Politik
Der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) hält eine
prozentuale Selbstbeteiligung an den Arzneimittelkosten für gerechter als
die an Packungsgrößen orientierte Zuzahlungsregelung. Das erklärte der
BAH-Vorsitzende Johannes Burges jetzt auf der 44. Jahresversammlung
des Verbandes in Bonn. Der BAH werde weiter an der GKV-Front für die
sinnvolle Einbettung der Selbstmedikation in den Markt der
erstattungsfähigen Arzneimittel kämpfen.
Die Selbstbeteiligung muß nach den Worten des BAH-Vorsitzenden in ein System
eingebaut sein, das stärker als in der Vergangenheit den Versicherten die
Möglichkeit gibt, ihren Krankenkassenbeitrag beziehungsweise seine Höhe der
Selbstbehalte und Beitragserstattungen selber mitzugestalten. Die in diesem
Zusammenhang immer wieder geführte Diskussion, man müsse aus Gründen der
Beitragssatzstabilität den GKV-Leistungskatalog auf das medizinisch Notwendige
begrenzen, hält Burges theoretisch zwar für richtig, politisch jedoch für nicht
durchsetzbar.
Burges verurteilte erneut den Entwurf der Neufasssung der Arzneimittelrichtlinien.
Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen versuche genau das, was zwei
Jahre zuvor mit der Ablehnung der Positivliste verhindert werden konnte. "Der
vorliegende Entwurf hat nichts mehr mit Empfehlungen für eine rationale
Arzneimitteltherapie zu tun, sondern stellt aus Sicht des BAH einseitig ökonomische
Gesichtspunkte in den Vordergrund" Träten die Arzneimittelrichtlinien in der
vorgelegten Form in Kraft, werden nach Auffassung des BAH den Hausärzten
wichtige therapeutische Möglichkeiten aus der Hand genommen. Die weitgehende
Ausgliederung aus der GKV-Erstattungsfähigkeit führte zu einer zunehmenden
Zwangsprivatisierung der Gesundheitskosten bei den Arzneimittel. Zudem sei der
Richtlinienentwurf verfassungswidrig, wie das Rechtsgutachten des Bonner
Staatsrechtlers Professor Dr. Fritz Ossenbühl deutlich mache.
Am Prinzip der Arzneimittelpreisverordnung mit freiem, vom Hersteller festgesetzten
Abgabepreis und einheitlichem Apothekenabgabepreis hält der BAH fest. Versuche
der Krankenkassen, für den nicht festbetragsfähigen Arzneimittelbereich
Preisverhandlungen einzuführen, lehnt der BAH ab. Burges: "Sie sind der schlecht
getarnte Versuch, über ein bewußt herbeigeführtes Scheitern der Preisverhandlungen
den Einstieg in ein von den Kassen gewolltes Einkaufsmodell zu erreichen. Dies
führe wiederum zur Listenmedizin, die der BAH entschieden ablehnt.
Oberender: "Die ökonomische Realität regiert die Welt"
Eine Öffnung des bestehenden Gesundheitssystems sagte Professor Dr. Peter
Oberender, liberaler Ökonom aus Bayreuth, voraus. Nicht Seehofer, die Apotheker
oder die Industrie würden darüber entscheiden, sondern der Europäische
Gerichtshof. "Die ökonomische Realität regiert die Welt", sagte Oberender mit Blick
auf die demographische Entwicklung mit stetig wachsendem Rentenquotient.
Der Euro wird nach Oberenders Einschätzung das System transparenter machen.
Vor allem vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
vom 28. April 1998, wonach jeder EU-Bürger das Gesundheitswesen in jedem
EU-Mitgliedstaat in Anspruch nehmen und von der deutschen gesetzlichen
Krankenversicherung die Übernahme der Kosten verlangen kann, ist es für den
Ökonom fraglich, ob ein Gesundheitstourismus aufblühen wird. Eher würden im
Arzneimittelsektor die Erstattungen abgeschafft und die Selbstbeteiligung erhöht.
Große Veränderungen erwartet Oberender in der Umsatzstruktur der Apotheken,
die sich heute aus rund 61,5 Prozent rezeptpflichtigen Arzneimitteln, 15,6 Prozent
verordneten OTC-Präparaten und 14,5 Prozent Selbstmedikation zusammensetzt.
Schließlich werde sich der Markt in zwei Segmente spalten, die sich über einen
Preis- und einen Qualitätswettbewerb profilieren könnten. Für die am
Gesundheitswesen Beteiligten heiße das: neue Segmente, vor allem Dienstleistungen
erschließen. Qualitative Kriterien würden wegen der Veränderungen in der
Gesellschaft immer wichtiger. Man müsse dann eine Antwort auf die Frage haben:
Wie wirkt sich eine Therapie auf die Lebensqualität aus? Im Zuge all dessen fällt die
Arzneimittelpreisverordnung, Fremd- und Mehrbesitz, Auseinzelungsverbot,
Publikumswerbung und Rezeptpflicht, schließlich alternative Vertriebswege über
Internet (heute schon Realität), Krankenkassen, Ärzte, Automaten oder Versand
würden neu gewichtet werden, erwartet Oberender.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn
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