Politik muss aus Fehlern lernen |
Daniela Hüttemann |
23.11.2023 17:00 Uhr |
Der Vorstand und die Geschäftsführung der Apothekerkammer Niedersachsen waren vollständig vertreten und standen der Kammerversammlung Rede und Antwort. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Apotheker wissen: Ein Fehlermanagement gehört zwingend zum Qualitätsmanagement. »Ein gutes Fehlermanagement setzt voraus, einen Fehler zu erkennen und diesen entschlossen korrigieren zu wollen«, erklärte Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, bei deren Delegiertenversammlung am gestrigen Mittwoch in Hannover. Burs bezog sich aber nicht auf das Fehlermanagement in der Apotheke, sondern in der Gesundheitspolitik.
Sie erinnerte an Fehler, die bereits in der Ära von SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (2001 bis 2009) mit ihrem »Einflüsterer« Karl Lauterbach, dem derzeit amtierenden Bundesgesundheitsminister gemacht wurden. Sie hätten der Ökonomisierung des Gesundheitswesens den Weg bereitet. In diese Zeit fielen unter anderem die Einführung der Rabattverträge und die Erlaubnis des Arzneimittel-Versandhandels – »ein irreparabler Strukturfehler für die Versorgung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln, an deren Korrektur wir uns vergebens abgearbeitet haben«, so Burs.
Sie warnte davor, der Gewinnmaximierung auf Kosten des Gemeinwohls weiter Vorschub zu leisten und kritisierte die aktuellen »Liberalisierungs-Kapriolen« Lauterbachs für das Apothekenwesen. Es wundere nicht, »dass wir sowohl im stationären wie im ambulanten Gesundheitswesen Missstände haben und Patienten die Leidtragenden sind«, mit den Lieferengpässen als jüngstes Beispiel.
Sie bestritt nicht, dass Reformbedarf im Gesundheitswesen besteht und die gesamtpolitische und finanzielle Situation in Deutschland derzeit schwierig sind. Das erfordere Kompromisslösungen. »Was aber nicht geht,
was unserer parlamentarischen Demokratie entgegensteht, ist, den Dialog zu verweigern«, so die Kammerpräsidentin mit klarem Seitenhieb auf Minister Lauterbach, der sich kaum zu Gesprächen mit den Apotheken, aber auch nicht mit den Ärzten oder Kliniken herablässt.
Reformideen verkündet der Minister lieber in Talkshows und Zeitungen, statt mit den Betroffenen darüber zu reden. Es sei aber in unserem System vorgesehen, dass die Betroffenen über ihre Verbände zumindest angehört werden. »Die institutionalisierten Interessensvertretungen der freien Berufe sollen ihre Expertise in Gesetzgebungsverfahren einbringen – das ist erklärter Wille des Gesetzgebers. Dieser Auftrag wird vom amtierenden Bundesgesundheitsminister ignoriert«, kritisierte Burs.
Seine angekündigten Pläne für eine Apothekenreform nannten sie einen Frontalangriff auf die bewährte Struktur der Arzneimittelversorgung über die inhabergeführte Apotheke vor Ort. »Und das, nachdem wir in den vergangenen drei Pandemiejahren der Politik den Rücken freigehalten und ihr Sorgen einer unzureichenden Versorgung genommen haben.« Zudem pflichtete sie den Aussagen der ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening bei, dass die Apotheken einen großen Anteil daran hätten, den sozialen Frieden in der Gesellschaft zu gewährleisten, denn die Gesundheit sei nun einmal das höchste Gut. »Wir haben spätestens seit den Protesten die Bevölkerung an unserer Seite. Die Patientinnen und Patienten sind unsere wichtigsten Verbündeten.«
Die Politiker täten gut daran, sich an ihre pathetischen Dankesreden für die Leistungen der Apotheken während der Pandemie oder auch kürzlich bei der Rezepturherstellung von Kinderarzneimitteln zu erinnern und nun auch entschlossen zu handeln, um dieses resiliente System zu sichern. »Statt gestärkt, werden wir geschwächt«, konstatierte Burs.
Daher sei es gut und richtig, dass die Apotheken sich wehren. Nicht nur mit den medial äußerst erfolgreichen Protesttagen, die sie noch einmal Revue passieren ließ, ebenso wie Gastredner Benjamin Rohrer, Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der ABDA. Er erläuterte, wann und warum welche Maßnahme beschlossen wurde. Immer wieder laut, aber auch leise müssten die Apotheker und ihre Mitarbeitenden beharrlich und geschlossen am Ball bleiben.
Kammerpräsidentin Cathrin Burs mit ihren zwei Gastrednern: ABDA-Pressesprecher Benjamin Rohrer (rechts) und Dr. Thomas Vorwerk, Chefapotheker des KRH Klinikums Region Hannover, der über den Stand zur Etablierung der Stationsapotheker sprach (Bericht folgt). / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Laut – das können weitere Aktionen sein, zu denen Rohrer sich noch nicht weiter äußerte, aber versicherte, dass es eine weitere Eskalations-Strategie je nach (Nicht-)Handeln der Politik geben werde. Und leise mit vielen Hintergrund-Gesprächen mit Politikern auf allen Ebenen.
Damit ist nicht nur gemeint, mit Lokalpolitikern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten, sondern auch auf allen Ebenen der Apothekerschaft. Nicht allein die ABDA und die Landesapothekerverbände und -kammern sollten solche Gespräche führen, was sie vielfach bereits tun, sondern Apotheken in jedem Landkreis sollten mit ihren Abgeordneten sprechen. Die Bürgermeister und Landräte stünden zuverlässig an der Seite der Apothekerschaft, denn sie wissen um die Bedeutung ihrer Apotheke vor Ort. Vor allem die Bundestagsabgeordneten gelte es zu überzeugen, insbesondere die Vertreter Lauterbachs eigener Partei, der SPD.
Die Apothekerkammer rief daher alle Bezirksapothekerinnen und -apotheker auf, in ihrem Landkreis eine Ansprache möglichst vieler Politiker zu organisieren. Am besten veranschauliche ein Besuch hinter den Kulissen der eigenen Apotheke ein authentisches Bild der aktuellen Lage. Dabei sollten die Inhabenden ruhig ihre Kennzahlen zeigen und auch die Mitarbeitenden zu Wort kommen. Argumentationshilfen gibt es neben dem umfassenden Kampagnen-Material zu den Forderungen unter www.apothekenkampagne.de.
Burs und Rohrer machten beide deutlich, dass die Apotheken nicht allein dastehen, sondern zunehmend gemeinsam mit den Ärzten für eine gute Versorgung der Patienten kämpfen. Das zeigten nicht nur die teils gemeinsamen regionalen Proteste wie in Schwerin und Dortmund in diesem Monat, sondern auch der gemeinsame Auftritt von ABDA, Kassenärztlicher und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung am 19. Oktober in der Bundespressekonferenz, der ein offener Brief als Hilfsappell an den Bundeskanzler gegen seinen Gesundheitsminister folgte.
Mehr als 50 Delegierte der niedersächsischen Apothekerinnen und Apotheker folgten der leidenschaftlichen Rede der Kammerpräsidentin und den zwei Gastvorträgen, diskutierten und verabschiedeten unter anderem eine neue Allgemeinverfügung zu flexibleren Öffnungszeiten. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Die Lauterbach’schen Reformpläne des Apothekerwesens würden die pharmazeutische Versorgung der Bevölkerung verschlechtern und sie würden den Apotheken den Boden unter den Füßen wegziehen«, verdeutlichte Burs. Sie wären das Gegenteil von dem, was der Bundesgesundheitsminister den Menschen bei jeder Gelegenheit immer wieder verspricht, nämlich Leistungskürzungen statt Leistungsverbesserungen. Eine »Apotheke light« bedeutet für die Menschen eine »Zweiklassenpharmazie«.
Die Pläne seien toxisch. Vermeintliche Erleichterungen würden nicht für mehr Neugründungen dort sorgen, wo sie benötigt werden, sondern für Konkurrenzkampf und Kannibalisierung in attraktiven Lagen, wenn dort eine »Apotheke light« neben einer Vollapotheke aufmacht. Burs warnte vor weiteren Fehlern. »Unser System der Arzneimittelversorgung ist bewährt und krisenerprobt. Wir brauchen keine hippen Ideen, keine Think Tanks, keine Gesundheitskioske oder ähnlichen Spuk, um die Arzneimittelversorgung in Deutschland neu zu denken. Unser bestehendes System verdient es, geschützt zu werden, es verdient Stabilisierung, es verdient mehr Investitionen.« Dafür gelte es, weiterhin gemeinsam zu kämpfen.