Rheuma-Medikamente wirken bei Frauen oft schlechter |
Brigitte M. Gensthaler |
31.08.2023 12:30 Uhr |
Häufiger zum Arzt, aber seltener eine Diagnose: Frauen mit Rheuma-Erkrankungen bekommen später eine Diagnose, sprechen weniger auf eine antientzündliche Medikation an und erreichen seltener eine Remission als Männer. / Foto: Getty Images/SDI Productions
»Die meisten rheumatischen Erkrankungen kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Das gilt vor allem für Kollagenosen wie das Sjögren-Syndrom, aber auch die rheumatoide Arthritis«, berichtete Privatdozentin Dr. Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet, bei der digitalen Vorabpressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologie-Kongresses Ende August. Etwa drei Viertel der Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) sind weiblich; beim Sjögren-Syndrom und Mischkollagenosen sind es mehr als 90 Prozent.
In etwa ausgewogen ist die Geschlechterverteilung dagegen bei der Psoriasis-Arthritis. Nur wenige entzündlich-rheumatische Erkrankungen, beispielsweise Morbus Behçet und ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew), betreffen häufiger Männer. Dies beschreiben Wissenschaftlerinnen des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin in einer im Fachblatt »Innere Medizin« publizierten Literaturrecherche zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen.
»Umso verwunderlicher erscheint es, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten«, sagte Kiltz. Eine mögliche Ursache könne sein, dass die Krankheiten bei Männern in der Regel schwerer verlaufen und sich früher Organschäden zeigen; dies sei wegweisend für die Diagnose.
»Frauen schildern häufiger eine große Vielfalt an Symptomen und eine höhere Krankheitslast, was eine eindeutige Diagnose erschweren kann.« Die Unterschiede ließen sich unter anderem auf hormonelle, immunologische und (epi)genetische Unterschiede der Geschlechter zurückführen. Dabei könne aber kein einzelner Faktor herausgehoben werden.
»Gender beeinflusst auch die Arzneimitteltherapie«, berichtete die Ärztin. Frauen werden oft kürzer und mit geringeren Dosen behandelt. Ob sich die Wirksamkeit der Medikamente unterscheidet, sei umstritten. Erwiesen sei aber, dass immunsuppressive Therapien bei Frauen weniger dauerhaft wirken und Frauen deutlich seltener das Therapieziel einer niedrigen Krankheitsaktivität oder Remission erreichen als Männer. Gut belegt sei das für TNF-α-Blocker bei Patienten mit RA oder ankylosierender Spondylitis.
Die Daten des Rheuma-Forschungszentrums unterstreichen das. So reagieren Männer mit Psoriasis-Arthritis besser auf den TNF-α-Inhibitor Etanercept als Frauen. Gemäß einer Auswertung des spanischen Rheumaregisters sprechen Frauen schlechter auf den ersten TNF-Inhibitor an. Bei den JAK-Inhibitoren gebe es nach ersten Untersuchungen keinen geschlechtsspezifischen Unterschied im Therapieansprechen. Zudem hätten Frauen über alle Arzneimittelklassen hinweg ein fast doppelt so hohes Risiko für unerwünschte Wirkungen wie Männer.
Eine Ursache für den mäßigeren Therapieerfolg könnte laut Kiltz in der Methodik der Selbstauskunft liegen: Frauen schätzten ihre Krankheitsaktivität höher ein als Männer, wenn sie zu Therapieergebnissen, zum Beispiel zu Schmerzen, befragt werden. Zudem könnten rheumatische Erkrankungen genderspezifische soziale und psychologische Folgen haben. Auch Komorbiditäten könnten das Therapieansprechen verändern.
Die Themen Gendermedizin und Genderpharmazie sind zwar in der Gesellschaft angekommen, aber haben noch keineswegs die Fahrt aufgenommen, die das Problem verdient. Darüber diskutieren die Pharmazie-Professoren Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Dr. Ulrike Holzgrabe und Dr. Theo Dingermann (PZ Senior Editor) bei der Expopharm in Düsseldorf im Rahmen einer PZ-Nachgefragt-Runde.
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Ob sich die Wirksamkeit von Biologika vor und nach der Menopause verändert, sei nicht bekannt, sagte Kiltz gegenüber der PZ. Dazu gebe es keine gut belastbaren Daten, »aber das Thema rückt verstärkt in den wissenschaftlichen Fokus«.
Eine wichtige Rolle spiele die Fettverteilung in der Körperzusammensetzung, da adipöse Patienten schlechter auf Biologika ansprechen und häufigere Therapiewechsel haben. Ergebnisse aus dem Biologika-Register RABBIT (Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der Biologika-Therapie) zeigten, dass Übergewicht bei Frauen die Wirksamkeit Zytokin-gerichteter Therapeutika wie TNF-Inhibitoren und Tocilizumab noch mehr als bei Männern reduziert.
Um die Adhärenz zu steigern, seien Krankheitsbewältigungs-Strategien für Frauen hilfreich, sagte die Ärztin. »Frauen sind empfänglicher für Maßnahmen zum Empowerment und zur Selbstwirksamkeit.« Zu schnelle Wechsel in der Therapie sollten möglichst vermieden werden.
In der Rheumatherapie müssen Ärzte auch auf Genderunterschiede bei den Komorbiditäten achten. Während RA-Patientinnen häufiger Arthrosen, Osteoporose, Depressionen und Schilddrüsenerkrankungen haben, leiden Männer eher an kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Gicht und Niereninsuffizienz.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind laut der Studie des Rheuma-Forschungszentrums die Haupttodesursache von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen. Auch hier gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Im RABBIT-Register hatten Männer mit RA ein höheres Risiko für eine Herzinsuffizienz sowie einen schlechteren Verlauf und eine höhere Mortalität bei einer bestehenden Herzinsuffizienz. Bei Frauen trat häufiger eine linksventrikuläre Hypertrophie auf, die mit erhöhten systemischen Entzündungsmarkern assoziiert war. Das kardiovaskuläre Risiko werde bei Frauen aber vermutlich unterschätzt.