der Entwurf zum ALBVVG die Forderungen der Apothekerschaft: »Die grassierenden Lieferengpässe belasten die Patientinnen und Patienten sowie die Apotheken enorm. Die Apotheken lösen tagtäglich die Probleme, die andere verursacht haben – und das mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand. Die Apotheken sorgen trotz der Engpässe für eine zuverlässige Versorgung der Patientinnen und Patienten. Durch diesen unermüdlichen Einsatz entlasten die Apotheken vor Ort Arztpraxen und Notaufnahmen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag auch zum Erhalt des sozialen Friedens«, erklärte sie.
Die ABDA fordert »zum einen die erleichterten, bewährten Austauschregeln für Arzneimittel uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Zweitens verlangen wir einen finanziellen Engpass-Ausgleich für unser Management der Lieferengpässe. Das ALBVVG verfehlt beides. Hier müssen unbedingt Änderungen des Gesetzentwurfs folgen. Die Apothekerinnen und Apotheker für die aufwändige Problemlösung mit 50 Cent abspeisen zu wollen, ist eine Herabwürdigung der Leistungen unserer Apothekenteams. Dagegen werden wir uns wehren«.
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) sieht mit dem Gesetzesentwurf eine »Chance zur Systemreform verpasst«. BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz erklärte dazu: »Dass das Thema Versorgungssicherheit bei Generika Beachtung bekommt, finden wir gut. Aber ein umfassender Ansatz zur Verbesserung der Situation sieht anders aus. Punktuelle Korrekturen und zusätzliche Belastungen für die Hersteller sind keine Lösung für die großen Herausforderungen. Sie werden nicht zu einer Verringerung von Abhängigkeiten und zu einer erhöhten Versorgungssicherheit führen«. Zudem fehle in dem Entwurf eine »umfassende Überprüfung der Ausschreibepraxis bei Rabattverträgen«. Besonders enttäuschend sei, dass der »dringend notwendige Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel überhaupt nicht vorkommt«.
Auch für Han Steutel, Präsident der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), verbessert der Gesetzentwurf nicht die Versorgungssicherheit: »Positiv an dem vorgelegten Gesetzentwurf ist, dass auch der Bundesgesundheitsminister erkannt hat, dass es Spitzenmedizin nicht zum Nulltarif geben kann. Leider bleibt es in der Ausgestaltung beim angekündigten Stückwerk, das weder dazu führen wird, künftige Versorgungsengpässe schneller zu erkennen, noch eine grundlegende Strategie verfolgt, um Versorgungssicherheit in Zukunft zu gewährleisten.«
Laut dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Hans-Georg Feldmeier, habe die Gesundheitspolitik »spät, aber richtigerweise erkannt, dass strukturelle Maßnahmen im Generikabereich nötig sind, um die Versorgungssicherheit zu stärken«. Er erklärte: »Wir kennen das Problem von Lieferengpässen bereits seit Jahren und wissen, was die Hauptursache ist: Der ungeheure Preisdruck bei generischen Arzneimitteln der Grundversorgung, der, wie es Gesundheitsminister Lauterbach selbst eingeräumt hat, bis zum Äußersten getrieben wurde«.
Feldmeier beschreibt die Lage als ernst, was beispielsweise bei den Kinderarzneimitteln auch im Gesetzesentwurf deutlich werde. »Hier wird der Spardruck weggenommen, was aber mit Blick auf die gesamte Versorgung völlig unzureichend ist. Warum setzt man nur in einzelnen Bereichen an, wo die Probleme doch die gesamte Grundversorgung betreffen? Pharmazeutische Unternehmen können durch diverse Sparzwänge, wie beispielsweise dem Preismoratorium und ruinöses Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern, die gestiegenen Kosten nicht weitergeben und wirtschaftlich produzieren. Jetzt braucht es ein Umdenken bei den Preisen der Arzneimittel der Grundversorgung, und zwar nicht nur in einzelnen Versorgungsbereichen, sondern in der Breite.«
Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, kritisiert, dass die Politik den extremen Kostendruck zwar lockern will, dies tue sie jedoch nicht nicht konsequent genug. »Die Politik hat erkannt, dass das Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika die Versorgung destabilisiert hat und zu Engpässen führt. Dieses Gesetz wird das Engpass-Problem nicht lösen, denn es geht seine Ursachen nur bei Antibiotika und Krebsmitteln an. Diese aber machen zusammen gerade einmal 1,1 Prozent aller Arzneimittel (in Tagestherapiedosen) aus. Ich frage mich: Wie erklärt die Politik einer Diabetespatientin, dass ihre Versorgung weniger verlässlich sein muss als die eines anderen?«
Mit Blick auf die aktuelle Situation in den Apotheken sagt Bretthauer: »Auch Herz-Kreislaufmittel, Schmerz-Medikamente oder Antidepressiva werden immer wieder knapp. Ursache ist hier ebenfalls: das niedrige Kostenniveau, das diversifizierte Lieferketten unmöglich macht.«
Für Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, ist der Gesetzentwurf ein »erster Schritt für mehr Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln«. »Grundsätzlich begrüßen wir den vorliegenden Referentenentwurf, weil damit ein Teil unserer langjährigen Forderungen aufgegriffen wurde und ein erster Schritt für mehr Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln gemacht wird.« Der Entwurf habe jedoch ein Manko: »Grundsätzlich erschließt sich nicht, wie insbesondere ökonomische Ansatzpunkte zur Lösung von Lieferengpässen beitragen sollen. Denn die Erhöhung von Festbetragsgrenzen und Preisen wird die globalen Probleme mit Lieferengpässen nicht lösen. Es ist zu befürchten, dass die Regelungen zur nationalen Preisfestsetzung von Reserveantibiotika nicht zur Entwicklung neuer Antibiotika beitragen. Wie bereits seit vielen Jahren bekannt, ist dieses Forschungsfeld für viele pharmazeutische Unternehmer aus verschiedenen Gründen unattraktiv.«
Darüber hinaus seien sowohl das künftige Aufgabenvolumen als auch die Besetzung des Beirates zu Liefer- und Versorgungsengpässen nicht geeignet, um bei Problemen adäquate Maßnahmen einzuleiten. »Die Grundzüge der Regelungen des Frühwarnsystems sollten vom Gesetzgeber konkret definiert werden. Zudem bedarf es einer deutlichen Aufwertung durch eine breitere Besetzung des Beirats. Dies kann nur durch zusätzliche Vertretung der maßgeblichen Krankenkassenverbände auf Bundesebene erreicht werden«, so Reimann.