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Gesundheitsbildung

Problemfall Mann

Wenn es um Gesundheitsbildung und -förderung aber auch um psychische Gesundheit geht, sind Männer oft im Hintertreffen. Doch woran liegt das, wie lässt sich gesundheitsförderndes Verhalten erlernen und inwiefern ist die Arbeitswelt wichtig für die männliche Psyche?
Jennifer Evans
Charlotte Kurz
29.07.2020  08:30 Uhr

Männer gelten gemeinhin als Problemfälle in Sachen Gesundheitsbildung und -förderung, weil sie eine schwer zugängliche Zielgruppe darstellen. Für diese missliche Lage sind sie jedoch nicht allein verantwortlich, betonte Gunter Neubauer, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen (SOWIT) gleich zu Beginn eines Webinars und nimmt die Zuhörer zunächst mit auf eine Reise in die Geschichte. Die Online-Veranstaltung fand kürzlich im Rahmen des Projekts »Mann was geht« statt – eine Kooperation der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen (LVG & AFS) mit der Techniker Krankenkasse (TK) und der Universität Bielefeld.

Männer sind es Neubauer zufolge von jeher gewohnt, auf Risiko zu gehen und damit ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Sicher hätten in der Vergangenheit auch traditionelle Männlichkeitsbilder dieses Verhalten verstärkt. Aber eine viel entscheidendere Rolle bei dieser Entwicklung hat aus Neubauers Sicht die Bevölkerungspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts gespielt. Dort seien Begriffe wie »fürsorgliche Belagerung« aufgekommen und hätten Frauen und Mütter in den Dienst der sogenannten Peuplierung gestellt, eine geplante Besiedlung von beispielsweise durch Seuchen oder Krieg dünnbesiedelter Gebiete. Demnach war es Aufgabe der Frauen, sich um das Aufwachsen der Kinder zu kümmern und sie gut zu ernähren. Die Erwartung an die Männer war vor allem, sich als Soldaten zu behaupten. Ihnen also Selbstfürsorge anzusozialisieren, sei vor diesem Hintergrund kontraproduktiv gewesen, hob der Diplompädagoge hervor. Schließlich mussten sie jederzeit bereit sein, ihr Leben zu opfern. Neubauer ist überzeugt davon, dass diese Politik bis heute Spuren hinterlassen hat. Als Beispiel nennt er, dass Veranstaltung rund um Themen der Gesundheitskompetenz hierzulande hauptsächlich von Frauen besucht werden.

Um die Zielgruppe besser zu erreichen, muss es daher mehr männerspezifische Angebote geben. »Gerade Menschen mit erhöhtem Grundbildungsbedarf zeigen häufig auch gesundheitliche Probleme und sind gesundheitlich weniger informiert«, berichtet der SOWIT-Leiter. Dazu zählten Migranten, bildungsbenachteiligte Menschen sowie Männer in »prekären Lebens- und Berufssituationen«. Gemeint sind jene, die auf Großbaustellen, in Schlachthöfen, als Saison-Gemüsearbeiter oder als Fernfahrer arbeiten. Ziel des Projekts ist es zu verhindern, dass aufgrund mangelnder Gesundheitskompetenz ein Risikoverhalten entsteht, sich dieses manifestiert und dann nicht nur gesundheitliche, sondern auch soziale Nachteile nach sich zieht.

Work-Life-Konflikt bei Männern ausgeprägter

In Bezug auf die psychische Gesundheit leiden Männer generell an anderen Problemen als Frauen. Da Männer meist längere Arbeitszeiten pro Woche aufweisen, erhöht sich ihr Risiko deutlich, an verstärktem Stress oder Depressionen zu leiden, erklärte Nico Dragano, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. In einem weiteren Webinar der Reihe nahm der Arbeitsgesundheitsexperte den Zusammenhang zwischen der männlichen Psyche und der Arbeitswelt genauer unter die Lupe. Der sogenannte Work-Life-Konflikt sei bei Männern ausgeprägter, sagte er. Dies bedeutet, dass Männer aufgrund ihrer beruflichen Situation häufig zu wenig Zeit für ihre Familie haben und dies als belastend empfinden.

Wie gelingt aber nun der Zugang zu den Männern, die in puncto Gesundheit den größten Unterstützungsbedarf haben? Die Ansprache sei ausschlaggebend, sagte Neubauer. »Männer wollen nicht bevormundet werden, sondern sind meist an konkreten Schritten interessiert, die sie direkt umsetzen können.« Seiner Erfahrung nach hat sich außerdem ein persönlicher und gleichzeitig indirekter Zugang bewährt. So könne man sie über Geschichten oder Erlebnisse anderer Menschen an ein Thema heranführen. »Männer selbst halten sich generell nämlich erstmal gern bedeckt.«

Diese Beobachtung hat auch Dragano gemacht: Bei psychischen Problemen fragen Männer selten ihren Hausarzt um Rat. Besser funktioniere hingegen eine psychologische Sprechstunde, die im Betrieb angeboten wird. Männer sind also besser über die Arbeit zu erreichen, zumal die meisten im erwerbsfähigen Alter dort auch aufzufinden seien. »Diese niedrigschwelligen Angebote werden fifty-fifty von Männern und Frauen angenommen«, meint Dragano.

Männer lieben Spiel und Technik

Wie unter anderem Neubauers Untersuchungen gezeigt haben, sind Männer insbesondere an einem Wissens- und Statusabgleich interessiert. Angebote mit kompetitivem und kooperativem Charakter haben sich daher als erfolgreiche didaktische Ansätze herausgestellt, um sie zu erreichen. Es biete sich also an, eine Aktivität, eine Aufgabe oder ein Quiz mit der Wissensvermittlung zu verbinden. »Spielerische Elemente fungieren als Türöffner«, hob Neubauer hervor. Wichtig sei allerdings auch, dass dabei weder Zwang noch Überforderung entstehe. Damit Männer sich sensitiven Themen öffnen könnten, seien ebenfalls geschützte Räume von großer Bedeutung, betonte Dragano. Außerdem müssten die Sprache und das Design von Angeboten an männliche Bedürfnisse angepasst sein. Und: »Männer lieben unterstützende Technik«, konstatierte Dragano. Die App Moodpath beispielsweise komme gut an und könne depressive Episoden gut erkennen und kontrollieren.

Offener für Gesundheitsthemen zeigen sich Männer demnach auch, wenn das Setting passt. Das bedeutet, wenn ein Angebot sie in ihrer aktuellen Lebensphase abholt. Insbesondere biografische Veränderungen eignen sich Neubauer zufolge als Anknüpfungspunkte. Zum Bespiel der Übergang von Ausbildung zu Beruf, der Umzug in eine eigene Wohnung samt Haushaltsführung, die Vaterschaft und Rente oder aber Krisen wie Trennung, Unfälle und Krankheiten stellen Situationen dar, in denen Männer grundsätzlich bereiter sind, sich zu informieren, beraten zu lassen und zu interagieren. Das liegt daran, dass oftmals in Zeiten der Veränderung oder übermäßiger Anforderungen etwas aus dem Gleichgewicht gerät und dadurch ein Reflexionsprozess in Gang kommt. In diesem Zusammenhang hat Neubauer beobachtet, dass sich häufig die sexuelle Gesundheit im weitesten Sinne als sogenanntes Zugangsfenster zu Männern herauskristallisiert hat.

Um langfristig eine gesundheitliche Chancengleichheit in der Bevölkerung zu erzielen, müsse in diesem Bereich allerdings noch einiges an Untersuchungen stattfinden, betonte Neubauer. So müsse sich die Forschung etwas mit der Frage befassen, ob gesundheitsspezifische Angebote für Männer künftig besser im homosozialen oder heterosozialen Kontext stattfinden sollten. 

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