Rezeptfreie Minipille auch in Deutschlands Apotheken? |
Daniela Hüttemann |
02.10.2023 18:00 Uhr |
Frauen wünschen sich einen selbst bestimmten, niedrigschwelligen Zugang zu Verhütungsmitteln wie der »Pille«. / Foto: Adobe Stock/Pixel-Shot
In Großbritannien dürfen »Minipillen«, also Verhütungsmittel mit einem Gestagen ohne Estrogen-Komponente, bereits seit 2021 rezeptfrei abgegeben werden. Erst vor Kurzem erfolgte der OTC-Switch in den USA. Nun strebt HRA Pharma auch die Entlassung aus der Verschreibungspflicht in Deutschland an, kündigte Larissa Kremer, Head of Medical bei HRA Pharma, im Rahmen des Fortbildungsprogramms der Expopharm an. Die Firma sei bereits mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Gespräch und wolle einen entsprechenden Antrag stellen. Am 2. Oktober wurde die Tagesordnung für die nächste Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht am 23. Januar 2024 veröffentlicht. Einziger Gegenstand ist die Minipille mit Desogestrel 75 µg.
Die rezeptfreie Hana-Packung für den UK-Markt / Foto: HRA Pharma
HRA Pharma hat auch die Switches der Minipille in Großbritannien (Hana® mit 75 µg Desogestrel) und den USA (Opill® mit 75µg Norgestrel) vorangetrieben. Aus gynäkologischer Sicht spricht laut Professor Dr. Mandy Mangler vom Vivantes Auguste-Viktoria- und Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin nichts dagegen, wenn Apotheken die Minipille zur Verhütung auch an junge Frauen und ohne Erstverordnung abgeben. »In den meisten Fällen ist bei einer Verhütungsberatung eine gynäkologische Untersuchung ohnehin nicht nötig, am wenigsten bei Verordnung von Desogestrel.«
Nur bei Estrogen-haltigen Präparaten sollte regelmäßig auf Effekte auf Ovarien und Schleimhaut untersucht werden. »Desogestrel verhindert den Eisprung, wirkt sich aber ansonsten nicht auf die gynäkologischen Organe aus«, so Mangler. Ohnehin habe Desogestrel wenig Nebenwirkungen; Thrombosen träten deutlich seltener auf als unter den Kombipräparaten. Dieser Wirkstoff sei für Risikopatientinnen in dieser Hinsicht sogar das beste hormonelle Kontrazeptivum.
Iris Blaschke, leitende Apothekerin der St. Vitus-Apotheke in Gilching, betonte, dass sich Frauen einen selbstbestimmten, niedrigschwelligen Zugang zu Verhütungsmitteln wünschen – ohne Termin und Wartezeit und ohne vaginale Untersuchung. »Wir leisten schon jetzt viel Aufklärungsarbeit, bei Verunsicherung zu Nebenwirkungen der Pille durch Beiträge in den sozialen Medien genau wie bei der Abgabe der Pille danach«, betonte Blaschke. »Wir beraten tabufrei und diskret, das haben wir drauf.«
Der Pharmakoökonom Professor Dr. Uwe May unterlegte mit Umfrage-Ergebnissen, dass Wartezeiten, Ängste und Schamgefühl einige Frauen davon abhielten, sich regelmäßig beim Arzt die Pille verschreiben zu lassen. Auch solche sozioökonomischen Faktoren inklusive einer reproduktiven Selbstbestimmung sollten bei der Diskussion um einen OTC-Switch berücksichtigt werden.
Würden die jungen Frauen dann die Krebsvorsorge links liegen lassen? Derzeit empfänden viele Frauen die regelmäßige Vorstellung in der Frauenarztpraxis, um ein Rezept bekommen, als »Zwang zur Vorsorge«, berichteten Mangler und Blaschke. »Vaginale Untersuchungen sind nicht so oft indiziert, wie manche meinen«, so die Medizinerin und betonte: »Krebsvorsorge ist richtig und wichtig, aber nicht mit Zwang, das ist eine Form der Entmündigung.« Zumal Frauen, die nicht oder anders verhüten, auch freiwillig zur Krebsvorsorge gingen.
Mangler erwähnte, dass die ärztliche Verhütungsberatung mit 13 bis 14 Euro gemessen am Zeitaufwand schlecht vergütet sei. Sie konnte sich ein solches Angebot auch als pharmazeutische Dienstleistung in der Apotheke vorstellen. Kremer von HRA Pharma berichtete aus Großbritannien, dass Frauen jeglichen Alters und Schicht die Beratung in der Apotheke gut wahrnehmen.
In einer weiteren Talkrunde zu OTC-Switches mit etwas anderer Podiumszusammensetzung wurde anschließend noch einmal über den zweimal gescheiterten Switch-Versuch für Sildenafil-haltige Mittel gegen Erektionsstörungen gesprochen. Auch hier sind aus Mays Sicht sozioökonomische Gründe wie die Eindämmung des Schwarzmarkts und der Verbraucherschutz vor Fälschungen nicht berücksichtigt worden. Zudem blieben so bei mehr Männern zugrunde liegende Erkrankungen unbehandelt, da sie so weniger zum Arzt gehen, als wenn ihnen das ein Apotheker bei der Abgabe nahe legen würde.