Politik
In der Bewertung des EuGH-Urteils sind sich die Delegierten
offensichtlich weitgehend einig, und auch bei der Beteiligung an
Modellversuchen besteht ein weitgehender Konsens. Eine große Kluft gibt
es dagegen in der Position von Krankenhaus- und Offizinapothekern zur
Versorgung von Kliniken.
Nach Einschätzung von Sebastian Schmitz, Abteilungsleiter im Geschäftsbereich
Recht der ABDA, sei aufgrund von rechtlichen und faktischen Hindernissen nicht
damit zu rechnen, daß gesetzlich Krankenversicherte kurzfristig im größerem
Umfang, Medikamente im Ausland erwerben werden. Auch nach dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gebe es für die Patienten gute Gründe, ihre
Arzneimittel weiterhin in Deutschland zu kaufen, sagte der Jurist im Arbeitskreis II
"Zur Entwicklung der Arzneimittelversorgungssysteme". Am 28. April hatte der
europäische Gerichtshof zwei luxemburgischen Staatsangehörigen das Recht
zugebilligt, uneingeschränkt von ihrem Sozialversicherungsträger Kostenerstattungen
für Leistungen, die im Ausland erbracht wurden, zu beanspruchen.
Bislang sei noch nicht klar, wie die EuGH-Entscheidung in Deutschland umgesetzt
werde, sagte Schmitz. In der Bewertung des Urteils seien sich die zuständigen
Stellen nicht einig. So vertrete das Bundesgesundheitsministerium die Auffassung, die
Urteile seien in der Bundesrepublik nicht anwendbar. Diese Position wollte jedoch
die Gesundheitsministerkonferenz der Länder nicht uneingeschränkt teilen und hat
eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis zum Jahresende eventuelle notwendige
Änderungen im Krankenversicherungsrecht prüfen soll.
Die Krankenkassen betrachten das Urteil heute auch mit gemischten Gefühlen. Die
Freude über zu erwartende Preissenkungen sei der Sorge gewichen, daß es zu einer
Aushöhlung des Sachleistungsprinzips komme.
Denn soviel ist klar, wer im Ausland Arzneimittel Rezepte einlösen will, der muß in
Vorkasse treten. Es ist kaum vorstellbar, daß eine ausländische Apotheke mit einer
deutschen Krankenkasse abrechnet. Kostenerstattung von Auslandleistungen würde
jedoch die Steuerungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen, wie Budgets und
Richtgrößen, stark einschränken.
Schmitz erwartet auch nicht, daß viele Patienten Rezepte in anderen EU-Staaten
einlösen wollen. Denn Leistungen aus dem Ausland können einige Nachteile für
Patienten haben, aber keine Vorteile: Kranke wollen in der Apotheke beraten
werden, dies ist im Ausland nicht möglich. Zudem profitiert ein Kranker nicht davon,
wenn er sein Rezept im Ausland einlöst.
Auf der anderen Seite muß ein Patient damit rechnen, daß ihm teurere
Auslandsleistungen nicht komplett von der Kassen erstattet werden. In
Haftungsfällen riskiere er im Ausland langwierige Prozesse.
Anlaß zur Sorglosigkeit bestehe trotz der beschriebenen Lage nicht, so Schmitz
weiter. Das Bild werde sich schlagartig ändern, wenn die Kassen Anreize für die
Patienten schaffen, Leistungen aus dem Ausland zu beziehen. Als geeignete Mittel
bezeichnete der Jurist prozentuale Zuzahlungen - hier würde der Kranke direkt vom
niedrigerem Preis profitieren - und die Beitragsrückerstattung.
Sollten diese Anreize nicht ausreichen, weil die Beschaffung von Arzneimitteln aus
dem Ausland zu schwierig sei, werden die Krankenkassen fordern, daß
Medikamente aus dem Ausland versendet werden dürfen. Diese Entwicklung ergebe
sich zwar nicht zwingend aus dem EuGH-Urteil, so Schmitz, es sei aber denkbar,
daß Kassenfunktionäre den Richterspruch dazu nutzten, neue Attacken gegen das
Versandhandelsverbot zu starten.
Langfristig werden die Gesundheitssysteme in Deutschland zusammenwachsen,
erwartet Schmitz. Dies sei zwar kein Horrorszenario, es müsse aber in jedem Falle
vermieden werden, daß diese Entwicklung durch unkontrollierte Eingriffe in die
Gesundheitssysteme gestört werde. EuGH-Entscheidungen nach dem Motto "in
dubio pro libertate" könnten den Weg zur europäischen Einigung der
Gesundheitssysteme, verbauen.
Apotheker in Modellversuchen
Nach den GKV-Neuordnungsgesetzen haben Apotheker keinen Anspruch auf eine
Mitarbeit an Modellversuchen und Strukturverträgen. Dr. Peter Froese, zweiter
stellvertretender Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, sieht
aber gute Gründe für Apotheker, sich an Modellen zu beteiligen. Denn verhindern
könnten sie die Projekte ohnehin nicht.
Nach seinen Erfahrungen mit zwei Modellversuchen in Schleswig-Holstein
(Medizinische Qualitätsgemeinschaft Rendsburg und regionales Praxisnetz Kiel) hat
Froese Ziele entwickelt, die Apotheker in Netzen verfolgen sollten.
In jedem Fall müsse verhindert werden, daß Ärzte und Krankenkassen
Arzneimittellisten erstellen. Listen seien niemals wirklich aktuell und immer inhaltlich
angreifbar. Notwendig sei deshalb die konstruktive Mitarbeit an der Entwicklung
wirtschaftlicher und hochwertiger Arzneiversorgungssysteme ohne die bestehenden
Gesetze zu berühren.
Möglich sei die Einflußnahme auf Modellprojekte nur, wenn die Apotheker als
Partner fest in das Projekt eingebunden seien, so Froese. Es müsse zudem
sichergestellt sein, daß der Vertrag mit dem Landesapothekerverband und nicht mit
einzelnen Apothekern geschlossen werde.
Eine Arzneimittelliste könne mit Transparenzdaten verhindert werden, so Froese.
Mit Hilfe dieser Daten sei es möglich, Arzneimittel gezielter auszuwählen und
tatsächliche Einsparungen zu erreichen. Geliefert werden müssen solche Daten von
den Apothekenrechenzentren.
Anhand detaillierter Auswertungen und Analysen aus den Apothekenrechenzentren
könnten Apotheker in Qualitätszirkeln Ärzte in der Arzneimittelauswahl unterstützen
und beraten. So könnten neue Strukturen in der Arzneimittelversorgung getestet
werden, ohne bestehende Gesetze zu verhindern.
Für die Praxis schlägt Froese eine Aut-idem-Abgabe für Arzneimittel unter
Festbetrag vor. Gleichzeitig müssen die Apotheker eine wirtschaftliche Auswahl
garantieren, die unterhalb des Verordnungswertes liegt. Der Nachweis, daß dieses
Ziel erreicht wird, müssen die Apothekenrechenzentren liefern. Die Einsparungen
sollten zur Weiterentwicklung der Versorgungsstruktur verwendet werden, empfahl
Froese. Eine direkte Ausschüttung des Geldes an die Beteiligten hält er dagegen für
unrealistisch.
Funktionieren werde dies nur, wenn alle Apotheker einer Region mitmachen,
ansonsten könnten die Rechenzentren kaum die Wirtschaftlichkeit des Modelles
nachweisen. Keinen Zweifel ließ Froese jedoch daran, daß die Teilnahme an einem
solchen Modell den Umsatz einer Apotheke kaum steigert.
Vorwürfe bei Krankenhausversorgern und Klinikapothekern
Das friedliches Nebeneinander von beiden Versorgungsformen ist durch
einschneidende gesundheitspolitische Veränderungen nachhaltig gestört, warnte
Klaus Tönne, leitender Krankenhausapotheker aus Oberhausen. Es zeigten sich
zunehmend Verwerfungen und Fehlentwicklungen, die für den einzelnen Apotheker
als auch den ganzen Berufsstand schädlich sind.
Nach dem Aus für sogenannte Dispensierstuben durch die Änderung des
Apothekengesetzes Anfang der 80er Jahre, erfuhren Krankenhausapotheken einen
beträchtlichen Aufschwung. Die Versorgungsqualität wurde erheblich verbessert, die
Kosten sanken. Eine zunehmende Verlagerung vom stationären in den ambulanten
Bereich schaffe jetzt aber eine völlig neue Situation, so Tönne. Er sprach von einem
"gewaltigen Wettbewerbsvorteil" der Versorgungsapotheken der aus ihrer
"zweigleisigen Berechtigung" resultiere.
Die Spieße sind ungleich lang geworden
Wettbewerbsverzerrungen, die sich meist auch noch im legalen Rahmen bewegen,
seien für viele Krankenhausapotheken nicht mehr tolerabel. Zudem gelange
kostengünstige Krankenhausware im Wert von mehreren hundert Millionen DM
über die Versorgungsapotheken in den Großhandel. Ware werde umgepackt und
quer durch Europa verschoben. Von Arzneimittelsicherheit könne hier kaum die
Rede sein, Vertriebsbindungsverträge ein Fremdwort.
Nach Meinung Tönnnes, ist es höchste Zeit, die Vertriebswege sauber zu trennen.
Der Systemfehler, entstanden durch geänderte Rahmenbedingungen, müsse beseitigt
werden. Die ADKA habe deshalb gefordert, die Versorgung von Patienten im
Krankenhaus nur durch Krankenhausapotheken zuzulassen. Schließlich gäbe es
auch hier einige Kollegen, die die faszinierenden Möglichkeiten des doppelten
Marktzugangs sehen. Tönne: "Mich wundert, daß die ABDA offenbar die gewaltige
Gefahr nicht erkennt, die hier für das gesamte Arzneimittelversorgungssystem
besteht."
Tönne nannte die Forderungen der Krankenhausapotheker:
- Arzneimittelversorgung der im Krankenhaus behandelten Patienten nur durch
Krankenhausapotheken sowie
- klare und gerechte Lösungen, mit denen Klinikapotheker, die mit der
Privatisierung liebäugeln, bei der Stange gehalten werden können.
Tönne rief die Apothekerschaft dazu auf, in ihrem eigenen Interesse die
Arzneimittelpreisverordnung zu retten, sonst wäre der Schaden bald unermeßlich.
Krankenhausapotheker schießen ein Eigentor
Wer hätte sich nicht die schlichte Abschaffung seines Wettbewerbers gewünscht,
hielt Dr. Dieter Steinbach, Leiter einer krankenhausversorgenden Apotheke in Bad
Homburg in seinem Statement dagegen. Mit solchen Äußerungen schieße man sich
jedoch leicht ein Eigentor. Der pharmazeutische Großhandel stehe bereits in den
Startlöchern. ""Krankenhausversorgung ist aber mehr als Logistik", betonte
Steinbach. Beide Parteien müßten deshalb der Entwicklung Rechnung tragen und
entsprechend aufrüsten. Wer allerdings Offizinapothekern verbieten will, Verträge
mit Kliniken abzuschließen, verstoße gegen Artikel 12 des Grundgesetzes, der
Berufsfreiheit garantiert.
Nach Meinung Steinbachs begründeten Krankenhausapotheker ihre Forderung vor
allem mit angeblichen Auswüchsen des grauen Markts. Tatsächlich seien
Graumarktaktivitäten jedoch nicht der Regelfall. Außerdem sollte sich niemand zum
Richter über vermeintliche Übeltäter der anderen Seite aufschwingen.
Grauen Markt austrocknen
Der graue Markt kann nach Meinung Steinbachs nur durch die eindeutige
Kennzeichnung verhindert werden. Der Gesetzgeber müsse die Hersteller dazu
zwingen. Zudem könnten diese Geschäfte verhindert werden, wenn man den
pharmazeutischen Großhandel verpflichte, den Wareneingang von Arzneimitteln und
Medizinprodukten chargenbezogen zu kontrollieren. Eine klar nachvollziehbarer
Weg vom Hersteller über den Großhandel zur Apotheke schütze auch vor
Medikamentenfälschungen.
Steinbach beklagte weiterhin die Genehmigungpraxis einiger Aufsichtbehörden, die
auch Versorgungsverträge abgesegnet hätten, obwohl Apotheke und Krankenhaus
bis zu 140 Kilometer voneinander entfernt liegen. Das hätte maßgeblich zur Bildung
von Mega-Apotheken auf beiden Seiten beigetragen. Der Bundesverband der
krankenhausversorgenden Apotheken (BVKA) unterstütze deshalb die Forderungen
der ABDA, bei den Behörden die Einhaltung des Apothekengesetzes einzufordern.
Steinbach warnte davor, Arzneimittel durch Klinikapotheken an ambulante Patienten
abzugeben. Der Eintritt der Krankenhausapotheken in den Wettbewerb unterminiere
das Fremd- und Mehrbesitzverbot.
Am Ende seiner Ausführungen berief sich der Referent auf das Motto des letzten
Weltapothekertages in Den Haag - "Brücken bauen zum Wohle des Patienten". Die
Zukunft könne nur durch partnerschaftliches Verhalten innerhalb und zwischen den
Heilberufen gemeistert werden.
Hitzige Diskussion
In der Diskussion zu dem Bericht aus dem Arbeitskreis kam erneut der Vorwurf, es
seien vor allem die krankenhausversorgenden Apotheken, die den grauen Markt von
Klinikware hätte entstanden lassen, allein Krankenhausapotheken sollten für die
Klinikversorgung verantwortlich sein. Auf diese Diskussion ließ sich die
Sitzungleitung jedoch nicht weiter ein als mit dem Satz, daß "seriöse Marktbeteiligte"
etwas anderes sagen. ABDA-Präsident Hans-Günter Friese vermied eine Eskalation
trotz der zahlreichen Wortmeldungen zu dem Bericht Hermann-Stefan Kellers aus
dem Arbeitskreis, die sich auf die Referate Tönnes und Steinbachs bezogen. Friese
machte - wenn auch mit anderen Worten - die zu führenden Gespräche mit der
Pharmaindustrie und den -großhändlern, die bereits vom Vorstand des Deutschen
Apothekekerverbandes mit Nachdruck betrieben werden, auch zur Chefsache.
Besonders ärgerlich empfanden es die Delegierten aus Nordrhein, an ihrer Spitze
Kammerpräsident Karl-Rudolf Mattenklotz, keine rechtliche Handhabe gegen einen
Apotheker zu haben, der angeblich legal Klinikware an den Großhandel verkauft.
Dr. Johannes Pieck verwies hier auf die von Steinbach vertretene Auffassung,
wonach niemand Arzneimittel, die zum Zweck der Krankenhausversorgung
außerhalb des Preisbindungssystems bezogen wurden, legal außerhalb des
Krankenhauses abgeben darf. Der Gesetzgeber habe sich mit der AMPreisVO für
eine strikte Trennung der Vertriebswege für Arzneimittel entschieden. Die
BGH-Bewertung aufgrund des Apothekengesetzes lasse aber eine andere
Schlußfolgerung zu.
Pieck teilte Steinbachs Auffassung, der am Vortag aus dem BGH-Urteil vom 12.
Oktober 1989 zitiert hatte. Danach wird eine solche Abgabe deutlich unter
wettbewerbsrechtlichen Aspekten sowohl für die Krankenhausapotheke als auch für
die krankenhausversorgende öffentliche Apotheke im § 14 Abs. 4 und 5 des
Apothekengesetzes (ApoG) ausgeschlossen. Zu trennen sei hiervon allerdings die
Frage, ob Klinikware gekennzeichnet oder (wie heute von Firmen häufig praktiziert)
nicht gekennzeichnet weitergegeben wird. Ein Verstoß des § 14 ApoG belege noch
nicht die Rechtswidrigkeit.
Selbst Ministerialrat Dr. Pabel mußte feststellen, daß der § 14 nicht ausreiche, wenn
ein krankenhausversorgende Apotheker auffällig wird. Das Ergebnis sei natürlich
unbefriedigend. Die Forderung der ABDA, die klare Trennung von Klinikware von
Offizinware im AMG festzuschreiben, sei vom Bundesgesundheitsministerium
dahingehend beantwortet worden, es sei nicht Aufgabe dieses Gesetzes, Verstöße
zu ahnden. Doch da die Kette in der AMPreisVO verletzt werde, sei die Forderung
legitim und werde ständig seitens der ABDA wiederholt. Gleichfalls werde
gegenüber der Industrie, "dem Ausgang des Übels", die Deklarationsforderung
immer aufs neue wiederholt. Denn die Nichtdeklaration seitens pharmazeutischer
Unternehmen sei gewollt, um die Ware in den Markt pumpen zu können.
PZ-Artikel von Erdmuthe Arnold, Ulrich Brunner und Daniel Rücker, München
© 1997 GOVI-Verlag
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