Polioviren in fünf europäischen Ländern entdeckt |
In einigen Städten wird das Abwasser auch regelmäßig auf Polioviren untersucht (Symbolbild). / © Getty Images/onuma Inthapong
Wie in verschiedenen Teilen Deutschlands sind in vier weiteren europäischen Ländern Polioviren nachgewiesen worden. Sie wurden zwischen September und Dezember 2024 auch in Abwasserproben in Spanien, Polen, Großbritannien und Finnland entdeckt, wie Forscherinnen und Forscher in einem Artikel in der Fachzeitschrift »Eurosurveillance« der EU-Gesundheitsbehörde ECDC schreiben. Zusätzlich gab das Robert-Koch-Institut (RKI) heute bekannt, dass es nun auch positive Tests in Stuttgart und Berlin gab. Die Nachweise stammen aus dem Zeitraum zwischen Anfang November (Berlin) und Anfang Dezember 2024 (Stuttgart).
Es sei nach wie vor unklar, ob die Viren aus dem Ausland eingeschleppt worden seien oder ob in Deutschland bereits eine Übertragung stattgefunden habe, erklärte das RKI. Ausgeschlossen sei eine solche Übertragung nicht. Verdachtsfälle auf die Krankheit seien bisher aber weder in Deutschland noch in anderen betroffenen Ländern in Europa bekannt.
Wie das RKI bereits im vergangenen Jahr mitgeteilt hatte, traten die Funde in Deutschland an sieben regelmäßig untersuchten Städten auf, nämlich in München, Bonn, Köln, Hamburg sowie in Dresden, Düsseldorf und Mainz, nicht aber in Frankfurt am Main. In Finnland und Spanien war dagegen nur jeweils eine von fünf beziehungsweise zwei Probeentnahmestellen betroffen. In Polen waren es zwei von acht, in Großbritannien vier von zwölf. Mancherorts kam es bei verschiedenen Messungen zu wiederholten Funden.
Alle Stämme der Erreger seien genetisch miteinander verbunden gewesen, schrieben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Instituten und Behörden der besagten Länder sowie dem Europa-Büro der Weltgesundheitsorganisation WHO. Man müsse anhand der gesammelten Erkenntnisse eine breitere geografische Ausbreitung über die betroffenen Messstellen hinaus in Betracht ziehen, schrieben die Forscher, die von »einem Weckruf« sprachen. »Es ist unklar, wie viele Länder Europas betroffen sind, da Abwassertestungen auf Polioviren nur in 23 der 53 Länder der Europäischen Region der WHO durchgeführt werden», so später ergänzend das RKI.
Bei den gefundenen Erregern handelt es sich nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Diese Schluckimpfung wird in Deutschland und den anderen betroffenen Ländern nicht mehr genutzt. Die Wissenschaftler ziehen daraus den Schluss, dass die Viren höchstwahrscheinlich aus anderen Ländern stammen, in denen diese Impfungen eingesetzt werden. Das ist vor allem in Afrika und Asien der Fall.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) und das RKI machten angesichts der gefundenen Polioviren jüngst darauf aufmerksam, dass nur 21 Prozent der Einjährigen in Deutschland vollständig gegen Polio geimpft seien – und das, obwohl die Grundimmunisierung bis zum Alter von zwölf Monaten abgeschlossen sein sollte. Versäumte Impfungen werden zwar oft nachgeholt, trotzdem haben den Fachleuten zufolge nur 77 Prozent der Kinder in einem Alter von zwei Jahren einen vollständigen Impfschutz. Nicht oder nicht vollständig geimpfte Menschen können sich nach RKI-Angaben mit vom Schluckimpfstoff abgeleiteten Polioviren infizieren und in seltenen Fällen an Kinderlähmung erkranken.