Politik
Zuzahlungschaos in
Apotheken?
"Weil Patienten künftig je
nach Kassenmitgliedschaft für ein und dasselbe
Medikament unterschiedliche Zuzahlungen leisten
müssen", so Kurt Kieselbach in Die Welt"
vom 28.September 1996, "wird es in den Apotheken zum
Chaos kommen. Damit rechnen die gesetzlichen
Krankenkassen als Folge der ab 1997 geplanten
Gesundheitsreform."
Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender des
VdAK, warnt vor dem "ungeheuren Verwaltungsaufwand
für Apotheken". Wenn sich plötzlich sogar
diejenigen Krankenkassenmanager um die Offizinapotheker
sorgen, die ansonsten nicht müde werden, mit
Arzneimittelpostversand, ärztlichem Dispensierrecht,
Kettenapotheken und umsatzabhängigen Kassenrabatten der
Politik Vorschläge zu unterbreiten, die auf die
großflächige Abschaffung der öffentlichen Apotheke
schlechthin zielen, muß man doch einmal genauer
hinsehen.
Was ist der Sachstand?
Im Januar dieses Jahres hatte die
Bundesregierung in ihrem Entwurf für ein
"GKV-Weiterentwicklungsgesetz" vorgesehen, daß
die Krankenkassen das Recht erhalten sollen, bestehende
Zuzahlungen erhöhen zu dürfen. Weitere Einschränkungen
waren dabei nicht vorgesehen. Das hätte im Ergebnis dazu
geführt, daß bei jedem der rund 50.000
Fertigarzneimittel jede der über 600 gesetzlichen
Krankenkassen jederzeit und beliebig oft hätte
Zuzahlungserhöhungen durchführen können. Im Extrem
hätten in den deutschen Offizinen dann über 30
Millionen verschiedene Zuzahlungen gemanagt werden
müssen. Das hätte tatsächlich zu einem nicht mehr
administrierbaren Zuzahlungschaos in der Apotheke
geführt. Deshalb haben wir in aller Deutlichkeit gegen
diesen Vorschlag Stellung bezogen. Er hat im weiteren
Verfolg dann wie der gesamte Gesetzentwurf nicht die
parlamentarischen Hürden genommen.
Im September dieses Jahres ist das
Beitragsentlastungsgesetz"' verabschiedet worden,
das eine Erhöhung der Selbstbeteiligung bei
Arzneimitteln zum 1.Januar 1997 um jeweils 1 DM auf 4 DM
für N1-Größen, 6 DM für N2-Größen und 8 DM für
N3-Größen vorsieht. Die ABDA hat diesen Vorschlag als
praktikabel und in den Apotheken umsetzbar bezeichnet.
Ende September 1996 hat die Bundesregierung die
"Eckpekte zur Fortführung der 3. Stufe der
Gesundheitsreform" im Bundeskabinett verabschiedet.
Diese Eckpunkte werden von dem
Bundesgesundheitsministerium in einen Gesetzentwurf
eingebracht, der im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig
ist. Der zentrale, neue Baustein dieser Eckpunkte ist,
daß eine Beitragssatzerhöhung einer Krankenkasse dazu
führen soll, daß "Kraft Gesetz" jede
Zuzahlung für Versicherte dieser Krankenkasse um 1 DM je
0,1 Prozentpunkte Beitragssatzerhöhung angehoben wird.
Anders gesagt: Wenn eine Krankenkasse ihren Beitragssatz
um 0,5 Prozentpunkte anheben würde, würde im neuen Jahr
die Arzneimittelzuzahlung für die Versicherten dieser
Kasse um einen kassenspezifischen Zuschlag von 5 DM je
Packung erhöht. Da die Beitragssatzerhöhungen und
Beitragssatzdifferenzen nicht unlimitiert sein werden,
sondern sich in der Regel zwischen null und einem
Prozentpunkt bewegen werden, wären in der Praxis nicht
mehr als zehn verschiedene kassenspezifische Zuschläge
in Anwendung zu bringen.
Was ist davon zu halten?
O Die Zuzahlungshöhe ist nicht von der
Apothekerschaft zu verantworten, sondern von der Politik
oder zukünftig - falls die Koalitionsabsicht umgesetzt
wird - von den gesetzlichen Krankenkassen. Das werden wir
stets den Patienten verdeutlichen.
O Zuzahlungserhöhungen verringern die
Arzneimittelausgaben der Krankenkassen und reduzieren
somit den politischen Druck auf den Arzneimittelmarkt.
Aber: Wir müssen uns bewußt sein, daß diese Erhöhung
der Zuzahlungen ausschließlich von den Kranken zu tragen
ist.
O Mit einem genügenden zeitlichen Vorlauf von drei bis
vier Monaten und einer Einbindung der ABDA in die Details
der Umsetzung kann das neue, von der Koalition geplante
beitragssatzbedingte Zuzahlungsmodell in den Apotheken
technisch umgesetzt werden.
O Die ABDA wird hierzu engen Kontakt mit den
Apothekensoftwarehäusern und den Apothekenrechenzentren
halten.
O Die Politik weiß, daß nur die öffentlichen Apotheken
in der Lage sind, die immer komplexer werdenden
Zuzahlungsregelungen bei einer Milliarde
Arzneimittelabgaben für die GKV im Jahr reibungsfrei und
fehlerlos umzusetzen.
O Daß die Krankenkassen gegen das neue Zuzahlungsmodell
der Regierung wettern und dabei die "ungeheuren
Verwaltungsprobleme" in den Apotheken anführen, sie
aber zu dem - auch beim besten Willen in Apotheken nicht
umsetzbaren - Zuzahlungserhöhungsmodell - aus dem Januar
1996 geschwiegen haben, legt den Verdacht nahe, daß es
ihnen hier um etwas anderes als die Apotheke geht. Es
besteht aber nicht der geringste Anlaß, uns Apotheker in
die Auseinandersetzung der Krankenkassen mit der
Bundesregierung zu verwickeln.
Fazit
Sagen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, also
bitte nicht voreilig Nein zu dem neuen
beitragssatzbedingten Zuzahlungsmodell der
Bundesregierung. Bundesgesundheitsminister Seehofer und
seine Kabinettskollegen bis hin zu Wirtschaftsminister
Rexrodt wissen, daß wir sie bei allen umsetzbaren
Vorschlägen nicht allein lassen. Wir wollen aber auch
bei der Umsetzung unserer konstruktiven Vorschläge nicht
allein gelassen werden.
Klaus Stürzbecher
Präsident der ABDA-Bundesvereinigung
Deutscher Apothekerverbände, Eschborn
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