Retax 3,21 Euro – Porto 4,75 Euro |
Cornelia Dölger |
14.04.2025 12:30 Uhr |
Retaxationen waren auch bei den Apothekenprotesten Thema. / © Imago/Müller-Stauffenberg
Welchen Sinn Kleinstretaxationen haben, fragen sich Apothekenteams regelmäßig. Einen speziellen Fall aus Hamm in Nordrhein-Westfalen schilderte jetzt der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). So hatte eine Kasse eine Rezeptabrechnung der Hirsch-Apotheke am Bahnhof beanstandet. Streitig waren demnach 3,21 Euro. Die Nachricht über die entsprechende Kürzung ging postwendend an die Apotheke – per Einschreiben für 4,75 Euro Porto.
»Auch ohne Kenntnisse in höherer Mathematik sieht man auf den ersten Blick, dass das ein Verlustgeschäft für die Kasse ist«, sagt Martin Schwarzer, Inhaber der Hirsch-Apotheke, laut der AVWL-Mitteilung. Zu den Portokosten kämen die Papierkosten für den – neunseitigen – Brief sowie die Personalkosten hinzu. Der Inhaber fragt sich angesichts des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, wie gewissenhaft Kassen mit ihren Versichertengeldern umgehen.
Zumal solche »Schildbürgerstreiche«, wie es in der Mitteilung heißt, nicht selten vorkommen. Der AVWL-Vorstandsvorsitzende Thomas Rochell berichtet, Kürzungen kleinster Rechnungsbeträge gingen immer wieder in den Apotheken ein. »Die Kosten für den Arbeitsaufwand bei den Kassen beziehungsweise deren Subunternehmen übersteigen die Höhe der Rückforderungen mit Sicherheit bei Weitem.«
Rochell empfiehlt den Kassen daher, bei ihren regelmäßigen Meldungen über Millionenschäden durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen das eigene, durch »solche Eseleien« verursachte Minus nicht zu vergessen. Er weist darauf hin, dass die Kassen 4,2 Prozent ihres Gesamtbudgets für ihre Verwaltung ausgeben. »Die Ausgaben für die Apotheken vor Ort, die die Patienten versorgen und beraten, sind nicht einmal halb so hoch.«
Zudem sei völlig offen, ob die Kasse im Fall der Hirsch-Apotheke in Hamm zu Recht gekürzt habe. Nicht gerechtfertigte Rechnungskürzungen durch die Kassen fügten den Apotheken in Westfalen-Lippe pro Jahr Schäden in sechs- bis siebenstelliger Höhe zu, kritisierte der AVWL-Chef. Eine halbe Million Euro hat die Retaxstelle des AVWL im Jahr 2023 von den Kassen im Wege von Einspruchsverfahren zurückgeholt.
Rochell wies darauf hin, dass der Gesamtschaden allerdings deutlich größer sei, denn viele Apotheken scheuten bei niedrigen ein- oder zweistelligen Beträgen den Aufwand, bei den Kassen Einspruch einzulegen. So wird demnach auch Inhaber Schwarzer darauf verzichten zu prüfen, ob ihm die 3,21 Euro zu Recht abgezogen wurden – der Aufwand sei nicht gerechtfertigt.
Und dennoch: Auch Kleinstsummen können sich auftürmen. Den Apotheken könnten sie in der Summe teils stattliche Einnahmeverluste bescheren, so Rochell. Hier brauche es eine Bagatellgrenze. Zumal es bei den Überprüfungen fast nie darum gehe, dass Patienten falsche Arzneimittel in den Apotheken erhalten haben. »Vielmehr kürzen die Kassen die Rechnungen wegen kleiner formaler Fehler auf den Rezepten.« Er fordert: »Solche Überprüfungen sind für alle Seiten eine No-Win-Situation. Vollständige Rechnungsabsetzungen aufgrund von Formfehlern dürfen nicht zulässig sein.«
Im Koalitionsvertrag, den die Spitzen von Union und SPD vergangene Woche vorstellten, kommt das Thema Retax vor, wenn auch nur am Rande. »Nullretaxationen aus formalen Gründen schaffen wir ab«, heißt es darin knapp, aber eindeutig.