Sauerstoff + Überdruck = Alzheimertherapie? |
Annette Rößler |
21.09.2021 07:00 Uhr |
Eine hyperbare Sauerstofftherapie soll unterversorgtes Gewebe mit Saurestoff versorgen und wird derzeit in der Behandlung von Morbus Alzheimer untersucht. / Foto: Adobe Stock/Drazen
Als hyperbare Sauerstofftherapie oder auch hyperbare Oxygenierung (HBO) bezeichnet man eine Behandlung mit reinem Sauerstoff unter erhöhtem Außendruck. Die Patienten sitzen dabei in einer isolierten Kammer, in der ein Druck von 1,5 bis 3,0 bar herrscht, also das Anderthalb- bis Dreifache des Atmosphärendrucks, und atmen über eine Maske 100-prozentigen Sauerstoff ein. Dadurch steigt der Sauerstoffanteil im Blut laut dem Verband Deutscher Druckkammerzentren auf bis zu 7 Prozent, was dem 20-fachen des Normalwerts entspricht. In der Folge komme es zu einer Regeneration von sauerstoffunterversorgtem Gewebe, so der Verband.
Die HBO wird therapeutisch unter anderem bei schlecht heilenden Wunden, Kohlenmonoxidvergiftung, Taucherkrankheit und Hörsturz beziehungsweise Tinnitus eingesetzt. In Deutschland erstatten die Krankenkassen die Therapie jedoch nur bei diabetischem Fußsyndrom. Laut einer Publikation von Forschern um Dr. Ronit Shapira von der Universität Tel Aviv im Fachjournal »Aging« wird die HBO zurzeit off Label auch bei Patienten mit Hirntraumata und nach einem Schlaganfall eingesetzt. Sie verbessere bei Betroffenen die kognitive Funktion, indem sie im Gehirn die Neubildung von Blutgefäßen anrege, den Blutfluss und das Blutvolumen erhöhe sowie die Mikrostruktur der weißen und grauen Hirnsubstanz verbessere, schreiben die Autoren.
Sie selbst und andere Forschergruppen konnten in verschiedenen Mausmodellen bereits zeigen, dass die HBO auch bei Alzheimer positive Effekte hat. Jetzt wendeten die israelischen Wissenschaftler die Methode erneut bei 5XFAD-Mäusen an, die aufgrund einer genetischen Manipulation β-Amyloid-Plaques im Gehirn und Alzheimer-ähnliche Symptome entwickeln. Vier Wochen lang wurden die Tiere an fünf Tagen pro Woche jeweils für eine Stunde mit HBO bei 2 bar behandelt. Dadurch reduzierte sich im Vergleich zu unbehandelten Tieren die Anzahl und Größe der Plaques im Gehirn und es wurden weniger neu gebildet. Die Steigerung des zentralen Blutflusses und der Sauerstoffversorgung führte bei den behandelten Mäusen zudem dazu, dass sie sich besser räumlich orientieren konnten und ihr kontextuelles Gedächtnis sich verbesserte.
Auch bei menschlichen Probanden war die Therapie wirksam: Sechs ältere Menschen mit deutlichen kognitiven Einbußen wurden in einem Zeitraum von 90 Tagen in 60 jeweils einstündigen Sessions mit HBO behandelt. Dies verbesserte den Blutfluss in bestimmten Hirnarealen und erhöhte signifikant das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung der Patienten, sodass die Autoren am Ende die eindeutige Empfehlung ausspechen: »Die HBO sollte bei Alzheimer als therapeutischer Ansatz zur Verlangsamung des Fortschreitens der Erkrankung oder sogar zur Verbesserung der zugrundeliegenden Pathophysiologie geprüft werden.«
Dr. Osman Shabir von der University of Sheffield in Großbritannien, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war, aber selbst auch schon zur Sauerstofftherapie bei Alzheimer publiziert hat, dämpft in einem Beitrag auf der Plattform »The Conversation« allerdings die Erwartungen. Die israelische Studie sei mit nur sechs Probanden zu klein, um aus ihr belastbare Schlüsse zu ziehen. Zunächst müsse die Wirksamkeit an einer großen Gruppe von Alzheimer-Patienten bestätigt werden.
Allerdings sei die HBO für den breiten Einsatz in dieser Patientengruppe derzeit nicht geeignet: 60 einstündige Sitzungen in einer Druckkammer seien für die meisten Betroffenen nicht machbar, da die Kammern nicht transportabel seien und für die Therapie eigens eine Klinik aufgesucht werden müsse. Hinzu kämen die hohen Kosten der Behandlung. Nichtsdestotrotz scheint die HBO bei Alzheimer ein möglicher Ansatz zu sein, der vor dem Hintergrund mangelnder wirksamer Alternativen sicherlich weiter erforscht werden wird.