Räume mit Heilwirkung |
Jennifer Evans |
26.08.2024 07:00 Uhr |
Das Friendship Hospital Satkhira in Bangladesch ist inspiriert von einer bengalischen Flusslandschaft. Das Wasser trennt den stationären vom ambulanten Bereich. Innenhöfe sorgen für eine natürliche Belüftung. / © Architekturmuseum der TU/Asif Salman
Eine positive Atmosphäre ist entscheidend für kranke Menschen, damit sich Stress und Angst auflösen können, sie Vertrauen und Sicherheit spüren und letztlich auch ihre Gedanken positiv werden. Doch im 20. Jahrhundert nahm der Effizienz- und Ökonomie-Gedanke zu und prägte maßgeblich die Gestaltung von Krankenhäusern. Angesichts des medizinischen Fortschritts galt es auch, die Räume möglichst flexibel zu halten.
Bedürfnisse von Patienten und Pflegepersonal bleiben auf der Strecke, die psychosozialen Konsequenzen wurden lange unterschätzt. Doch in den vergangenen Jahren findet ein Umdenken statt, angestoßen von dem ursprünglich aus Amerika stammenden Konzept der Healing Architecture. Als eine der wegweisenden Studien dieser Bewegung zählt eine Untersuchung des Architekturprofessors Roger Ulrich aus dem Jahr 1984, die das Wissenschaftsmagazin »Science« veröffentlichte. Er untersuchte die Wirkung von Natur auf kranke Menschen.
Ziel der Healing Architecture ist es, beim Klinikbau wieder die Menschen und ihre Genesung in den Fokus zu rücken. Was so simpel klingt, erfordert aber viel Energie. Die Rolle der Architektur im Gesundheitswesen benötigt nicht nur Leitlinien, sondern auch einen konkreten Anforderungskatalog für Neubauten. Einige Kliniken haben die Ansätze zwar schon integriert, darunter das Prinses Máxima Centrum in Utrecht, das Krankenhaus Agatharied in Hausham, das Butaro Hospital in Ruanda, das Friendship Hospital in Satkhira oder das Universitetshospital Aarhus.
Doch in der Breite ist das Thema noch nicht richtig angekommen, beziehungsweise fehlt es oftmals auch am politischen Willen, um ein sogenanntes »Evidence Based Design« bei Neu- und Umbauten von Kliniken mit allen Konsequenzen anzuwenden. Das betont die Technische Universität München, die vor Kurzem eine Ausstellung zu dem Thema initiierte.
Eine der Herausforderungen besteht darin, dass die Wahrnehmung von Kranken sensibler ist. Sie nehmen Räume und Design oder akustische und optische Reize anders wahr und haben ein stärkeres Bedürfnis nach Geborgenheit. Wenig Tageslicht, eine unübersichtliche Wegeführung sowie eine enge und monotone Umgebung kommen dann als weitere Stressoren hinzu und haben einen negativen Einfluss auf die ohnehin bereits schwierige Gemütslage. Für die Architektur heißt es, sie muss beispielsweise Ruhe- und Rückzugsbereiche, Platz für Besuchspersonen oder Naturbezug mitdenken.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen von der Architektin Professor Gemma Koppen und der Architekturpsychologin Professor Dr. Tanja C. Vollmer haben bereits sieben Anforderungen an die Krankenhausarchitektur definiert, die sogenannten »Heilenden Sieben«. Das sind: Orientierung, Geruchskulisse, Geräuschkulisse, Privatheit und Rückzugsraum, Kraftpunkte, Aussicht und Weitsicht und menschliches Maß.
Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der Trend des sogenannten Biophilic Design. Dahinter verbirgt sich der Ansatz, dass mehr Tageslicht und Natur in die Gebäude einziehen sollen. Dazu tragen Wintergärten, Dachterrassen oder Veranden genauso bei wie natürliche Materialien wie Steine oder Holz. Der Gedanke dahinter ist, dass etwa Lichtreize jene Hirnareale ansprechen, die für die Produktion von Botenstoffen wie Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin zuständig sind. Damit lassen sich zum Beispiel auf natürliche Weise die Konzentration, das Glücksempfinden und die Motivation steigern und womöglich das ein oder andere Antidepressiva mit ähnlichen Inhaltsstoffen sparen.
Auch mit lärmreduzierenden Elementen lässt sich Ruhe genauso fördern wie mithilfe von Abgrenzung verschiedener Bereiche wie Ruhe-, Besuchszonen oder Pausenräume. Auch am Geruchsproblem lässt sich innenarchitektonisch schrauben. Es gibt Tapeten und Vorhänge, die mit Duftmolekülen versetzt sind. Solche Lösungen helfen, negative Emotionen zu reduzieren, die bei vielen Menschen im Krankenhaus allein dadurch entstehen, wenn die Nase Desinfektionsmittel, Kantinenessen, Erbrochenes oder Urin wahrnimmt.
Wenn die Architektur gegensteuert, trägt das nicht nur zum Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten bei, sondern auch zur Zufriedenheit der Angestellten. Wenn sie sich wohlfühlen, prägen sie entscheidend das Bild und die Wahrnehmung der Einrichtung mit. Die Auswirkungen haben zudem eine wirtschaftliche Komponente: Steigt die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, sinkt die Fluktuation und zieht in der Konsequenz weiteres gutes Fachpersonal an.
Letztlich kann Architektur also Stress steigern oder reduzieren und damit den Heilungsprozess fördern oder behindern. Fest steht: Weniger Stress bedeutet weniger Schmerzen. In der Folge lässt sich der Medikamentenverbrauch reduzieren. Und nicht zuletzt verkürzen sich damit auch die Liegezeiten im Krankenhaus. Die Frage ist nur, warum verloren gehen musste, was Hospitäler und Sanatorien in der Vergangenheit bereits hatten – hohe Fenster, große Parkanlagen, viel Holz und schöne Aufenthaltsräume.
Prinses Maxima Centrum für Kinderonkologie in Utrecht setzt auf Rückzug für Familien und Bewegungsoberflächen für Kinder. / © Architekturmuseum der TU/Ewout Huibers