Politik
Selbständige genießen als freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) offensichtlich bei vielen Kassen erstaunliche
Vorteile - und das schon seit Jahren: Ihre wirtschaftliche Situation wird nicht
wie vorgeschrieben jährlich anhand des Einkommensteuerbescheides
überprüft. Die Folge: Sie zahlen zu wenig, zuweilen nicht einmal den
Mindestbetrag.
Dieser Auswuchs des Kassenwettbewerbs soll jetzt abgeschnitten werden. Das
zumindest hat der Prüfdienst Krankenversicherung des Bundesversicherungsamtes
(BVA) in seinem Jahresbericht 1997 angekündigt, der jetzt veröffentlicht wurde.
Nach jahrelanger, aber offenbar weitgehend fruchtloser Seelenmassage will die
Aufsichtsbehörde diese satzungswidrige und illegale Praxis nicht mehr dulden.
Kassen, die sich nicht auf Kurs bringen lassen, müssen mit Zwangsmaßnahmen und
Regressen rechnen.
Aufgabe des 100köpfigen BVA-Prüfdienstes ist es, die überregional tätigen Kassen
wirtschaftlich und rechtlich zu beraten, aber auch zu kontrollieren. Dazu gehören vor
allem die Ersatz-, Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen. In
deren Hauptverwaltungen und Geschäftsstellen stoßen die Prüfer immer wieder auf
Geschäftsgebaren, das gegen Satzungen und Gesetz verstößt.
Als besonders gravierend prangert der Jahresbericht zum wiederholten Male die
weit verbreitete Praxis an, freiwillig versicherte Selbständige mit Discount-Preisen zu
ködern. Viele Versicherungen sähen offenkundig freiwillige Mitglieder weiterhin per
se als Risiken an, die "durch Privilegien um jeden Preis gewonnen und gehalten
werden" müßten, kritisiert das BVA. Krankenkassen, die freiwillige Mitglieder zu
Vorzugspreisen versicherten, handelten unsolidarisch und gesetzwidrig. Daß sie mit
ihrem Vorgehen "dem Gesamtsystem der GKV Gelder vorenthalten, die angesichts
der strukturellen Einnahmedefizite jetzt dringender gebraucht werden denn je", störe
sie wohl auch nicht, schreibt das Amt diesen Versicherungsträgern ins Stammbuch.
Der Prüfdienst müsse deshalb zu seinem Bedauern in Zukunft in diesem Punkt
repressiv tätig werden, heißt es dann lakonisch. Kassen, die der Verpflichtung nicht
in vollem Umfang nachkommen, von ihren freiwilligen Mitgliedern den Beitrag zu
erheben, der ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspreche, werde
das BVA auffordern, Beiträge nachzuerheben, soweit dies rechtlich möglich sei.
Komme eine rückwirkende Beitragskorrektur im konkreten Fall nicht in Betracht,
werde der Prüfdienst die Regreßfrage aufwerfen. Falls Krankenkassen weiterhin
unterhalb des Mindestbeitrages einstufen, werde er ausnahmslos darauf dringen, die
verantwortlichen Mitarbeiter in Haftung zu nehmen.
Die Aufsichtsbehörde weist darauf hin, daß die Kassen von Unternehmern zuweilen
unter Druck gesetzt werden. So werde angedroht, die Mitgliedschaft zu kündigen
und auch die Arbeitnehmer umzumelden. Manche Selbständige spielten die Kassen
hemmungslos gegeneinander aus. Sie verlangten für sich Beitrags- und
Leistungsprivilegien als Gegenleistung dafür, daß sie und ihre Mitarbeiter der
jeweiligen Krankenkasse beiträten beziehungsweise in ihr verblieben, konstatiert das
Amt.
Ein weiteres Beispiel aus der Prüfpraxis: Eine der wenigen Kassen, die das
Einkommen ihrer freiwillig versicherten Mitglieder generell jährlich überprüft und die
Beiträge anpaßt, habe diese Aktion 1997 aus Marketinggesichtspunkten sowie aus
Gründen der veränderten Bedingungen des Krankenkassenwahlrechts und nicht
zuletzt im Hinblick auf die Zahlungen in den Risikostrukturausgleich auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben.
In der täglichen Praxis stoßen die BVA-Prüfer auch auf allerhand andere
Merkwürdigkeiten. So wurden bisher im Ausland erworbene Sachleistungen meist
nicht auf die Inlandssätze des konkreten Leistungsfalls umgerechnet und erstattet,
sondern verbreitet mit 60 bis 80 Prozent des Rechnungsbetrages pauschal
abgegolten. Begründet haben die Kassen das stets mit dem Argument, alles andere
sei zu aufwendig. Inzwischen haben die Kassenverbände dem Amt allerdings
versprochen, das ungesetzliche Vorgehen generell abzustellen.
PZ-Artikel von Karl H. Brückner, Bonn
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