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Hilfreiche Hypoxie

Sauerstoffmangel als neuer Therapieansatz

Sauerstoffmangel (Hypoxie) wird in der Regel als etwas Schlechtes angesehen. Neuen Forschungsergebnissen zufolge könnte er aber zur Behandlung oder Vorbeugung spezieller Krankheiten beitragen. Das zeigt ein Review im Fachjournal »Science«. Der Ansatz ist jedoch nicht risikofrei.
AutorKontaktChristina Hohmann-Jeddi
Datum 11.02.2025  18:00 Uhr

Sauerstoff ist lebenswichtig, Sauerstoffmangel entsprechend ungünstig. Dennoch scheint chronischer Sauerstoffmangel (Hypoxie) bei bestimmten Erkrankungen einen positiven Effekt zu haben. Diese kontraintuitiven neuen Erkenntnisse stellten Dr. Robert Rogers und Professor Dr. Vamsi Mootha von der Harvard Medical School in Boston im Januar in einer Übersichtsarbeit im Fachjournal »Science Translational Medicine« vor.

Demnach spielt der Sauerstoffgehalt der Außenluft offenbar eine Rolle bei mitochondrialen Erkrankungen, Neuroinflammation und Alterung. Während die Verwendung von zusätzlichem Sauerstoff (Hyperoxie) bei einigen Indikationen wie Taucherkrankheit oder Clusterkopfschmerz schon seit Langem etabliert sei, werde die chronische kontinuierliche Hypoxie (CCH) als Therapie erst seit Kurzem untersucht, schreiben die Autoren. CCH sei definiert als Hypoxie für mindestens drei Tage bei einer Sauerstoffkonzentration von weniger als 21 Prozent auf Meereshöhe mit minimalen Unterbrechungen. Effektiv sei dabei eine moderate Hypoxie, die sie als Sauerstoffkonzentration von 10 bis 17 Prozent auf Meereshöhe definieren.

Erste Ergebnisse aus präklinischen Studien

In verschiedenen präklinische Studien, die 2016 begannen, zeigte die CCH Vorteile. Bei diesen Studien werden die Versuchstiere in Kammern untergebracht, in denen eine Hypoxie durch Verdünnung der Umgebungsluft mit Stickstoff erreicht wird. In der bisherigen Forschung stehen vor allem mitochondriale Erkrankungen, Neurodegeneration, Alterungserscheinungen und Herzschäden im Fokus.

Als Erstes konnten positive Effekte der CCH bei einem Mausmodell des Leigh-Syndroms, einer erblichen mitochondrial bedingten Enzephalopathie, gezeigt werden. Bei diesem verlängerte die CCH die Lebensspanne der Tiere von durchschnittlich 75 auf 270 Tage, während die neurologischen Funktionen erhalten blieben. Die Therapie war auch bei fortgeschrittener Erkrankung noch effektiv.

Auch bei Mausmodellen des Leigh-ähnlichen Syndroms, einer Reihe von Entmarkungserkrankungen, die auf Atmungskettendefekte (in den Mitochondrien) zurückgehen, konnte eine CCH die Lebensspanne der Tiere deutlich verlängern. Die Studien zeigten aber, dass eine intermittierende Hypoxie (etwa 16 Stunden bei 11 Prozent Sauerstoffanteil) ineffektiv und bei einem Mausmodell sogar schädlich war.

Darüber hinaus zeigte die CCH positive Effekte bei Neuroinflammation, so etwa in Tiermodellen für Multiple Sklerose (MS), einen beschleunigten Alterungsphänotyp und optische Neuropathie. »CCH könnte bei zahlreichen neurodegenerativen Erkrankungen, die durch einen Teufelskreis von Neuroinflammation charakterisiert sind, hilfreich sein«, folgern die Autoren.

Auch bei Herzschäden habe der CCH-Ansatz Vorteile gehabt, etwa bei Tiermodellen zur Erholung von einem Myokardinfarkt und einem ischämischen Schlaganfall. In einem Mausmodell für akuten Herzinfarkt konnte eine Hypoxie für zwei Wochen die Pumpleistung verbessern und das Ausmaß der Vernarbung verringern.

Übertragbarkeit auf den Menschen

Ob die CCH auch beim Menschen Effekte habe, lasse sich etwa bei Populationen abschätzen, die in hohen Höhen leben, schreiben die Autoren. Schätzungsweise 500 Millionen Menschen lebten dauerhaft auf einer Höhe von mehr als 1500 m über dem Meeresspiegel, was einer Sauerstoffkonzentration von 17,5 Prozent entspricht, etwa 14 Millionen Menschen auf über 3500 m, was 13,6 Prozent Sauerstoff entspricht. Am besten belegt sei ein positiver Effekt auf die kardiovaskuläre Gesundheit bei Männern, die in diesen Höhen leben. Zudem gebe es Hinweise auf eine Verzögerung des Alterns.

Dass chronisch niedrige Sauerstoffwerte tolerierbar sind und sogar vor chronischen Erkrankungen schützen können, zeigt auch eine Studie aus den 1960er- und 1970er-Jahren. In diesem Zeitraum waren etwa 20.000 Soldaten der indischen Armee für drei Jahre auf einer Höhe von 3200 bis 4800 m stationiert. Im Vergleich zu Soldaten, die zu dieser Zeit auf Meereshöhe stationiert gewesen waren, hatten die Soldaten in höheren Lagen eine geringere Rate an Bluthochdruck, ischämischer Herzkrankheit, Diabetes sowie eine um 80 Prozent niedrigere Inzidenz von aktiver Lungentuberkulose (»International Journal of Biometeorology« 1977, DOI: 10.1007/BF01553705).

Wollte man die CCH therapeutisch nutzen, müsste man allerdings bei Patienten Sauerstoffmangel kontinuierlich über lange Zeiträume induzieren. Das ist schwierig. Denn ein Aufenthalt in Kammern mit eingestelltem Sauerstoffanteil, wie er bei Modelltieren während der Untersuchungen praktiziert wird, ist für Menschen aus sozialen Gründen langfristig keine Option.

Es werden daher den Autoren zufolge verschiedene Strategien zur Nachahmung von Hypoxie getestet, darunter Gesichtsmasken, Höhenaufenthalte und Hypoxie-induzierende Arzneimittel. Beispielsweise werde an Wirkstoffen gearbeitet, die die Sauerstoff-Bindekapazität von Hämoglobin erhöhen, sodass dieser O2-Transporter weniger Sauerstoff im Gewebe freisetzen kann. Ein entsprechender Wirkstoff wurde bei Mäusen schon getestet.

Ein weiteres Problem: Hypoxie kann auch gefährlich sein. Akut kann Sauerstoffmangel zur Höhenkrankheit führen, die durch Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Tachykardie gekennzeichnet ist, in schweren Fällen aber auch potenziell tödliche pulmonale oder zerebrale Ödeme verursachen. Ein möglicher Einsatz von CCH sollte daher nur auf Patienten beschränkt sein, bei denen aufgrund der Schwere der Erkrankung der Nutzen die Risiken überwiegt, fordern die Autoren.

Wie lange eine Therapie fortgesetzt werden müsste, hänge dabei von der Indikation ab. Zur Erholung nach einem Myokardinfarkt oder Schlaganfall würden vermutlich einige Wochen CCH-Therapie ausreichen, schätzen die Autoren aufgrund der vorliegenden präklinischen Studien. Bei erblichen Erkrankungen wie dem Leigh-Syndrom müsste die Therapie wohl lebenslang erfolgen, da eine intermittierende Hypoxie bei manchen Tiermodellen schädlich war.

Erste klinische Studien zu chronischem Sauerstoffmangel

Trotz der Hindernisse gab es schon erste klinische Studien mit CCH. So untersuchte ein Team um Dr. Jan-Niklas Hönemann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln die Sicherheit und Machbarkeit einer CCH-Therapie bei vier ausgewählten Patienten mit zurückliegendem Herzinfarkt. Dabei verringerten die Forschenden über 14 Tage nach und nach den Sauerstoffanteil durch Zugabe von Stickstoff zur Atemluft und erhielten dann über 4,5 Tage einen Sauerstoffanteil von 12 Prozent aufrecht. Alle Patienten entwickelten eine Höhenkrankheit; insgesamt war die Behandlung aber sicher und gut verträglich (»Circulation Research« 2023, DOI: 10.1161/CIRCRESAHA.122.322334).

Auch eine Pilotstudie in Boston mit fünf gesunden Probanden, die in einem Zelt für fünf Tage einer Sauerstoffkonzentration von 11 Prozent ausgesetzt waren, zeigte, dass eine CCH-Therapie für diesen Zeitraum sicher und machbar ist. Die Ergebnisse veröffentlichte ein Team um Mootha im Oktober 2024 im Journal »Respiratory Care«. Sie legten den Grundstein für erste klinische Studien, die die Wirksamkeit der Hypoxie untersuchen könnten, heißt es in der Publikation.

Obwohl es für die CCH noch einige Hürden auf dem Weg zur Klinik gibt, sehen Rogers und Mootha Potenzial in dem Ansatz. Gerade für die schweren erblichen mitochondrialen Erkrankungen wäre sie eine Option, um die Zeit bis zur Einführung von ersten pharmazeutischen oder gentechnischen Therapien zu überbrücken. »Wir sollten diese Möglichkeit unter Wahrung der höchsten Standards für Sicherheit und Wirksamkeit untersuchen«, schließen sie.

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