Reaktionsfreudiger Tausendsassa |
Eines der bekanntesten Indikationsgebiete von Stockstoffmonoxid ist vermutlich die Prophylaxe und Behandlung eines Angina-Pectoris-Anfalls. / Foto: Science Photo Library / Gifford, David
Das bei Raumtemperatur geruch- und geschmacklose Gas zeichnet sich durch Kurzlebigkeit, geringe Molekülmasse und Größe sowie die fehlende Ladung aus. NO diffundiert ungehindert durch biologische Membranen und erreicht so verschiedene Kompartimente des Körpers. Mit seinem ungepaarten Elektron stellt es formal ein biatomares Radikal dar, das mit diversen Molekülen unspezifisch reagieren kann.
NO wird vom menschlichen Körper vor allem durch die NO-Synthase (NOS) aus L-Arginin und Sauerstoff gebildet. Sie besitzt drei Isoformen, die in verschiedenen Geweben des Körpers exprimiert werden: die neuronale (nNOS), induzierbare (iNOS) und endotheliale NOS (eNOS). Die Aktivität der beiden konstitutiv aktiven NOS-Formen nNOS und eNOS wird überwiegend von einer erhöhten Calciumkonzentration bestimmt. Hingegen kann die iNOS bereits bei physiologischen Calciumkonzentrationen hohe Mengen an NO bilden, das so proinflammatorisch und zytotoxisch bei der Immunabwehr mitwirkt.
NO wird im Gefäßendothel von der eNOS gebildet und aktiviert in der Zielzelle (auto- oder parakrin) die lösliche Guanylylcyclase (sGC) durch Reaktion mit deren Hämgruppe. Über den sekundären Botenstoff cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP) kommt es zu einer relaxierenden Wirkung auf die glatte Gefäßmuskulatur, Vasodilatation und Senkung des Blutdrucks. Darüber hinaus sind zahlreiche weitere Signalfunktionen bekannt. So hemmt NO die Thrombozytenaggregation, senkt die Adhäsionsfähigkeit von Monozyten an die Gefäßwand und vermindert die Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen. Neben dieser vaskulär protektiven Wirkung wird NO auch im Gehirn produziert, wo es an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt ist.
Als Radikal kann NO Proteine, Lipide und Nukleinsäuren modifizieren. Unter anderem aufgrund dieser zytotoxischen Wirkung spielt NO eine zentrale Rolle bei der unspezifischen Immunabwehr von Pathogenen wie Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten sowie von Tumorzellen. Möglichkeiten zur Inaktivierung von NO sind die Reaktion mit oxygeniertem Hämoglobin (Hb) in der Blutbahn oder die Reaktion mit Hb-α aus glatten Muskelzellen in Arteriolen. Außerdem kann NO durch Oxidation mit Superoxidanionen (O2-) zu Peroxynitrit (ONOO-) reagieren, das zur reaktiven Stickstoff-Spezies (RNS) gehört und auf körpereigene Zellen sowie Pathogene erheblichen nitrosativen Stress verursachen kann – ähnlich wie reaktive Sauerstoffspezies (ROS).
Entsprechend den pharmakologischen Wirkungen ergeben sich zahlreiche therapeutische Anwendungsgebiete. Gasförmiges NO wird zur Behandlung von Neugeborenen mit hypoxisch-respiratorischer Insuffizienz eingesetzt, wo es den Partialdruck des arteriellen Sauerstoffs durch Dilatation der Pulmonalgefäße erhöht. Eine Zulassungserweiterung für peri- und postoperative pulmonale Hypertonie erfolgte 2011.
Da der Umgang mit Gasen nicht zuletzt hinsichtlich der Lagerung und Dosierung nicht ganz einfach ist, sind kontrolliert freisetzende NO-Donatoren seit Langem beliebt. Organische Nitrate wie Glyceroltrinitrat, Isosorbiddinitrat und Pentaerythrityltetranitrat sind Prodrugs und werden zur Prophylaxe und Behandlung eines akuten Angina-Pectoris-Anfalls verwendet. Molsidomin wird ebenfalls bei der Prophylaxe und Langzeittherapie der Angina Pectoris eingesetzt, setzt allerdings im Gegensatz zu den Nitraten NO nicht enzymatisch frei und zeichnet sich deshalb durch einen vergleichsweise langsamen Wirkeintritt aus.
Neben den organischen NO-Donatoren steht mit Nitroprussidnatrium (Natriumpentacyanidonitrosylferrat(III)-Dihydrat) ein anorganisches Komplexsalz zur Verfügung. Es wird als Infusionslösung appliziert und zeichnet sich durch einen besonders schnellen Wirkungseintritt (30 Sekunden) mit sehr kurzer Halbwertszeit (ein bis zwei Minuten) aus, sodass die Therapie durch die Flussrate der Infusion sehr gut steuerbar ist. Da neben NO auch Cyanid-Ionen freigesetzt werden, muss es in Kombination mit einer Natriumthiosulfatlösung verabreicht werden, mit deren Hilfe das Enzym Rhodanase Cyanid zum weitestgehend ungiftigen Thiocyanat (Rhodanid) umsetzt.
Aktuell befinden sich zwei Wirkstoffe (Berdazimer und Cantharidin) in später Phase der klinischen Entwicklung zur Behandlung von Dellwarzen (Molluscum contagiosum, MC), die durch das gleichnamige Virus hervorgerufen werden. Beim Berdazimer macht man sich die antiviralen Eigenschaften von NO zunutze.
Hinter Dellwarzen steckt eine Virusinfektion der Haut, die jeden betreffen kann – meistens aber Kinder. / Foto: Science Photo Library / Young, Hattie
MC ist nach Monaten zwar selbstlimitierend, aber hochansteckend. Auf eine spontane Abheilung kann meist nicht gewartet werden. Zudem sind überwiegend kleine Kinder von den Mollusken betroffen. Derzeitige Behandlungsmethoden sind in Deutschland meist physikalischer Natur (Kryotherapie, Laser und Kürettage). Darüber hinaus steht einzig 5-prozentige Kalilauge als Medizinprodukt zur Verfügung. Wirksame Optionen, die diese therapeutische Lücke füllen, werden dringend benötigt.
Berdazimer ist ein Polysiloxan, das in der Seitenkette eine sogenannte NONOat-Gruppe (2-Hydroxy-2-nitrosohydrazin oder Diazeniumdiolat) trägt. Das besondere Merkmal des Berdazimer-Gels ist die ausgeklügelte Formulierung für die topische Applikation. Das NONOat-Polymer ist in ein protisches Hydrogel eingebettet, um so den pH-Wert abzusenken und in einem langsamen, kontrollierten Prozess die NONOat-Gruppe zu protonieren. Im sauren Milieu ist diese nämlich instabil und setzt zwei Moleküle NO frei (Abbildung).
Abbildung: Mechanismus der NO-Freisetzung aus NONOaten wie dem Berdazimer-Gel bei saurem pH-Wert. / Foto: PZ
In einer doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie erwies sich die topische Anwendung eines 10,3-prozentigen Berdazimer-Gels als wirksam und sicher. An der Studie nahmen 891 MC-Patienten im Alter zwischen 0,9 und 47,5 Jahren (Durchschnittsalter 6,6 Jahre) mit drei bis 70 Läsionen teil. Sie trugen über zwölf Wochen entweder das Berdazimer-Gel oder ein wirkstofffreies Gel auf die Haut auf.
Bei Studienende waren bei 32,4 Prozent der Verum-Patienten die Läsionen komplett verschwunden gegenüber 19,7 Prozent bei den mit Vehikel behandelten Patienten. 14,4 Prozent der Berdazimer-Gruppe beendeten die Behandlung vorzeitig, da alle Mollusken verschwunden waren. In der Vehikel-Gruppe waren dies 8,9 Prozent. Als häufigste Nebenwirkungen traten Schmerzen an der Applikationsstelle und Hautrötungen auf.
Aufgrund dieser Daten hat Hersteller Novan im Januar dieses Jahres bei der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA einen Zulassungsantrag eingereicht. Mit einer möglichen US-Zulassung ist im ersten Quartal 2024 zu rechnen.
Bei dem zweiten Kandidaten Cantharidin handelt es sich um ein Monoterpen, das von bestimmten Käferarten wie Ölkäfern produziert wird. Ebenso wie Berdazimer soll das stark reizende Gift topisch angewendet werden. Dabei wird die sichere Anwendung mithilfe eines Einmalapplikators und Zusatz eines violetten Farbstoffs (zur besseren Erkennung bereits behandelter Hautflächen) sowie eines Bitterstoffs (zur Vermeidung einer oralen Aufnahme) gewährleistet. Der antivirale Wirkmechanismus von Cantharidin ist noch nicht bekannt.
Nach vielversprechenden Ergebnissen aus Phase-III-Studien liegt der FDA seit Februar 2023 ein entsprechender Zulassungsantrag vor. An den Studien CAMP-1 und CAMP-2 nahmen jeweils rund 260 Patienten teil. Die Teilnehmenden erhielten im Verhältnis 3:2 entweder eine Behandlung mit Cantharidin oder Placebo, die sie drei Monate anwendeten.
Bei Studienende waren 46 Prozent (CAMP-1) und 54 Prozent (CAMP-2) der Patienten unter Cantharidin frei von Läsionen, verglichen mit 18 und 13 Prozent unter Placebo. Die Zahl der Läsionen unter Cantharidin war in den Studien jeweils um 69 und 83 Prozent zurückgegangen, mit Placebo um 20 und 19 Prozent. Häufigste Nebenwirkungen waren Blasen am Applikationsort, Schmerzen, Juckreiz und Erytheme.
Literatur bei den Verfassern