Quelle der Gefahr für Patienten |
Lege artis ist das Zerschneiden zwar nicht, aber durchaus immer noch gängige Praxis in vielen Krankenhäusern. / Foto: Getty Images/digicomphoto
Das Zerschneiden von Blistern, um Tabletten auszueinzeln, ist in vielen Krankenhäusern immer noch Usus. Dadurch können jedoch grundlegende Informationen zum Arzneimittel im wahrsten Sinne des Wortes unter den Tisch fallen. Das kann Patienten in Gefahr bringen, zeigt der »Fall des Monats September 2021« des Krankenhaus-CIRS-Netzes Deutschland (KH-CIRS-Netz) als Berichtssystem, in dessen Rahmen medizinische und pharmazeutische Heilberufe Fehler und Beinahe-Schäden im Klinikalltag diskutieren und Verbesserungen anregen.
Nicht nur, das die Chargennummer – bedeutsam bei Rückrufen – oder aber das Haltbarkeitsdatum fehlen. Die mangelnde Möglichkeit der Identifikation des Medikaments, wenn der Name nicht mehr lesbar ist, kann zur Gefährdung der Patienten- und Arzneimitteltherapiesicherheit führen, warnt Dr. Pamela Reißner, Fachapothekerin für klinische Pharmazie in aktuellen CIRS-Fallbericht. Das Zerschneiden von Blistern sei nicht nur im Stationsalltag, sondern auch bei der Entlassung von Patienten nach wie vor gängige Praxis. Ganz abgesehen davon, dass es per se unter anderem an Informationen zu Einnahmezeitpunkten und Dosierungen aufgrund fehlender Gebrauchsinformationen hapere. Insbesondere, wenn der Name des Präparats nicht mehr zu lesen ist, werde es kritisch, da es – nicht zuletzt durch Verwechslungen – zu eklatanten Fehleinnahmen kommen kann.
Ob stationär oder ambulant: Besonders fatal sei es, wenn Patienten – was gleichermaßen immer wieder passiert – die scharfkantigen Tablettenblister verschlucken. Es seien in diesem Zusammenhang bereits zahlreiche Notfälle berichtet worden. Apotheker und Apothekerinnen müssen hier verstärkt präventiv intervenieren, indem sie die Aufmerksamkeit für die Problematik schärfen, unterstreicht Reißner.
Selbst im Routinebetrieb von Krankenhäusern kann es durch die Einnahme von Medikamentenblistern sogar zur Verlegung auf Intensivstationen kommen. Das hat bereits der »CIRS-Fall des Monats Dezember 2020« gezeigt: Ein über 70 Jahre alter Patient, dem eine verblisterte Beruhigungstablette ausgehändigt worden war, beklagte nach der Einnahme einen mehrere Stunden anhaltenden Husten mit nachfolgenden Halsschmerzen. Schließlich würgte er die noch im Blister befindliche Tablette aus. Zwar war es noch nicht zu Verletzungen der Speiseröhre, aber doch zu Reizungen im Rachenbereich gekommen.
Insbesondere Menschen, die nicht mehr gut sehen oder tasten können beziehungsweise kognitiv eingeschränkt sind, unterliegen dem Risiko, versehentlich noch verpackte Medikamente zu schlucken. »Es können Blutungen und Perforationen auch im Magen-Darm-Trakt auftreten. Letztlich sind die Blister nur durch Endoskopie zu entfernen«, macht die Ärztekammer Berlin in einem Kommentar zu diesem Fallbericht deutlich.
Wann, wo und wie ist die Sicherheit des Patienten gefährdet? Welche risikominimierenden Maßnahmen sind angezeigt? »Diese Überprüfung sollte gemeinsam mit der Krankenhausapotheke durchgeführt werden«, unterstreicht die Ärztekammer. In Kooperation von Ärzten und Apothekern müsse insgesamt mehr Risikominimierung angestrebt werden, hebt auch sie hervor.
An Kliniken empfehle sich laut Krankenhausapothekerin Reißner die Risikoidentifikation und -minderung durch Stationsbegehungen und auch -schulungen des medizinischen Personals seitens klinischer Pharmazeuten. Bei Entlassungen könne insbesondere bei (Mit)Gabe neuer Arzneimittel neben sorgfältig im Apotheker-Patienten-Gespräch erläuterten Medikationsplänen die Ausstattung mit begleitenden Informations- und Aufklärungsmaterialien sinnvoll sein.