Politik
Der VFA wird weiter für einen zukunftssicheren und
innovationsfreundlichen Standort Deutschland eintreten. Daran wird sich
auch nach der Bundestagswahl nichts ändern, erklärte Dr. Horst Freisler,
Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Forschenden
Arzneimittelhersteller (VFA), bei einem Presseseminar in Windhagen bei
Bonn.
"Wir werden uns weiterhin mit konstruktiven Vorschlägen an der Politikgestaltung
beteiligen und mit Argumenten überzeugen", sagte Freisler mit Blick auf die neue
Legislaturperiode unter Führung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Zweifel hat
Freisler an den Absichten der Bündnisgrünen zur "roten" Gentechnik, der
Gentechnik in der Medizin. Sie respektierten zwar in ihrem Wahlprogramm "den
Einsatz der Gentechnik bei Medikamenten, Diagnostik und Grundlagenforschung,
wenn die heutige Medizin den Betroffenen keine Alternative bietet". Ob diese
Position aber einschließe, gentechnische Forschung, Entwicklung und Produktion
innovativer Arzneimittel in Deutschland zu fördern, sei ungewiß.
Gegenwärtig ist nach Freislers Worten noch nicht abzusehen, welche Prioritäten eine
neue Bundesregierung der Gesundheitspolitik beimessen werde. Einiges spreche
dafür, daß Veränderungen im Gesundheitswesen weder inhaltlich noch zeitlich
vorrangig angegangen werden. Dafür sei der Handlungsdruck auf anderen
Politikfeldern zu hoch. Außerdem habe die SPD-Parteispitze das gesamte
Wahlprogramm unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.
Das Gesundheitswesen wird sich nach Freislers Einschätzung weiter in dem
Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Kostendruck bewegen. Der
Gesundheitsmarkt, der anerkanntermaßen zu den Wachstumsbranchen gehöre,
werde aber mittelfristig mit Finanzierungsengpässen zu kämpfen haben. "Darauf mit
einer Global-Budgetierung der GKV-Ausgaben bei gleichzeitiger Rückführung der
Zuzahlungen reagieren zu wollen, hieße, die Wachstumsdynamik zu brechen", so der
VFA-Vorsitzende.
Der VFA verweigere sich weder einer sozialpolitisch gewollten Neuabgrenzung von
Solidarität und Individualität noch einer grundsätzlichen Diskussion über die
Einführung einer Positivliste. Der Verband stehe für eine indikationsorientierte
Strukturierung des Arzneimittelmarktes. "Wir sagen ja zu einer Überprüfung von
Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit individueller Arzneimittel als Voraussetzung für
die Zulassung durch das BfArM. Wir sagen nein zur der erneuten Bewertung der
gleichen Kriterien durch ein weiteres Gremium zur Erstellung der Positivliste", so
Freisler. Dies würde Arzneimittelforschung zum Lotteriespiel werden lassen und
berge die Gefahr, daß ganze Therapierichtungen - vornehmlich die von den
Bündnisgrünen präferierten besonderen Therapierichtungen - diskriminiert werden.
Kassen wollen erweiterte Vertragsfreiheiten
Mit der neuen Regierung und dem 100-Tage-Programm der SPD geht die AOK
optimistisch in die nächste Legislaturperiode. Das erklärte der Vorstandsvorsitzende
der AOK, Dr. Hans Jürgen Ahrens, in Windhagen. Man frage sich allerdings auch in
diesen Kreisen, wer die künftigen Spieler sein werden.
Die aus der Not geborenen Kostendämpfungsmaßnahmen der Vergangenheit seien
die falsche Medizin gewesen, weil Strukturdefizite nicht überwunden werden
konnten. Schlechte Versorgungsabläufe, zu viele Krankenhauseinweisungen und
schlecht abgestimmte Medikationspläne seien weiter an der Tagesordnung. Die
AOK sieht nach Ahrens Worten dringenden politischen Handlungsbedarf, wobei sie
der SPD höhere Kompetenz bei der Überwindung des Reformstaus in Deutschland
zuspricht. Als erstes müßten die Überkapazitäten bei den Ärzte und Krankenhäusern
angegangen werden. Überkapazitäten bei den Apotheken - "wir haben zu viele" -
seien für die AOK kein Problem, weil sie nicht Kostenverursacher seien. "Das ist
allein das Problem der Apotheker", so Ahrens.
Der Wettbewerb hat nach Auffassung des AOK-Vorsitzenden auf Kassenseite
unbestreitbar neue Antriebskräfte zur Weiterentwicklung der Versorgung freigesetzt.
Damit allerdings innovative Versorgungskonzepte in Form von Modellvorhaben und
Strukturverträgen greifen könnten, müssen die Handlungsspielräume der
Krankenkassen erweitert werden. Dies bedeute, daß Modellverträge notfalls auch
gegen den Willen der Kassenärztlichen Vereinigungen abgeschlossen werden
können. "Es ist ein Hemmschuh für die notwendige Innovationskultur, wenn
Vetorechte der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen dort
unerwünschte Einzel- und Gruppenverträge verhindern können. Der
Handlungsspielraum der Krankenkassen zur Steuerung von Kapazitäten, Mengen,
Preisen und Qualität der Leistungserbringer müsse daher erweitert werden.
Hauptursachen der Leistungsexplosion sind nach Ahrens die Überversorgung mit
Ärzten im ambulanten Sektor. Im stationären Sektor sei eine durchgreifende Reform
der Krankenhausplanung und -finanzierung notwendig, "die den Krankenkassen
mehr Einfluß auf die bedarfsgerechte Vorhaltung von Kapazitäten gibt". Vor allem
müßten die Vergütungsstrukturen bei Ärzten und Krankenhäusern durchdacht
werden. Für alle Versorgungsbereiche gelte, daß Inhalte und Form der
Leistungserbringung auf ökonomische Effizienz getestet werden müssen. "Dies muß
dann auch für die Bereiche gelten, die nicht im primären Fokus der
Ausgabendämpfung stehen, beispielsweise beim Vertrieb von Arzneimitteln oder der
Abgabe von Hilfsmitteln", heißt es in Ahrens schriftlichem Statement. Flankierende
Dienstleistungen wie pharmPro zur Beratung der niedergelassenen Ärzte bei
Arzneimittelverordnungen und WidO-Klip zur Analyse von Krankenhauskosten
treten flexibel neben Modellprojekte.
Vernetzte Strukturen sind für Ahrens die Zukunft für die ambulante Versorgung,
wobei "noch nicht jeder Ärztestammtisch schon ein Netz ist". Vor allem brauchten
die Leistungserbringer finanzielle Anreize, damit Unwirtschaftlichkeiten abgebaut
werden. Pauschalen und gemeinsame Budgets seien ebenso Ziele wie
Disease-Management und mehr Transparenz.
Gegen die Intransparenz des Leistungsgeschehens und für die Patienteninteressen
müssen laut Ahrens die Informationsrechte der Krankenkassen erweitert werden.
Dies schließe Empfehlungsrechte der Kassen in allen Versorgungsbereichen ein.
Auch beim Datenschutz seien Veränderungen dort notwendig, wo er die
Intransparenz des Leistungsgeschehens sanktioniert oder Patienteninteressen
entgegenstehe.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Windhagen
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