| Cornelia Dölger |
| 13.05.2025 14:00 Uhr |
Die Kassenbeiträge steigen – bis wohin? / © Imago/Wolfilser
Dass die Kassenbeiträge sich anhaltend in die Höhe schrauben, dürfte inzwischen ähnlich häufig Gesprächsthema sein wie das Wetter. Mit jeder Erhöhung der Zusatzbeiträge oder deren Ankündigung verschlimmern sich die Szenarien einer zusammenbrechenden Versorgung. Die Hilferufe der Kassen lassen nicht nach; auch die Pläne der neuen Bundesregierung können laut den Kritikern den Trend nicht stoppen, weil sie viel zu spät greifen würden. Union und SPD wollen eine Expertenkommission mit der Problemlösung beauftragen und erwarten erste Ergebnisse erst 2027 – ein No-go für die Kassen, die ein sofortiges Ausgabenmoratorium fordern.
Ohne Gegenmaßnahmen droht dem Sozialsystem demnächst eine gefährliche Schieflage, warnte jetzt auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). »Ohne entschlossene Reformen könnte die Sozialabgabenquote bis 2035 auf über 50 Prozent steigen«, heißt es in einer Impact Note des Essener Instituts. Bereits jetzt hätten die Sozialabgaben eine gefährliche Höhe erreicht: Mit 42 Prozent hätten sie die »einst als unüberschreitbar geltende ›Haltelinie‹ von 40 Prozent« überschritten.
Besonders dramatisch entwickelten sich die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): von 1,7 Prozent im Jahr 2024 auf aktuell 2,9 Prozent im zweiten Quartal 2025. Geschuldet ist dies der »Schere, die sich seit Jahren öffnet«, so das RWI. Im vergangenen Jahr stiegen demnach die gesamten Leistungsausgaben der GKV um acht Prozent, während die beitragspflichtigen Einnahmen der GKV-Mitglieder nur um 4,2 Prozent wuchsen. Die GKV schloss demnach das Jahr 2024 mit einem Defizit von etwa sechs Milliarden Euro ab, der Gesundheitsfonds lag weitere vier Milliarden Euro im Minus.
Mehrere Faktoren seien für den Trend verantwortlich. Neben der im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Inanspruchnahme von Leistungen, fehlender Patientensteuerung und steigenden Arzneimittelpreisen für innovative Therapien macht das RWI die zunehmende Alterung der Gesellschaft als Ursache aus. Nur mit strukturellen Reformen lasse sich dieser Trend stoppen.
Die Ausgabendynamik bremsen können demnach zentrale Reformansätze, die das RWI als seine »Gesundheitsagenda 2030« erläutert. Die Maßnahmen sollten kurzfristig greifen, aber auch nachhaltige Wirkung zeigen.
So könne ein Primärarztsystem Patienten gezielt steuern und unnötige Facharztbesuche reduzieren. Zudem müssten Notfallversorgung und Rettungsdienst reformiert werden.
Pflegefachpersonen müssten »endlich eine deutliche Aufwertung zu eigenständigen Leistungserbringern erfahren«. Dazu müsse die Fachpflege als eigenständiger Leistungserbringer ins Sozialgesetzbuch (SGB) V aufgenommen werden. Die Arzneimittelpreise müssten sich am erzielbaren Patientennutzen orientieren, so die weitere Forderung. Außerdem brauche es eine Preisobergrenze, die sich daran orientieren solle, »wie viele zusätzliche (qualitätsadjustierte) Lebensjahre die Patienten durch das Arzneimittel gewinnen« könnten.
Wörtlich fordert das RWI:
Sozialabgaben von 50 Prozent und mehr sind laut dem Institut ein Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. »Die Lohnnebenkosten würden für Unternehmen untragbar, die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland würde weiter sinken und die Arbeitsbereitschaft angesichts sinkender Nettolöhne abnehmen.« Mit einem derart hohen Abgabenniveau würde die »Deindustralisierung« weiter vorangetrieben.