Reformpläne verschlechtern Situation der Apotheken |
Melanie Höhn |
24.04.2024 12:46 Uhr |
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) auf dem DAV-Wirtschaftsforum. / Foto: ABDA/André Wagenzik
Der Gesundheitssektor ist laut Judith Gerlach ein »behäbiges System mit alten Strukturen, die teilweise nicht mehr funktionieren« – dafür brauche es den Schulterschluss aller Beteiligten und den Dialog untereinander. Teilweise kämen die theoretischen Konzepte der Politik nicht bei denen an, die sie umsetzen müssen. Deshalb hält es Bayerns Gesundheitsministerin für essenziell, in der Bevölkerung breit zu kommunizieren, warum die Apotheken gerade ein Problem haben. »Die Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine nachhaltige Zukunft aufgebaut werden kann – dies ist wichtiger denn je, denn das Apothekensterben hält seit 2009 an«, sagte Gerlach.
Die Gründe dafür lägen auf der Hand: schlechte Vergütung, Fachkräftemangel, zu viel Bürokratie und letztendlich auch eine tiefe Verunsicherung in Bezug auf Planungssicherheit, Rentabilität und Wiederverkäuflichkeit, die durch die Politik der Bundesregierung verstärkt werde. »Da ist es doch verständlich, wenn Apotheker nicht mehr weiter machen und ihre Apotheke schließen, wenn sich niemand findet, der dieses unternehmerische Wagnis auf sich nimmt«, so Gerlach weiter. Sie ist überzeugt: Gute Arzneimittelversorgung braucht angemessene Rahmenbedingungen und eine engagierte Apothekerschaft.
Die Ministerin forderte »dringend bundesweit« eine strukturelle Erneuerung des Vergütungssystems. »Das ist der Schlüssel, um Apothekenschließungen zu verhindern«, so Gerlach. Um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung durch öffentliche Apotheken auch in Zukunft zu gewährleisten, sei es notwendig, dass auch kleinere und umsatzschwächere Apotheken insbesondere im ländlichen Raum und städtischen Randgebieten weiterbetrieben werden.
»Es sollte uns zu denken geben, dass immer mehr Apotheken zumachen und weniger nachkommen«, sagte Gerlach bei der Diskussionsrunde auf dem DAV-Wirtschaftsforum. Apotheken müssten da gestärkt werden, wo sie eine besondere Rolle im Gesundheitssystem einnehmen: Not- und Nachtdienste beispielsweise sollten laut Gerlach besser vergütet werden, was auch den Landapotheken helfen könne. Man müsse sich fragen: Wo sind die Bereiche, in denen die Apotheken etwas für das Gemeinwohl leisten – im Gegensatz zu den Versandapotheken?
In der Arzneimittelversorgung bewege man sich in einem bekannten Spannungsfeld: Einerseits benötigten die Leistungserbringer gute und verlässliche Rahmenbedingungen, zu denen auch eine auskömmliche Honorierung gehört. Andererseits müsse die Finanzierbarkeit für die Krankenkassen gewährleistet bleiben.
Dem Eckpunktepapier für eine Apothekenreform gestand die Ministerin zwar zu, dass es einige besonders kritische Punkte jetzt nicht mehr enthält, wie etwa die Erleichterungen für die Gründung von Apotheken-Filialen. »Das ist sehr erfreulich, weil sie nämlich den Einstieg investorengeführter Ketten in den deutschen Apothekenmarkt begünstigt hätten. Hier wurde wohl auf die Stimmen der Apothekerschaft und der Länder gehört«, betonte sie. Dennoch hält sie den vorgelegten Entwurf »definitiv nicht dafür geeignet, die Apothekenversorgung in Deutschland zu stärken – im Gegenteil«, so die Ministerin.
Die geplanten »Video-Apotheken ohne Apotheker«, die von Pharmazeutisch-technischen Assistenten geführt werden sollen, verschlechtern laut Gerlach die Beratung und Versorgung der Menschen gerade im ländlichen Raum. Zudem sei eine angemessene Vergütung von Apothekerinnen und Apothekern »überhaupt nicht in Sicht«, die natürlich an die massiv gestiegenen Kosten von Personal, Energie und die Inflation angepasst werden müsse. Gerlach spricht von einer »Mogelpackung«, denn vorhandene Mittel würden lediglich umverteilt.
Sie betonte, dass eine Erhöhung des Fixzuschlags essenziell sei, denn 84 Prozent ihres Umsatzes erwirtschafteten Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die künftige Anpassung zwischen GKV-Spitzenverband und Apothekerschaft in Abstimmung mit der PKV im Jahr 2027 sei viel zu spät. »Es geht um eine wirtschaftliche Unabhängigkeit«, so Gerlach. Die Bevölkerung habe ein ureigenes Interesse daran, dass die Apotheken leistungsfähig sind: »Es ist nicht fünf vor 12, eigentlich hat die Uhr schon geschlagen«.
Doch wie die Erhöhung des Fixums gelingen kann, ohne die Zusatzbeiträge zu erhöhen, darauf konnte Gerlach keine eindeutige Antwort bei der anschließenden Diskussionsrunde geben. »Ich glaube, dass wir nicht immer ein zu eins aufrechnen können«, sagte sie. Es müssten aber beispielsweise überbordende Verwaltungsstrukturen bei den Krankenkassen in den Blick genommen werden. Auch müsse überlegt werden, was zukünftig von den Krankenkassen gezahlt werde und was nicht – Stichwort Bürgergeld, das eigentlich die »ureigenste Aufgabe des Sozialstaates und nicht des Beitragszahlers« sei.
Der DAV-Vorsitzende Hans-Peter Hubmann hofft jedoch, dass durch die »Kraft der guten Argumente« eine Erhöhung des Fixums erreicht werden kann, sagte er bei der Diskussion mit Gerlach. Er forderte eine angemessene Vergütung der Kernleistung der Apotheken. Bei der Honorarverhandlung mit den Krankenkassen brauche es »harte Kriterien«, die von den Kassen nicht angezweifelt werden könnten, wie etwa das Bruttoinlandsprodukt.
Bayern setzt sich laut Gerlach mit Nachdruck bei der Bundesregierung dafür ein, dass die im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verordnete Erhöhung des Apothekerabschlags schnell wieder gestrichen wird. Außerdem müssten die Festzuschläge erhöht werden, damit Leistungen der inhabergeführten öffentlichen Apotheken angemessen und gerecht honoriert würden. Das bayerische Gesundheitsministerium unterstütze die Apothekerinnen und Apotheker zudem mit einer Reihe von konkreten Maßnahmen: Aktuell wird eine Studie mit 700.000 Euro finanziert, mit der innovative Ansätze für eine Optimierung der Apothekenversorgung erarbeitet werden sollen. Zudem unterstützte das Bayerische Gesundheitsministerium den Bayerischen Apothekerverband mit 100.000 Euro, um eine Kampagne zur Nachwuchsgewinnung aufzulegen.
Auch das Thema Digitalisierung liegt Judith Gerlach als ehemaliger Digitalministerin am Herzen: Das E-Rezept sei in mancher Hinsicht noch verbesserungswürdig, dennoch sei es wichtig und richtig. Man müsse jedoch immer wieder nachjustieren und die Anbieter verpflichten, dass es funktioniert. Um das Thema Digitalisierung noch weiter voranzutreiben, wolle Bayern mit dem Projekt »Health Care by your side« die Leistungserbringer zudem schulen, den digitalen Weg mitzugehen. Dadurch sollten die digitale Transformation begleitet, Digitalkompetenz ausgebaut, Bürokratie abgebaut und Prozesse vereinfacht werden. Bayern arbeite auch mit anderen Bundesländern zusammen, dies zeige etwa die Bundesratsinitiative der »Südschiene« gemeinsam mit Baden-Württemberg und die »Task Force« gegen Arzneimittellieferengpässe.
Generell wünscht sich Gerlach eine Diskussion mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) »auf Augenhöhe«, in dem die Zustimmungspflicht von Gesetzen auch ernst genommen und anerkannt werde. Laut Hubmann laufe man in Berlin »jeden Tag mit dem Kopf gegen die Wand«: Der Dialog werde im Bund weitgehend verweigert.